auf einmal heraus, um sie dann nachdenklich auf dem Tisch hin und her zu schieben.
»Weißt du, Bettina, manchmal habe ich Angst vor dem Neid der Götter.«
»Wie kommst du denn auf so etwas, Linde?« erkundigte Bettina sich ganz entsetzt.
»Weil ich mit Martin so unbeschreiblich glücklich bin. Unsere Ehe ist perfekt, unsere Liebe grandios.«
»Dann freue dich doch darüber, statt solche düsteren Gedanken zu haben.«
»Ich freue mich ja auch. Aber ich komme gegen diese Angst auch nicht an. Es ist eben alles zu perfekt.«
»Weil du und Martin…, weil ihr zusammenpaßt. Ihr habt eine übereinstimmende Lebensauffassung. Ihr kennt euch ein Leben lang, auch paßt ihr wunderbar zusammen. Sei doch einfach nur glücklich.«
»Ich bin glücklich, aber manchmal frage ich mich, warum Martin so plötzlich heiraten wollte, obschon das nicht vorgesehen war, und nun bekomme ich die Kinder, auch ungeplant.«
So kannte Bettina ihre Freundin überhaupt nicht. Warum sprach sie jetzt über so etwas Düsteres, gerade jetzt, im Moment ihres allergrößten Glückes?
»Er wollte dich aus Liebe heiraten und auch legal mit dir zusammensein, und Eheleute bekommen nun mal Kinder, ob geplant oder ungeplant. Die Hauptsache ist doch, daß es dich glücklich macht.«
»Es macht mich glücklich.«
Linde stopfte die beiden Trüffel, mit denen sie herumgespielt hatte, auf einmal in den Mund.
»Wenn du weiter so Süßigkeiten in dich hineinstopfst, wirst du kugelrund sein, ehe deine Schwangerschaft aus biologischen Gründen sichtbar sein wird.«
Normalerweise hätte Linde jetzt gelacht. Aber ihr war danach nicht zumute.
Sie beugte sich ein wenig vor.
»Bettina, halte mich nicht für verrückt, aber ich muß immer an den schwarzen Vogel denken, der an meinem Hochzeitstag so unvermittelt auf mich heruntergestürzt kam. Man sagt doch immer, daß schwarze Vögel Unglück bedeuten. Mir ist so etwas noch nie zuvor in meinem Leben passiert. Auch nicht danach. Warum also ausgerechnet an meinem Hochzeitstag? War es ein böses Omen?«
Bettina bekam eine Gänsehaut, und sie konnte sich genau erinnern, daß sie in diesem Augenblick genau das gleiche gedacht hatte. Warum sprach Linde jetzt darüber?
Um etwas heraufzubeschwören?
Weil sie eine Ahnung hatte?
Bettina verbot sich, weiter in diese Richtung zu denken, und sie wollte auch nicht, daß Linde sich solche Gedanken machte.
»Du warst eine wunderschöne Braut. Der Vogel wurde einfach durch die Blume in deinem Haar angelockt. Vielleicht glaubte er, etwas Eßbares zu finden.«
»Du glaubst, es war ohne Bedeutung?«
»Absolut, und du solltest dir solche Gedanken unbedingt aus dem Kopf schlagen. Es gibt nämlich auch noch so etwas wie die sich selbst erfüllenden Prophezeiungen. Das, woran man immer denkt, was man sich vorsagt, geschieht auch so.«
»Um Gottes willen!«
»Eben!«
Linde griff wieder zu dem Karton, in dem die verführerischen Trüffel lagen, doch Bettina zog den Karton einfach weg.
»Tut mir leid, nur zu deinem Schutz«, sagte sie, »wenn du jetzt weiterstopfst, wird dir höllisch schlecht.«
»Du hast recht, aber ich glaube immer, durch Süßigkeiten kompensieren zu können. Dabei ist das doch absoluter Quatsch. Willst du etwas trinken? Kaffee, Tee, etwas Kaltes?«
»Kaffee wäre gut.«
Linde rief die Bedienung herbei, und nachdem der Kaffee für Bettina, ein Tee für Linde serviert waren, rührte Linde wild in ihrem Teeglas herum, weil sie auf Zucker nicht verzichtet hatte.
