Vorrede.
Die Weichthierfauna unseres Vereinsgebietes, obwohl literarisch besser bedacht, als die vieler anderer deutschen Bezirke, ist noch weit davon entfernt, ganz erforscht zu sein; vielmehr ist der grösste Theil von Nassau in malacologischer Beziehung noch eine vollständige terra incognita. Es muss dies Wunder nehmen, wenn man bedenkt, dass in keinem Zweige der Naturgeschichte die Ausbeutung einer bestimmten Gegend so verhältnissmässig rasch und leicht möglich ist, wie in der Conchyliologie, während dieselbe doch andererseits auch nach Jahre langem Studium immer Neues und Interessantes bietet und nie zum vollständigen Abschluss kommen lässt, also für den Dilettanten, der sich wissenschaftlich beschäftigen will, ganz besonders geeignet ist. Der Hauptgrund für die Vernachlässigung dieses Zweigs der Naturgeschichte scheint mir in dem Mangel billiger und dabei doch ausreichender literarischer Hilfsmittel zu liegen. Während es genug gute Bücher über die deutschen Pflanzen, Käfer und Schmetterlinge gibt, fehlt es noch ganz an einer Molluskenfauna von Mitteldeutschland mit guten Abbildungen und Berücksichtigung der anatomischen Verhältnisse; wer die Conchylien seiner nächsten Umgebung studiren will, ist auf dieselben kostspieligen Hilfsmittel angewiesen, wie der, welcher die Mollusken von ganz Europa und selbst des Auslandes zu seinem Studium macht.
Diese Erwägung veranlasste mich, nicht, wie es ursprünglich mein Plan war, nur die über verschiedene Gegenden unseres Vereinsgebietes veröffentlichten Arbeiten, durch meine eigenen mehrjährigen Beobachtungen und die Fundortsangaben zuverlässiger Freunde vermehrt zu einem Verzeichniss der Conchylien des gesammten Nassau zu verschmelzen, sondern auch durch Beigabe ausführlicher Beschreibungen und eine möglichst vollständige Zusammenstellung alles dessen, was über inneren Bau, Entwicklung und Lebensweise bekannt ist, eine Grundlage zu bieten, von der aus der Anfänger die Fauna seiner Gegend studiren und sich die Fähigkeit zu eigenen Beobachtungen und Untersuchungen erwerben kann.
Der Vorstand des nassauischen Vereins für Naturkunde billigte meinen Plan und machte es mir möglich, auf neun Tafeln Abbildungen unserer sämmtlichen Schnecken, mit Ausnahme der Nacktschnecken, zu geben.
Für die Form des Werkes im Grossen und Ganzen diente mir die zweite Auflage der Fauna von Siebenbürgen von E. A. Bielz zum Vorbild; doch glaubte ich die lateinischen Diagnosen, deren Inhalt ja doch in den deutschen Beschreibungen wiederholt wird, füglich weglassen zu können und habe lieber den anatomischen Verhältnissen und der Lebensweise mehr Raum gegönnt. Die Beschreibungen sind in der Regel fast wörtlich die Rossmässlers; es kann eben nur eine richtige Beschreibung geben, und da es unmöglich ist, bessere als die Rossmässler’schen zu geben, so hätte der Versuch dazu nur zu einer Verschlechterung oder im günstigsten Falle zu einer mühsamen Umschreibung führen können. Auch eine Anzahl Abbildungen sind aus der Iconographie oder aus den Clausiliengruppen von Schmidt copirt; doch sind dies nur Arten, die überall gleich sind und deren Abbildungen ganz unseren nassauischen Formen entsprechen, oder solche, deren Ausführung meine technische Fertigkeit überstieg, wie bei den Clausilien und Pupen. Die sämmtlichen Wassermollusken mit Ausnahme einiger Planorben und der nach Baudon copirten Pisidien, sowie der grössere Theil der Heliceen, sind Originalabbildungen, theils von meiner Frau, theils von mir gezeichnet. Die Abbildungen der Vitrinen verdanke ich meinem Freunde Dr. Carl Koch.
Ich verkenne nicht, dass meine Arbeit nur mit Unrecht eine Fauna von Nassau genannt werden kann, während sie doch nur einzelne Theile desselben umfasst; ich hoffe aber, dass sie den Anstoss zu einer regeren Beschäftigung mit unseren Mollusken gibt, und dass es dadurch in nicht zu ferner Zeit möglich sein wird, an eine wirklich umfassende und erschöpfende Fauna von Nassau zu gehen. Ich bitte desshalb diejenigen Mitglieder unseres Vereins, welche Lust haben, sich mit der Fauna ihrer Umgegend zu beschäftigen, dringend, sich mit mir in Verbindung zu setzen; ich bin gern bereit, ihnen durch Mittheilung von Exemplaren unserer nassauischen Arten und durch Bestimmung der gefundenen Arten das Studium zu erleichtern.
