Der Verfasser verlässt die Hauptstadt und beginnt seine Heimreise
Empfehlungen für Leser, die mehr über James Bruce wissen wollen
VORWORT DES HERAUSGEBERS
Die lange Reise eines exzentrischen Schotten James Bruce und die Suche nach den Quellen des Blauen Nils
Alt wie die Geschichte der abendländischen Zivilisation ist auch die Suche nach den Quellen des Nils. Bereits Herodot, der Vater der Historiografie und Erdkunde, stellte die ersten Fragen, Aristoteles schrieb eine Abhandlung über das jahreszeitliche Steigen und Fallen des Flusses und sein Schüler Alexander der Große schickte »äthiopische Männer« aus, um die geheimnisvollen Quellen des Stromes zu suchen.
»… so gibt es doch nichts, was ich lieber kennenlernen möchte als die so viele Jahrhunderte lang verborgenen Anfänge des Stromes und seine unbekannten Quellen; man eröffne mir die sichere Aussicht, die Nilquellen zu sehen, und ich will vom Bürgerkrieg ablassen«, sagte Julius Cäsar, und ein Jahrhundert später schickte Kaiser Nero zwei Zenturionen auf eine Expedition zu ihrer Entdeckung aus – vergeblich. »Caput Nili quaerere« – das Suchen nach der Nilquelle – galt im Römischen Reich als Synonym für das Lösen einer unlösbar erscheinenden Aufgabe. Irgendwo tief im Inneren des afrikanischen Kontinents, bei den geheimnisumwitterten Mondbergen, lag der Ursprung des Stroms der Ströme, der Lebensader Ägyptens.
Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts wurde der Abay, der Blaue Nil, als der Hauptfluss angesehen und seine Quellen im äthiopischen Hochland nahe dem Tanasee als die »wahren« Quellen des Leben spendenden Stromes. Was lag auch näher, als in dem gebirgigen Land die seit dem Altertum legendären Mondberge zu erblicken. Die Kenntnis von den großen Seen und den mächtigen Bergriesen tief im Süden des Kontinents gelangte erst spät nach Europa. Wer hätte auch vermutet, dass die Quellen des Weißen Nils sogar noch südlich des Äquators zu suchen seien?
Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts konnten die letzten Rätsel der Nilquellen Schritt für Schritt gelöst werden, dafür stehen die Namen der Forscher Speke, Stanley, Grant, Baker und Burton. Und erst Mitte August 1898 gelangte der deutsche Arzt und Forschungsreisende Richard Kandt zum Ursprung des Rukurara in 2440 m Höhe, dessen Quelle heute als die am entferntesten von der Mündung des Nils gelegene gilt und von welcher das Wasser eine Strecke von 6671 km bis zur Küste des Mittelmeers zurücklegt: »… ein kleiner feuchter Kessel am Ende einer Klamm, aus deren Boden die Quelle nicht sprudelnd, sondern Tropfen für Tropfen dringt: Caput Nili … Quelle des Nils.«
Der schottische Landedelmann James Bruce wurde am 14. Dezember 1730 in Kinnaird, Grafschaft Sterlingshire, geboren. Wie zu dieser Zeit in den gehobenen Gesellschaftskreisen üblich, wurde er in vornehmen englischen Schulen, darunter in Harrow, erzogen. Seinen ursprünglichen Plan, Geistlicher zu werden, gab er bald zugunsten eines Jurastudiums in Edinburgh auf, verlor aber auch daran schnell das Interesse. Von seiner nächsten Idee, sich als Geschäftsmann in Indien zu versuchen, brachte ihn 1754 die rasche Ehe mit der Tochter eines vermögenden Londoner Weinhändlers ab. Die Frau starb schon im darauf folgenden Jahr in Paris.
Die nächsten Jahre verbrachte Bruce vorwiegend auf Reisen durch Europa und mit autodidaktischen Studien der mathematischen und astronomischen Wissenschaftszweige, die ihn immer schon interessiert hatten und auf seinen späteren Reisen und Erkundungsfahrten auch von immensem Vorteil waren, da sie ihn in den Stand setzten, präzise Ortsbestimmungen mithilfe seiner Instrumente vorzunehmen und damit auch die Kartografie der von ihm durchforschten Gebiete ein gutes Stück weiterzubringen.
Während eines Aufenthalts in Andalusien begann sich Bruce für die Geschichte der Araber in Spanien zu begeistern, und dies brachte ihn auf die Idee, darüber ein wissenschaftliches Werk zu verfassen. Er ließ den Plan aber wieder fallen, als ihm die Einsicht in die Dokumente und Handschriften des Escorial verweigert wurde.
