sie hatten es sofort verdrängt?
Die Kinder waren zum Auto vorgelaufen.
»Ich nehme ein großes Eis mit ganz viel Sahne, Erdbeer, Heidelbeere, Vanille, Nuß, Pistazie, Schokolade, Himbeere, Pfefferminz und Melone«, sagte Merit.
»Du spinnst ja«, rief ihr Bruder, »das sind neun Kugeln. Die kauft dir die Tante Bettina sowieso nicht, außerdem passen die nach den ganzen Spaghetti überhaupt nicht mehr in dich rein, dann platzt du ja.«
»Du bist gemein«, schrie Merit.
»Zankt euch nicht«, fuhr Bettina dazwischen, »sonst gibt es überhaupt kein Eis, und wir fahren sofort zu euch nach Hause.«
Augenblicklich waren die Kinder still. Das Eis wollten sie sich auf keinen Fall entgehen lassen.
*
Nachdem die Kinder auch noch eine erstaunlich große Portion Eis in sich hineingestopft hatten, waren sie beizeiten müde und gingen widerspruchslos ins Bett.
Bettina setzte sich in das durchgestylte, für ihre Begriffe ungemütliche Wohnzimmer und wartete auf ihre Schwester.
Doch die Zeit verging, ohne daß Grit kam.
Bettina konnte sie nicht erreichen, weil sie ihr Handy abgeschaltet hatte.
Da sie nicht wußte, ob Grit noch einen zweiten Haustürschlüssel hatte und sie auch nicht die Haustür unverschlossen lassen wollte, blieb ihr gar nichts anderes übrig, als im Wohnzimmer zu warten, um das Klingeln nicht zu überhören.
Irgendwann wurde sie so müde, daß sie auf dem unbequemen Designersofa einschlief und am nächsten Morgen wie gerädert erwachte. Sie glaubte, durch einen Fleischwolf gedreht worden zu sein. Jeder Knochen tat ihr weh.
Es war fünf Uhr morgens.
Grit war nicht nach Hause gekommen, davon hatte sie sich, nach einem Blick in deren Schlafzimmer, überzeugen können.
Bettina ging unter die Dusche, brauste sich eine ganze Weile heiß ab und merkte allmählich, daß sie sich entspannte. Vorsichtshalber verzichtete sie darauf, den Wasserhahn anschließend auf kalt zu drehen. Heute nicht.
Nachdem sie sich umgezogen hatte, fühlte sie sich schon etwas wohler.
Sie war zwar noch müde, wagte aber nicht, sich noch einmal hinzulegen, weil sie nicht verschlafen wollte. Die Kinder mußten in die Schule. Außerdem war dieses harte, ungemütliche Sofa nicht unbedingt einladend, sondern eher ein Marterpfahl, der nicht zum Verweilen einlud.
Also beschloß sie, sich einen Kaffee zu machen, der würde ihre Lebensgeister wecken.
Früher kannte sie sich in Grits Küche aus. Doch diese war einem coolen Designermodell gewichen, und auch die Kaffeemaschine war so hochtechnisiert, daß Bettina zunächst ratlos davor stand.
Sie hatte keine Ahnung, wie dieses chromblitzende Gerät zu bedienen war.
Ihr erster vorsichtiger Versuch löste eine zischende Dampfwolke aus. Bei ihrem zweiten Versuch setzte sich mit viel Geräusch etwas in Gang. Eine integrierte Kaffeemühle? Weit gefehlt, nach einigem Gerumpele war es wieder Sendepause, und Bettina war die Lust an weiteren Experimenten vergangen.
Beim Inspizieren der Schränke entdeckte sie grünen Tee, ganz profan in Beuteln, und auch der Wasserkocher war kein Hightec-Gerät, sondern ein ganz normal funktionierender Kocher.
Dann eben Tee, war auch keine so schlechte Idee.
Sie hatte gerade ein paar Schlucke getrunken und dabei überlegt, wann sie wohl die Kinder wecken mußte, als Merit, noch ein wenig schlaftrunken, in die Küche getapst kam, ihre neue Puppe fest im Arm. Sie kletterte wortlos auf Bettinas Schoß und schmiegte sich an sie.
Bettina umfaßte das Kind und drückte es liebevoll an sich.
