und meinte, es sei nicht schlimm, er habe den Bauer in der ersten Frühe den Hügel in der Richtung nach dem Walde hinuntergehen und vom Dachfenster aus, wo er gestanden und sich angezogen habe, im Felde verschwinden sehen. Vielleicht, wie er grinsend hinzufügte, sei wieder das Treiben über ihn gekommen, und da würde weiter nichts Schlimmes heraushängen. Seine Treue und sein natürlicher Takt hinderten den Menschen, nach dem Grunde des Wirbels zu fragen, der über seinen Herrn gekommen war. Er schlug seine Mütze spaßend aufs Knie, daß eine dicke Wolke Staub herausplatzte, und machte sich ohne Umstände auf die Suche. Er war an den fünf Gebreiten, die sich von der Brindeisenerschen Grenze quer hinzogen, vorübergegangen und hatte die letzte Bodenwelle, die Hohe Kippe, erreicht, von der aus er die große, muldige Wiese übersehen konnte, die sich am Walde hinzog, nur vom Hemsterhuser Wege durchschnürt. Da bemerkte er einen Mann in dem herbstkurzen Grase, nicht allzuweit von dem Saum des Waldes. Er lag hingestreckt und sah, den Oberkörper auf die Ellbogen gestützt, unverwandt und regungslos in den blaßblauen Himmel hinauf, an dem in unendlicher Höhe fortwährend einige weiße Wölkchen träumend zergingen und wieder entstanden. Vorsichtig, immer den Mann im Auge behaltend, stieg er den sanften Abhang auf den Hemsterhuser Weg hinunter, der hier die Höhe erklomm und durch den Wald dem Rheine zu zog. »Heda!« schrie er endlich dem Unbekannten zu und winkte freundlich mit seiner Mütze. Der Ruf traf den Liegenden wie ein Stoß, rollte ihn zusammen und warf ihn dann in ein paar flüchtigen Sätzen durch das Buschwerk in den Wald, aus dem er nicht wieder zum Vorschein kam. Der Knecht streifte wohl eine Stunde unter den Stämmen umher, spähte fleißig aus und rief, wenn er irgendwo ein verdächtiges Geräusch hörte, den Namen des Bauern. Doch als er auf dem Rückwege wieder den Hemsterhuser Weg überschritten hatte und auf der Hohen Kippe sich umdrehte, sah er den Unbekannten in derselben Stellung im Grase liegen und versunken gegen den Himmel starren, als habe er sich nicht vom Flecke gerührt, sondern, unsichtbar gemacht, in diesem närrischen Treiben fortwährend verharrt. Nun kam es ihm vor, als sei der seltsame Mann wirklich niemand als der Sintlinger, aber eine unerklärliche Scheu, fast ein ehrfürchtiger Schauer hielt ihn ab, noch einmal mit lautem Rufen gegen ihn loszufahren. Zu Hause angekommen, verschwieg er, auch der Bäuerin gegenüber, das Erlebnis, sprach nur von seinem zwecklosen Umherstreifen und trödelte sich mit Gemurmel, das den Ton von Trost und Entschuldigung hatte, von Johanna weg zu seiner Arbeit. Das arme Weib beendete nun kummervoll den Tag und gab sich redlich Mühe, wieder einmal mit der Unabänderlichkeit ihres Geschicks fertig zu werden, ohne das Bild Andreas' durch Vorwürfe oder Klagen zu versehren. Doch als sie endlich im Bett lag, glaubte sie in hoher Ferne schwach und dumpf die mitleidslosen Stöße eines Webstuhls zu vernehmen. Mit jedem dieser brummenden, zerflossenen Laute schien die Finsternis um sie schwärzer und dichter zu werden. In ihrer Beklemmung tastete sie nach der Wiege, schwang sie vorsichtig und begann ganz leise und hoch ein Schlummerlied zu singen. Dabei dachte sie fortwährend: Mein Kind ist blind, mein Kind ist blind, und konnte ihre Tränen nicht mehr erhalten.
Der letzte Ton des Liedes schwebte noch zwischen ihren bebenden Lippen wie der Stiel einer blassen Blume, die sie im Begriff stand fallen zu lassen, da hörte sie ihren Mann heimkehren. Wenn es ihr Herz nicht erlauscht hätte, ihr Ohr würde es nicht erraten haben. So achtsam wurde die Tür bewegt, so gleichmäßig, fast schonend strichen lange Schritte durch den Flur. Nun trat er in die Wohnstube und ging leise bis in deren Mitte. Dort blieb er stehen. Sie hörte ihn laut und stürmisch ein paarmal atmen, wie es jemand vor einem bedeutsamen Vorhaben befällt. Obwohl Johanna nun wußte, daß er nicht trunken sei, ging ihr Herz plötzlich wie ein fallendes Blatt vor der tieferen Sorge, den Mann regiere die wache Wut. Und wirklich. Schon ging die Tür lautlos, stand lauernd still, und vor der Öffnung, die als finstere Schlucht sich aus der Nacht heranschob, sah sie langsam das blasse Gesicht ihres Mannes auftauchen und witternd, wie vor dem Anspringen, eine Weile stillhalten. Sie kam entsetzt in die Höh und mußte ihren erschlaffenden Körper mit versteiften Armen stützen. Da, wie wußte sie nicht, lag der Sintlinger an ihrer Brust und schnürte seine Arme wie Seile um sie und atmete erstickt und kochendheiß an ihrem Halse hin. Er sprach stoßend und endlos, aber sie verstand nichts als den seligen Wirbel, von dem sie durch seine Worte aus ihrem Verzagen emporgerissen und fortgetragen wurde. Auf einmal löste er die Arme, bettete sein Weib behutsam aufs Lager, entkleidete sich schweigend und legte sich nieder. Obwohl Johanna nicht nach ihm hinsah, spürte sie doch, daß er auf dem Rücken lag und mit weiten Augen in die Nacht starrte. Nach langem sagte er erschüttert und fast unhörbar: »Ich habe kein Kind, ich habe einen Engel.« Dann drehte er sich um und schlief ein.
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