1758 starb sein Vater, und James Bruce war der Alleinerbe der ausgedehnten Ländereien in Kinnaird. Die auf seinem Grund und Boden geförderte Kohle brachte ihm ein beträchtliches Vermögen und ein regelmäßiges Einkommen ein: »Ich war im Begriff, mich auf ein von meinen Vorfahren ererbtes Landgut zu begeben, um mein Leben mit Studieren und Nachdenken zu verbringen, weil es nicht in meiner Macht zu stehen schien, eine tätigere Lebensweise zu ergreifen …«, lesen wir in einer autobiografischen Notiz. James Bruce war reich, unabhängig und hatte genügend Zeit, sich ausschließlich seinen Neigungen und Liebhabereien zu widmen.
Was ihn plötzlich veranlasste, der britischen Regierung die Eroberung des spanischen Flottenstützpunktes Ferrol vorzuschlagen, dazu einen strategischen Plan auszuarbeiten und sich selbst als Kommandanten anzubieten, lässt sich heute kaum mehr klären. Jedenfalls kam er dadurch in Kontakt mit dem königlichen Minister Lord Halifax, der zwar die absurde kriegerische Unternehmung ablehnte, Bruce aber die vakant gewordene Stelle eines englischen Konsuls in Algier anbot, verbunden mit dem Auftrag, Zeichnungen und Dokumentationen der antiken Baulichkeiten in Nordafrika und im Vorderen Orient für die königlichen Sammlungen anzufertigen. In den Gesprächen mit Halifax wurde auch das Thema der unentdeckten Nilquellen und der Möglichkeit einer Reise dorthin angeschnitten, eine Idee, die James Bruce fortan nicht mehr aus ihrem Bann ließ und sein weiteres Leben nachhaltig bestimmte: »Wir kamen auch auf die Entdeckung der Quellen des Nils, der Minister äußerte aber eine Art von Misstrauen dabei, als wenn man solche von einem Reisenden, der bereits mehr Erfahrung hätte, erwarten müsse. Ob er mich dadurch nur desto mehr anzureizen suchte, kann ich nicht sagen.«
Bruce verließ im Sommer 1762 die Britische Insel und sah erst zwölf Jahre später seine Heimat wieder. Vor Antritt seines Dienstes in Nordafrika hielt er sich noch fast ein Jahr lang in Italien auf, studierte römische Ruinen und Altertümer, übte sich im Zeichnen – vorwiegend mithilfe einer Camera obscura – und schrieb Artikel über das antike Rom und Paestum. Hier war es auch, wo er Luigi Balugani in seinen Dienst nahm, einen hervorragenden jungen Zeichner und Architekten aus Bologna, der ihn künftig auf allen seinen Reisen begleitete, bis er 1771 in Gondar, der Hauptstadt Äthiopiens, am Fieber starb. Es ist anzunehmen, dass ein Großteil der Bruce’schen Zeichnungen aus der Feder und dem Zeichenstift dieses jungen Italieners stammt. Umso befremdender mutet es an, dass Bruce dieses Mannes in seinem Reisewerk kaum gedenkt, auch seinen Tod nur mit wenigen Worten und wie beiläufig erwähnt.
Im März 1763 trat Bruce schließlich seinen Dienst als Diplomat in Algier an; über zwei Jahre blieb er in dieser Funktion – mit wenig Geschick und Eifer, wie es scheint. Briefe berichten von endlosen Streitereien im diplomatischen Korps, sein Nachfolger auf dem Posten beklagte sich bitter über das von Bruce hinterlassene Chaos.
Seine Zeit verbrachte er hauptsächlich mit dem Erlernen der arabischen und der griechischen Sprache, auch die Grundbegriffe des Amhara und des Tigre, zweier wichtiger äthiopischer Idiome, eignete er sich im Selbststudium an. Vor allem aber verschaffte er sich beim königlichen Wundarzt Ball, der ebenfalls im Konsulatsgebäude residierte, profunde medizinische Kenntnisse. In seinen eigenen Worten: »Auf diese Art unterrichtet, schmeichle ich mir, kein größeres Sterben unter den Mohammedanern und Heiden angerichtet zu haben, als man einigen meiner medizinischen Mitbrüder unter ihren Nebenchristen in England zuschreibt.«
Im August 1765 legte Bruce sein diplomatisches Amt nieder und widmete sich fortan seiner weiteren Aufgabe, der Aufnahme der Altertümer des südlichen Mittelmeerraumes. Ein abenteuerlicher und produktiver Zeitabschnitt im Leben des James Bruce sollte beginnen. Ausgedehnte Reisen führten ihn gemeinsam mit Balugani durch Tunesien, in die Berge des Aurès, nach Tripolitanien, in die Cyrenaika und nach Bengasi. Zeichnend und dokumentierend zog Bruce