Es liegt mir noch die angenehme Pflicht ob, den zahlreichen Freunden, welche mich bei meiner Arbeit unterstützt haben, meinen herzlichsten Dank abzustatten, besonders den Herrn Professor Kirschbaum, Hofrath Lehr und Conservator Römer in Wiesbaden, D. F. Heynemann, Dr. Carl Koch, Dickin und Dr. Noll in Frankfurt, Trapp auf der Obermühle bei Giessen und Ickrath in Schwanheim, die mir ihre Beobachtungen freundlichst zur Veröffentlichung mittheilten, und den Herrn Professor Dunker in Marburg, Professor Sandberger in Würzburg und Ed. von Martens in Berlin, welche mich in anderer Weise mit Rath und That unterstützten. Herrn Dr. Carl Koch bin ich noch ganz besonders verbunden für die Freundlichkeit, mit welcher er mir die auf Nassau bezüglichen Theile seiner noch ungedruckten Arbeit über die Vitrinen, nebst den dazu gehörigen Originalabbildungen überliess.
Schwanheim a/Main, 12. Juni 1870.
Dr. W. Kobelt.
ALLGEMEINER THEIL.
Erstes Capitel.
Umgränzung, Literatur und Vorarbeiten.
Wenn wir die vorliegende Arbeit eine Fauna von Nassau nennen, wollen wir damit durchaus nicht sagen, dass wir gesonnen sind, uns ängstlich innerhalb der Gränzen des ehemaligen Herzogthums Nassau zu halten; auch die etwas weiteren des Regierungsbezirks Wiesbaden respectiren wir nicht überall, obschon sie sich besser den natürlichen Verhältnissen anpassen; wir nehmen vor allem das linke Rheinufer mit der reichen Fauna der Sümpfe und Haiden von Mombach, das Lahnthal von Marburg bis Wetzlar und den oberen Theil der Mainebene bis nach Hanau hinauf hinzu, und wo sichere Fundorte seltener Arten aus nicht zu weiter Entfernung bekannt sind, stehen wir nicht an, auch diese anzuführen.
Unser Gebiet enthält somit ein ziemliches Stück Rheingebiet, das Rheinthal mit seinen kleinen Seitenthälchen zwischen Mainz und Coblenz, das untere Mainthal nebst der Wetterau, dem Gebiete der Nidda, und ganz besonders das Thal der Lahn bis zu ihrer Quelle hinauf. Der Taunus, der Westerwald, die letzten Ausläufer des rheinisch-westphälischen Schiefergebirges und der südliche Theil des Vogelsberges machen seinen grössten Theil zu einem reich abwechselnden Hügellande, in dem alle Arten von Boden vertreten sind. Dem entsprechend ist auch die Weichthierfauna eine sehr reiche, und nur wenige der bis jetzt in Mitteldeutschland aufgefundenen Arten werden bei uns vermisst. Ueber ihre Vertheilung im Verhältniss zur Bodenbeschaffenheit reden wir ausführlich später.
Der erste Naturforscher, welcher die einheimischen Conchylien des Herzogthums Nassau einer genaueren Beachtung würdigte, war der auch sonst in vielfacher Beziehung um die Erforschung von Nassau hochverdiente Dr. C. Thomae; im Jahre 1841 veröffentlichte er mit einem Doublettencatalog des Landesmuseums ein Verzeichniss der in der Umgegend von Wiesbaden gefundenen Binnenconchylien, und 1849 liess er im vierten Bande der Jahrbücher des nassauischen Vereins für Naturkunde S. 206–226 ein ausführliches „Verzeichniss der im Herzogthum Nassau, insbesondere in der Umgegend von Wiesbaden lebenden Weichthiere“ erscheinen, welches besonders die Gegenden des Rheinthals, des unteren Lahnthals und den Südabhang des Taunus umfasst und sehr zahlreiche, meist sehr genaue Fundortsangaben enthält. Es werden darin 64 Land-, 30 Süsswasserschnecken und 16 Muscheln angeführt.
Zwei Jahre später veröffentlichten die Herren Fridolin Sandberger in Weilburg und Carl Koch in Dillenburg in dem siebenten Band der Jahrbücher S. 276–282 „Beiträge zur Kenntniss der Mollusken des oberen Lahn- und Dillgebietes“. Es berücksichtigt diese Arbeit besonders die Umgebungen von Weilburg und von Dillenburg und enthält 55 Arten Landschnecken, 17 Süsswasserschnecken und 9 Muscheln; 8 davon sind bei Thomae nicht angeführt. In unmittelbarem Anschluss daran folgt dann noch ein Nachtrag zu dem Thomae’schen Verzeichniss von Dr. Frid. Sandberger, meist auf die genauen Nachsuchungen des Conservators