»Linde«, griff Bettina das vorausgegangene Thema wieder auf, »warum hast du niemals mit mir darüber gesprochen? Wir sind doch Freundinnen.«
»Weil mir solche Gedanken niemals gekommen sind. Es ist neu, erst seit kurzer Zeit habe ich manchmal dieses ungute Gefühl, und das mit dem schwarzen Vogel ist mir erst vor ein paar Tagen eingefallen. Vielleicht hängt das ja auch nur mit meiner Schwangerschaft zusammen. Schwangere Frauen sollen ja manchmal wunderlich sein.«
»So wird es sein.« Bettina atmete insgeheim auf. »Ich bin nämlich überzeugt davon, daß wir hier, genau an diesem Platz, noch euren fünfzigsten Hochzeitstag feiern werden.«
»Ja.« Diese Vorstellung gefiel Linde, und ihre niedergedrückte Stimmung war mit einem Schlag vorbei.
Martin stand plötzlich am Tisch. Er war unbemerkt hereingekommen, beugte sich zu Linde herunter, drückte ihr einen zärtlichen Kuß auf die Stirn.
»Wo warst du?« wollte er wissen und verlieh seiner Stimme einen scheinbar drohenden Unterton.
Linde kicherte.
»Um mich das zu fragen, hast du einfach deine Praxis verlassen und läßt deine tierischen Patienten warten?«
»Meine liebe Frau, das ist der Vorteil, wenn man selbst von seinem Arbeitsplatz aus seine Angetraute beobachten kann.« Nach einem weiteren Kuß auf die Stirn wollte er wissen: »Also, wo warst du?«
Bettina stand auf.
»Tja, dann will ich mal gehen.«
»Um Gottes willen, ich will dich nicht vertreiben, Bettina. Ich muß doch sowieso gleich wieder rüber in die Praxis.«
»Nein, laß mal gut sein. Ich muß gehen. Ich bin nur hergekommen, um Linde ein paar Trüffel zu bringen.«
Linde schaute ihre Freundin an, zuckte die Achseln.
Bettina nickte heftig.
Linde wiegte zweifelnd den Kopf.
Bettina nickte erneut.
Martin schaute von der einen zur anderen.
»Sagt mal, ihr zwei, was hat das denn zu bedeuten? Studiert ihr eine Pantomime ein?«
Wie auf Kommando fingen die beiden Frauen herzhaft an zu lachen.
Bettina winkte Martin zu.
»Wir sollten uns alle mal wieder sehen und einen draufmachen.«
Dann wandte sie sich an Linde, beugte sich zu ihr herunter und flüsterte: »Die Dinge geschehen, wenn die Zeit reif ist. Sag’s ihm!«
»He, was soll sie mir sagen?«
Bettina winkte noch einmal.
»Auf Wiedersehen und noch einen wunderschönen Tag«, rief sie und tänzelte hinaus. Am liebsten wäre sie stehengeblieben, um Martins Jubelschrei zu hören. Aber so etwas gehörte sich nicht.
Sie stieg in ihr Auto, um nach Hause zu fahren. Doch dann überlegte sie es sich unterwegs anders.
Sie drehte um und fuhr hinauf zu der kleinen Kapelle.
Später hätte sie nicht zu sagen vermocht, was sie dazu bewogen hatte. Aber auf einmal war es ihr wichtig gewesen, Kerzen anzuzünden – für Linde, für Martin und die beiden ungeborenen Babys.
Bettina setzte sich auf eine der altersdunklen Holzbänke und schaute lange Zeit in das Licht der brennenden Kerzen.
Dann begann sie zu beten.
»Lieber Gott, bitte, laß Linde zwei gesunde Kinder zur Welt bringen und erhalte ihr das Glück mit Martin.«
Als Bettina schließlich nach einer ganzen Weile wieder zu den Kerzen blickte, begann eine von ihnen unruhig zu flackern, um dann unvermittelt zu verlöschen.
Bettina war wie gelähmt.
Es war still und ruhig in der Kapelle. Sie hatte die Tür hinter sich verschlossen, so daß auch kein Windhauch die Kerze hätte löschen