»Du bist ja noch ganz verschlafen, meine Kleine«, sagte sie. »Warum bist du denn schon aufgestanden?«
»Ich wollte sehen, ob du noch da bist. Als ich dich nicht im Gästezimmer fand, bekam ich Angst. Aber dann habe ich Geräusche aus der Küche gehört. Und hier habe ich dich gefunden. Wenn du schon weggewesen wärst, hätte ich sehr geweint, Tante Bettina. Ich habe dich ja sooo lieb.«
Bettina war ganz gerührt.
»Ich habe dich auch ganz schrecklich lieb, mein kleiner Liebling, und ich wäre doch nicht weggefahren, ohne mich von dir und Niels zu verabschieden. Ich habe euch doch auch versprochen, euch zur Schule zu bringen. Wann fängt euer Unterricht an?«
»Um acht, zur ersten Stunde.«
»Möchtest du dich nicht wieder hinlegen, mein Spätzchen? Es ist doch noch so früh.«
Davon wollte Merit nichts wissen, und schon gar nicht mehr, als auch noch Niels in die Küche kam, nicht weniger verschlafen als seine Schwester.
»Wo ist die Mama?« wollte er wissen.
Bettina konnte ihm schlecht sagen, daß seine Mutter überhaupt nicht nach Hause gekommen war.
»Bestimmt ist sie bei diesem Typen«, mutmaßte er. »Ich hasse ihn, und wenn Papa heute anruft, werde ich es ihm sagen und ihn bitten, daß er uns endlich zu sich holt. Dann kann sie für immer zu diesem Typen gehen.«
Bettina war erschüttert. Sie wußte nicht, was sie sagen und wie sie sich verhalten sollte.
Sie war wütend auf ihre Schwester, hatte aber gleichzeitig Mitleid mit ihr, weil sie sich von diesem Mann so erniedrigen, so demütigen ließ und ihm dennoch nicht den Laufpaß gab.
Aber ihr taten auch die Kinder leid, die noch nicht in einem Alter waren, in dem man auf seine Mutter verzichten konnte.
»Was frühstückt ihr denn immer?« lenkte sie ab.
»Loops mit Milch oder Crunchys«, sagte Merit.
»Auch mit Milch«, fügte Niels hinzu.
Im Kühlschrank fand sich aber keine Milch.
Für sie gab es keinen Kaffee, für die Kinder keine Milch.
»Ich habe eine Superidee«, schlug Bettina vor. »Ihr macht euch fertig, und dann gehen wir drei frühstücken. Ich kenne da ein ganz tolles Bistro, das schon ganz früh aufmacht. Dort gibt es alles, was das Herz begehrt. Und danach bringe ich euch zur Schule.«
Davon waren die Kinder begeistert und stürmten aus der Küche.
Bettina stellte ihre Tasse weg. Sie trank gern Grünen Tee, aber nicht unbedingt zum Frühstück. Insgeheim beglückwünschte sie sich zu ihrer Idee. Sie würde endlich ihren Kaffee bekommen und die Kinder ein ordentliches Frühstück.
*
Die Kinder waren total begeistert, und Bettina drückte beide Augen zu, als sie sah, daß sie sich fingerdick Nutella auf ihre Brötchen kleisterten. Es war auch erstaunlich zu sehen, was sie sonst noch in sich hineinstopften. Sollten sie. Es war ja eine Ausnahme.
Nach dem Frühstück brachte Bettina die Kinder zur Schule und verabschiedete sich liebevoll von ihnen. Danach versuchte sie, ihre Schwester zu erreichen. Sie ging nicht an ihr Festnetztelefon, ihr Handy war nach wie vor ausgeschaltet.
Grit hatte sich also voll darauf verlassen, daß sie sich schon um die Kinder kümmern würde, was ja auch geschehen war.
Doch für Bettina war es so unbefriedigend gewesen. Sie hatte ja die Kinder nach Hause bringen wollen, um endlich mal mit ihrer Schwester ausführlich zu reden. Aber auch sie war nicht wichtig in Grits Leben. Nur Robertino zählte.
Und sie hatte nichts über Linus erfahren, weil Grit ihr ja nicht einmal Gelegenheit gegeben hatte, nur eine einzige Frage zu stellen.
Sie konnte jetzt unmöglich auf Grit warten, weil sie ja überhaupt nicht wußte, wann sie nach Hause kommen würde, während auf dem Hof viel Arbeit auf sie wartete.
Sie fuhr zur Hof-Konditorei, um die heißbegehrten Trüffel für Linde und ihre drei auf dem Hof zu kaufen. Dann konnte