in Procession unter dem prächtigen Thronhimmel, und alle Menschen auf der Straße und in den Fenstern sprachen: »Gott, wie sind des Kaisers neue Kleider unvergleichlich; welche Schleppe der am Kleide hat, wie schön das sitzt!« Keiner wollte es sich merken lassen, daß er nichts sehe, denn dann hätte er ja nicht zu seinem Amte getaugt oder wäre sehr dumm gewesen. Keine Kleider des Kaisers hatten solches Glück gemacht, wie diese.
»Aber er hat ja nichts an!« sagte endlich ein kleines Kind. »Herr Gott, hört des Unschuldigen Stimme!« sagte der Vater; und der Eine zischelte dem Andern zu, was das Kind gesagt hatte.
»Aber er hat ja nichts an!« rief zuletzt das ganze Volk. Das ergriff den Kaiser, denn es schien ihm, als hatten sie Recht; aber er dachte bei sich: »Nun muß ich die Procession aushalten.« Und die Kammerherren gingen noch straffer und trugen die Schleppe, die gar nicht da war.
Die wilden Schwäne
(Hans Christian Andersen)
Weit von hier, dort wohin die Schwalben fliegen, wenn wir Winter haben, wohnte ein König, der eilf Sohne und eine Tochter Elisa hatte.
Die eilf Brüder waren Prinzen und gingen mit dem Stern auf der Brust und dem Säbel an der Seite in die Schule. Sie schrieben mit Diamantgriffeln auf Goldtafeln und lernten ebenso auswendig, wie sie lasen; man konnte gleich hören, daß sie Prinzen waren. Die Schwester Elisa saß auf einem kleinen Schemel von Spiegelglas und hatte ein Bilderbuch, welches für das halbe Königreich erkauft war.
O, die Kinder hatten es außerordentlich gut; aber so sollte es nicht immer bleiben!
Ihr Vater, welcher König über das ganze Land war, verheirathete sich mit einer bösen Königin, die die armen Kinder gar nicht liebte. Schon am ersten Tage konnten sie es merken. Auf dem Schlosse war große Pracht, und da spielten die Kinder: »Es kommt Besuch«; aber statt daß sie, wie sonst, alle Kuchen und alle gebratenen Aepfel erhielten, die nur zu haben waren, gab sie ihnen blos Sand in einer Theetasse und sagte, sie könnten thun, als ob Dies etwas wäre.
Die Woche darauf brachte sie die kleine Schwester Elisa auf das Land zu einem Bauernpaare, und lange währte es nicht, da log sie dem König so viel von den armen Prinzen vor, daß er sich gar nicht mehr um sie kümmerte. –
»Fliegt hinaus in die Welt und ernährt Euch selbst,« sagte die böse Königin. »Fliegt, wie die großen Vögel ohne Stimme!« Aber sie konnte es doch nicht so schlimm machen, wie sie gern wollte; sie wurden eilf herrliche wilde Schwäne. Mit einem sonderbaren Schrei flogen sie aus den Schloßfenstern, weit über den Park in den Wald hinein.
Es war noch früh am Morgen, als sie da vorbeikamen, wo die Schwester Elisa in der Stube des Landmanns lag und schlief. Hier schwebten sie über dem Dache, drehten ihre langen Hälse und schlugen dann mit den Flügeln; aber Niemand hörte oder sah es. Sie mußten wieder weiter, hoch gegen die Wolken empor, hinaus in die weite Welt; da flogen sie nach einem großen, dunklen Walde, der sich bis an den Strand erstreckte.
Die arme, kleine Elisa stand in der Stube des Landmannes und spielte mit einem grünen Blatte; anderes Spielzeug hatte sie nicht. Sie stach ein Loch in das Blatt, sah hindurch und gegen die Sonne empor, da war es, als sähe sie ihrer Brüder klare Augen; jedesmal, wenn die warmen Sonnenstrahlen auf ihre Wangen schienen, gedachte sie aller ihrer Küsse.
Ein Tag verging eben so, wie der andere. Strich der Wind durch die großen Rosenhecken draußen vor dem Hause, so flüsterte er den Rosen zu: »Wer kann schöner sein, als Ihr?« Aber die Rosen schüttelten das Haupt und sagten: »Elisa ist es!« Und saß die alte Frau am Sonntage vor der Thür und las in ihrem Gesangbuche, so wendete der Wind die Blätter um und sagte zu dem Buche: »Wer kann frömmer sein, als Du?« – »Elisa ist es!« sagte das Gesangbuch. Und es war die reine Wahrheit, was die Rosen und das Gesangbuch sagten.
Als sie fünfzehn Jahre alt war, sollte sie nach Hause; und als die Königin sah, wie schön sie war, wurde sie ihr gram. Gern hätte sie sie in einen wilden Schwan verwandelt, wie die Brüder; aber das wagte sie nicht gleich, weil ja der König seine Tochter sehen wollte.
