Gustav Freytag

Die Technik des Dramas


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sind in unseren Stücken große und kleine Wirkungen, welche auf den höchsten Aktionsmomenten beruhen. Die Scene, in welcher Coriolan den Aufidius am Hausaltar des Volskers umarmt, erhält ihre volle Bedeutung erst durch die Schlachtscene des ersten Aktes, in welcher man die Gegner erbittert auf einander los schlagen sieht. Nothwendig ist der Kampf zwischen Percy und Prinz Heinrich. Und wieder wie unentbehrlich ist nach den Voraussetzungen in Kabale und Liebe der Tod der beiden Liebenden auf der Bühne; in Romeo wie unentbehrlich der Tod des Tybalt, des Paris und der beiden Liebenden vor den Augen der Zuschauer! Könnten wir es glauben, wenn Emilia Galotti hinter der Scene vom Vater erdolcht würde? Und wäre es möglich, die große Scene zu missen, in welcher Cäsar ermordet wird?

      Dagegen gibt es wieder eine ganze Reihe von großen Wirkungen, welche hervorgebracht werden, wenn nicht die That selbst das Auge beschäftigt, sondern so verhüllt wird, daß die begleitenden Umstände die Einbildungskraft spannen und das Furchtbare durch jene Eindrücke empfinden lassen, welche in die Seele der Helden fallen. Ueberall wo Raum ist, die vorbereitenden Momente einer That eindringlich zu machen und wo die That nicht in plötzlicher Erregung des Helden eintritt, endlich überall, wo es nützlicher ist, Grauen aufzuregen und zu spannen als aufgeregte Spannung kräftig zu lösen, wird der Dichter wohlthun, die That selbst hinter die Scene zu verlegen. Einige der stärksten dramatischen Wirkungen, welche es überhaupt gibt, verdanken wir solchen Verhüllungen. Wenn im Agamemnon des Aeschylos die gefangene Kassandra die einzelnen Umstände des Mordes, der im Hause geschieht, verkündet; wenn Elektra, während die Todeslaute der Klytämnestra auf die Bühne dringen, dem Bruder in die Scene zuruft: „Triff noch einmal!” so ist die furchtbare Gewalt dieser Wirkungen allerdings niemals übertroffen worden. Nicht weniger großartig ist die Ermordung des Königs Duncan im Macbeth, die Schilderung der Gemüthszustände des Mörders vor und nach der That.

      Für die Bühne der Germanen sind die Spannung, die unbestimmten Schauer, das Unheimliche und Aufregende, welche durch diese Verhüllung verhängnißvoller Thaten bei geschickter Behandlung hervorgebracht werden, vorzugsweise in aufsteigender Handlung zu verwerthen. In dem rascheren Laufe und der heftigeren Erregung des zweiten Theils werden sie nicht ebenso leicht anwendbar sein. Beim letzten Ausgang der Helden nur in solchen Fällen, wo der Augenblick des Todes selbst auf der Bühne nicht darstellbar ist, wie Hinrichtung durch Schaffot und militärische Strafvollstreckung eines Urtheils, und wo die Unmöglichkeit einer andern Lösung durch die unzweifelhaft stärkere Gewalt der tötenden Gegner selbstverständlich ist. Ein interessantes Beispiel dafür ist der letzte Akt des Wallenstein. Die finstere Gestalt Buttler's, das Werben der Mörder, das Zusammenziehen des Netzes um den Ahnungslosen ist in einer lange und stark anregenden Steigerung dem Zuschauer in die Seele gedrückt, nach solcher Vorbereitung wäre die Vorführung des Mordes selbst keine Verstärkung mehr; man sieht die Mörder in das Schlafzimmer eindringen, das Krachen der letzten Thür, das Waffengerassel und die darauf eintretende plötzliche Stille erhalten die Einbildungskraft in derselben unheimlichen Spannung, welche den ganzen Akt färbt. Und das langsame Aufregen der Phantasie, die bangsame Erwartung und das letzte Verhüllen der That selbst passen wieder vortrefflich zu dem Träumerischen und Geheimnißvollen des inspirirten Helden, wie ihn Schiller gefaßt hat.

      Der Dichter hat aber nicht nur darzustellen, auch zu verschweigen; zunächst gewisse unlogische Bestandtheile des Stoffes, welche die größte Kunst nicht immer zu bewältigen vermag, — es wird bei Besprechung der dramatischen Stoffe davon die Rede sein. Dann Widerwärtiges, Ekelhaftes, Gräßliches, das Schamgefühl Verletzendes, das vielleicht an dem rohen, sonst brauchbaren Stoffe hängt. Was nach dieser Richtung der Kunst widerwärtig sei, muß der Schaffende selbst empfinden, es kann nicht gelehrt werden.

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