»Ich glaube, ich kann Ihnen sagen,« fiel Lady Margaret mit jener klaren, zitternden Stimme ein, mit der eine mutige Frau öffentlich spricht, »ich kann Ihnen sagen, was Mr. O’Brien im Garten machte, nachdem er selbst zum Schweigen gezwungen ist. Er machte mir einen Heiratsantrag. Ich lehnte ab; ich sagte ihm, unter meinen familiären Verhältnissen könne ich ihm nichts als Achtung entgegenbringen. Er war darüber ein wenig ärgerlich; er schien nicht viel auf meine Achtung zu geben. Ich bezweifle,« fügte sie mit kaum merklichem Lächeln hinzu, »ob ihm jetzt überhaupt noch etwas daran liegt. Denn ich biete sie ihm jetzt an. Ich will überall beschwören, daß er nie etwas Derartiges begangen hat.«
Lord Galloway war zu seiner Tochter hinübergesteuert und suchte sie mit etwas, was er für Flüstern halten mochte, einzuschüchtern.
»Halte deinen Mund, Maggie,« sagte er, »weshalb solltest du den Burschen decken? Wo ist sein Säbel? Wo ist sein verdammter Kavallerie – –«
Er hielt inne, zurückgehalten durch den sonderbaren Blick, mit dem seine Tochter ihn betrachtete, einen Blick, der in der Tat eine geisterhafte Anziehungskraft für die ganze Gruppe besaß.
»Du alter Tor!« sagte sie mit leiser Stimme, ohne sich um irgendwelche Rücksichtnahme zu bekümmern, »was glaubst du denn beweisen zu können? Ich sagte dir, dieser Mann war unschuldig, solange er bei mir war. Aber wenn er nicht unschuldig war, so war er doch bei mir. Wenn er einen Mann im Garten ermordete, wer war es, der es gesehen haben mußte? Wer mußte zum mindesten darum gewußt haben? Ist dein Haß gegen Neil so groß, daß du deine eigene Tochter –?«.
Lady Galloway kreischte auf. Jedermann saß in Gruseln bei dem Gedanken an jene teuflischen Tragödien, die einst zwischen Liebenden sich abgespielt haben. Sie sahen das stolze, weiße Gesicht der schottischen Aristokratin und ihres Verehrers, des irischen Abenteurers, gleich alten Ahnenbildern in einem düsteren Hause. Das lange Schweigen war voll von formlosen, geschichtlichen Erinnerungen an ermordete Ehemänner und vergiftete Buhlerinnen.
Inmitten dieser krankhaften Stille fragte eine unschuldige Stimme:
»War es eine sehr lange Zigarre?«
Der Gegensatz der Gedanken war ein so scharfer, daß sich alles nach dem Sprecher umzublicken gezwungen sah.
»Ich meine,« sagte der kleine Father Brown aus der Zimmerecke, »ich meine jene Zigarre, welche Brayne beendet. Sie scheint beinahe so lange wie ein Spazierstock.«
Trotz der Belanglosigkeit der Frage sprachen Zustimmung sowohl als Verwirrung aus Valentins Gesicht, als er den Kopf erhob.
»Ganz richtig,« bemerkte er schroff. »Iwan, geh und sieh nochmals nach Mr. Brayne und bring’ ihn sofort hierher.«
In dem Augenblicke, als das Faktotum die Türe geschlossen hatte, wandte sich Valentin mit einem ganz neuen Ernste an die junge Dame.
»Lady Margaret,« sagte er, »ich bin sicher, wir alle fühlen Dankbarkeit sowohl wie Bewunderung für Ihre Tat, daß Sie ohne Rücksicht auf sich selbst des Hauptmanns Gebaren aufklärten. Aber noch bleibt eine Tücke. Lord Galloway traf Sie, wenn ich mich entsinne, als Sie aus dem Studierzimmer nach dem Salon unterwegs waren, und es lagen nur wenige Minuten dazwischen, als er den Garten betrat und den Hauptmann noch herumwandernd fand.«
»Sie dürfen nicht vergessen,« antwortete Margaret mit leiser Ironie in ihrer Stimme, »daß ich ihn eben abgewiesen hatte; er konnte daher nicht gut Arm in Arm mit mir zurückkehren. Immerhin, er ist ein Ehrenmann, und so wartete er mein Eintreten ab – und wurde des Mordes beschuldigt.«
»In jenen wenigen Augenblicken könnte er wirklich« – bemerkte Valentin ernst.
Das Klopfen kam von neuem und Iwan steckte sein narbiges Gesicht herein.
»Bitte um Verzeihung,« meldete er, »aber Mr. Brayne hat das Haus verlassen.«
»Verlassen!« schrie Valentin und sprang zum ersten Male auf die Füße.
»Fort! Ausgerissen! Verduftet!« antwortete Iwan in humorvollem Französisch. »Auch sein Hut und Rock sind fort und ich will Ihnen etwas sagen, was alles übertrumpft. Ich lief zum Hause hinaus, um Spuren von ihm zu finden und fand auch eine, eine große noch dazu!«
»Was meinen Sie?« fragte Valentin.