Früh Morgens ging die Königin in das Bad, welches von Marmor erbaut und mit weichen Kissen und den prächtigsten Decken geschmückt war; sie nahm drei Kröten, küßte sie, und sagte zu der einen: »Setze Dich auf Elisa's Kopf, wenn sie in das Bad kommt, damit sie dumm wird, wie Du!« »Setze Dich auf ihre Stirn,« sagte sie zur andern, »damit sie häßlich wird, wie Du, sodaß ihr Vater sie nicht erkennt!« »Ruhe an ihrem Herzen!« flüsterte sie der dritten zu; »laß sie einen bösen Sinn erhalten, damit sie Schmerzen davon hat!« Dann setzte sie die Kröten in das klare Wasser, welches sogleich eine grüne Farbe erhielt, rief Elisa, zog sie aus und ließ sie in das Wasser hinabsteigen. Und indem Elisa untertauchte, setzte die eine Kröte sich ihr in das Haar, die andere auf ihre Stirn und die dritte auf die Brust. Aber sie schien es nicht zu merken; sobald sie sich emporrichtete, schwammen drei rothe Mohnblumen auf dem Wasser. Waren die Thiere nicht giftig gewesen und von der Hexe geküßt gewesen, so wären sie in rothe Rosen verwandelt. Aber Blumen wurden sie doch, weil sie auf ihrem Haupte, ihrer Stirn und an ihrem Herzen geruht hatten. Sie war zu fromm und unschuldig, als daß die Zauberei Macht über sie haben konnte!
Als die böse Königin das sah, rieb sie Elisa mit Wallnußsaft ein, sodaß sie schwarzbraun wurde, bestrich ihr das hübsche Antlitz mit einer stinkenden Salbe und ließ das herrliche Haar sich verwirren. Es war unmöglich, die schöne Elisa wiederzuerkennen.
Als der Vater sie sah, erschrak er sehr und sagte, es sei nicht seine Tochter. Niemand, außer dem Kettenhunde und den Schwalben, wollte sie erkennen; aber das waren arme Thiere, die nichts zu sagen hatten.
Da weinte die arme Elisa und dachte an ihre eilf Brüder, die alle fort waren. Betrübt stahl sie sich aus dem Schlosse und ging den ganzen Tag über Feld und Moor bis in den großen Wald hinein. Sie wußte gar nicht, wohin sie wollte, aber sie fühlte sich unendlich betrübt und sehnte sich nach ihren Brüdern; die waren sicher auch, gleich ihr, in die Welt hinausgejagt; die wollte sie suchen und finden.
Nur kurze Zeit war sie im Walde gewesen, da brach die Nacht an; sie kam ganz von Weg und Steg ab; darum legte sie sich auf das weiche Moos nieder, betete ihr Abendgebet und lehnte ihr Haupt an einen Baumstumpf. Es herrschte tiefe Stille, die Luft war mild, und ringsumher im Grase und im Moose leuchteten, einem grünen Feuer gleich, Hunderte von Johanniswürmchen; als sie einen der Zweige leise mit der Hand berührte, fielen die leuchtenden Insecten wie Sternschnuppen zu ihr nieder.
Die ganze Nacht träumte sie von ihren Brüdern; sie spielten wieder als Kinder, schrieben mit den Diamantengriffeln auf die Goldtafeln und betrachteten das herrliche Bilderbuch, welches das halbe Königreich gekostet hatte. Aber auf die Tafel schrieben sie nicht, wie früher, Nullen und Striche, sondern die muthigen Thaten, die sie vollführt, Alles, was sie erlebt und gesehen hatten; und im Bilderbuche war Alles lebendig; die Vögel sangen und die Menschen gingen aus dem Buche heraus und sprachen mit Elisa und ihren Brüdern. Aber wenn diese das Blatt umwendeten, sprangen sie gleich wieder hinein, damit keine Unordnung hineinkomme.
Als sie erwachte, stand die Sonne schon hoch, Sie konnte diese freilich nicht sehen: die hohen Bäume breiteten ihre Zweige dicht und fest über ihr aus. Aber die Strahlen spielten dort oben wie ein webender Goldflor, da war ein Duft von dem Grünen, und die Vögel setzten sich fast auf ihre Schultern! Sie hörte Wasser plätschern: das waren viele große Quellen, die alle in einen See flössen, in dem der herrlichste Sandboden war. Freilich wuchsen dort dichte Büsche ringsumher, aber an einer Stelle hatten die Hirsche eine große Oeffnung gemacht, und hier ging Elisa zum Wasser hin. Dies war so klar, daß man, wenn der Wind nicht die Zweige und Büsche berührte, sodaß sie sich bewegten, hatte glauben müssen, sie wären auf dem Wassergrunde abgemalt gewesen; so deutlich spiegelte sich dort jedes Blatt, sowohl das, welches von der Sonne beschienen, als das, welches im Schatten war.
Sobald Elisa ihr eigenes Gesicht erblickte, erschrak sie, so braun und häßlich war es; doch als sie ihre kleine Hand benetzte und Augen und Stirne rieb, glänzte die weiße Haut wieder vor. Da entkleidete sie sich und ging in das frische Wasser hinein! ein schöneres Königskind als sie war, wurde in dieser Welt nicht gefunden!
Als sie sich wieder angekleidet und ihr langes Haar geflochten hatte,