»Ich werde Ihnen sogleich zeigen,« sagte sein Diener und erschien wieder mit einem blinkenden, blanken, an der Spitze und auf dem Rücken mit Blut befleckten Kavalleriesäbel. Alle Anwesenden starrten ihn an, als wäre es ein Donnerkeil, aber der erfahrene Iwan fuhr ganz ruhig fort:
»Ich fand dies,« sagte er, »fünfzig Meter weit von hier auf der Pariser Straße, in die Büsche geworfen. Mit anderen Worten, ich fand es genau dort, wo Ihr ehrenwerter Mr. Brayne es hinwarf, als er weggelaufen ist.«
Neuerdings herrschte ein Schweigen, doch von ganz anderer Art. Valentin ergriff den Säbel, untersuchte ihn, überlegte mit unaffektierter Gedankensammlung und wandte sich dann mit dem Ausdrucke des Respektes O’Brien zu.
»Hauptmann,« sagte er, »wir sind sicher, Sie werden uns diese Waffe jederzeit überlassen, wenn sie zu polizeilicher Prüfung benötigt werden sollte. Inzwischen,« fügte er hinzu, indem er den Stahl in die klirrende Scheibe stieß, »lassen Sie mich Ihnen Ihr Schwert zurückgeben.«
Angesichts des militärischen Symbolismus dieser Handlung konnten sich die Zuschauer kaum des Beifalles enthalten.
Für Neil O’Brien war dieses Ereignis in der Tat der Wendepunkt seines Daseins. Um die Zeit, da er wiederum in dem geheimnisvollen, in die Farben des Morgens getauchten Garten umherwanderte, war die tragische Nutzlosigkeit seines gewohnten Benehmens von ihm gefallen: er war ein Mann voll von Ansprüchen auf ein Glück. Lord Galloway erwies sich als Ehrenmann und hatte sich entschuldigt. Lady Margaret gab sich als mehr denn nur als Dame, zum mindesten als Frau, und mochte ihm wohl Besseres als eine Entschuldigung geboten haben, als sie vor dem Frühstück zwischen den alten Blumenbeeten einherwandelten. Die ganze Gesellschaft fühlte sich erleichterter und menschlicher, denn wenn auch das Rätsel des Toten blieb, die Last des Verdachtes war von allen genommen und mit dem sonderbaren Millionär – einem Manne, den kaum jemand kannte – mit nach Paris entwichen. Der Teufel war aus dem Hause geworfen, er hatte sich selbst hinausgeworfen.
Noch blieb aber das Rätsel, und als O’Brien sich neben Dr. Simon auf einen Gartensitz warf, nahm diese eingefleischte wissenschaftliche Natur es sofort wieder auf. Viel war aber nicht aus O’Brien herauszuholen, dessen Gedanken bei angenehmeren Dingen weilten.
»Ich kann nicht sagen, daß mich das viel interessiert,« sagte der Irländer offen heraus, »besonders nachdem jetzt alles so ziemlich aufgeklärt scheint. Offenbar haßte Braune diesen Fremden aus irgendeinem Grunde, lockte ihn in den Garten und tötete ihn mit meinem Säbel. Dann floh er in die Stadt und warf unterwegs den Säbel weg. Übrigens sagt mir Iwan, der tote Mann habe einen Yankee-Dollar in der Tasche gehabt. Somit war es ein Landsmann von Brayne. Und das scheint die Sache zu erhärten. Ich sehe keinerlei Schwierigkeit in dieser Geschichte.«
»Es bestehen da fünf ganz gewaltige Schwierigkeiten,« fuhr der Doktor ruhig fort, »gleich einer hohen Mauer innerhalb der Mauern. Mißverstehen Sie mich nicht! Ich bezweifle nicht, daß Brayne es vollführt hat, wohl aber, wie er es getan hat. Erste Schwierigkeit: weshalb sollte ein Mann einen anderen mit einem großen plumpen Säbel toten, wenn er ihn beinahe mit einem Taschenmesser töten könnte, um es dann wieder in die Tasche zu stecken? Zweite Schwierigkeit: Weshalb geschah kein Lärm oder Schrei? Sieht für gewöhnlich ein Mann einen anderen, einen krummen Säbel schwingend, auf sich zukommen, ohne daß er eine Bemerkung dazu macht? Dritte Schwierigkeit: Ein Diener wachte den ganzen Abend an der Eingangstüre, und in Valentins Garten kann nicht einmal eine Ratte irgendwo herein. Wie kam der tote Mann in den Garten? Vierte Schwierigkeit: Dieselben Umstände vorausgesetzt, wie kam Brayne aus dem Garten?«
»Und die fünfte?« fragte Neil, die Augen auf den englischen Priester geheftet, der langsam den Pfad heraufkam. »Ist eine Kleinigkeit, meine ich,« erwiderte der Doktor, »aber ich glaube, eine merkwürdige. Als ich zuerst sah, wie der Kopf abgehauen war, vermutete