Gerhard Rohlfs

Land und Volk in Afrika - Berichte aus den Jahren 1865-1870


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       Inhaltsverzeichnis

      Ich trinke Thee in Gesellschaft Mohammed Besserkis, Enkel des Sultans Mohammed el Hakem von Fessan. Mein Bewusstsein ist vollkommen klar. Ich nehme zwei Theelöffel voll Haschischkraut, welches in einer Kaffeeröste etwas gedörrt, dann pulverisirt und mit Zuckerstaub gemischt worden war. Mein Puls war im Moment des Nehmens 90 (wie immer).

      Nach einer viertel Stunde gar kein Erfolg. Wir essen zu Abend: Kameelfleisch mit rothen Rüben, Kameelfrikadellen, weisse gebackene Rüben, Bohnensalat; Salat aus Zwiebeln, Tomaten, Knoblauch und Radieschen bestehend; Brod, Butter und Käse.

      Besserki sagt mir, dass die Wirkung nach dem Essen kommen werde, ich indess,—es ist jetzt 7 Uhr,—merke gar nichts. Wir trinken eine Tasse schwarzen Kaffee ohne Zucker.

      7 Uhr 10 Minuten. Mein Puls hat nur 70; ich friere, obgleich eine Pfanne mit Kohlen vor mir steht. Besserki sagt, er spüre stark die Wirkung und befiehlt meinem Diener, einige Datteln zu bringen, um, wie er sagt, die Wirkung zu beschleunigen; auch ich esse zwei Datteln.

      7 Uhr 20 Minuten. Mein Puls 120 oder mehr. Bin ich in einem Schiffe? Die Stube schaukelt, mein Bewusstsein ist indess vollkommen frei, blos scheint mir Besserki sehr langsam zu sprechen und ich vergesse oft den Anfang vom Satze, den er spricht. Auch wenn ich jetzt denke, vergesse ich, womit ich angefangen.

      7 Uhr 45 Minuten. Mein Herz schlägt so, dass ich jeden Schlag höre, Puls zählen unmöglich.

      Besserki sagt, er will fortgehen, mein Diener geht mit; ein anderer zündet mir eine Nargile an. Ich rauche und fliege, obgleich ich mit den Händen fühle, dass ich liege.

      Ich denke ungeheuer schnell und glaube, dass ich beim Schreiben dieser Zeilen Stunden zubringe.

      8 Uhr. Mein Blut schlägt Wellen, und einzelne Theile fallen von meinem Körper, obgleich ich mich dumm[2] niederschreibe, denn ich habe vollkommen freies Bewusstsein, dass ich alle Glieder besitze. Ich denke, ich will ausgehen.

      8 Uhr 20 Minuten. Ich träumte, ich ginge aus, die Strassen der Stadt verlängerten sich und waren mir ganz unbekannt, die Häuser sehr hoch; ich glaube, ich war in der Polizeiveranda, wo ein Mann war, um zu petitioniren und zu mir mit einem Gesuch kam; ich ging dann zurück und setzte mich vor mein Haus.

      Ich bin ohne allen Willen; die Wand gegenüber meinem Hause war schön tapezirt, auch hörte ich von fern schöne Musik und jetzt schreibe ich und sehe, dass Alles erlogen ist.

      Ich will mich legen, aber bin ich wirklich verrückt?

      Ich liege jetzt (8 Uhr 30 Minuten), mein Wille ist ganz weg und in mir grosser Sturm. Das Licht brennt seit Stunden und ich kann es nicht ausblasen, aber ich schreibe, und da ich denke, so bin ich doch wohl nicht gelähmt.

      Bin ich wirklich hier? Mein Hinterkopf ist sehr angefüllt. Ich bin ungemein leicht, und wenn ich nicht schriebe, würde ich in der Luft schweben.

      26. Januar Morgens.

      Bis so weit hatte ich gestern Vermögen gehabt, während des Rausches zu schreiben; ich verfiel dann in einen festen Schlaf, aus dem ich heute Morgen um 9 Uhr erwachte. Nachdem ich die im Rausche niedergeschriebenen Empfindungen gelesen, war meine erste Frage, ob ich wirklich nach der Polizeiveranda gegangen sei, oder dies blos geträumt habe? Es fand sich denn, dass ich wirklich dagewesen sei, ganz vernünftig gesprochen habe, überhaupt Niemand auch nur die leiseste Ahnung hatte, dass ich im Tekrurizustande mich befände.

      Nachträglich kann ich nun noch constatiren, dass

      1) man sich ungemein leicht glaubt und oft zu schweben meint.

      2) Dass der Puls, im Anfange vermindert, im vollen Stadium des Rausches eine solche Geschwindigkeit erreicht, dass es für den im Rausche Befindlichen unmöglich ist, ihn zu zählen.

      3) Starker Blutandrang nach dem Hinterkopfe.

      4) Auffallende Lähmung der Willenkraft.

      5) Das Gedächtniss verliert seine Regeln, naheliegende Dinge werden vergessen, andere aus längst vergangenen Zeiten werden aufgefrischt.

      6) Alles erscheint in den schönsten Farben und in vollkommener Harmonie.

      7) Manchmal lichte Augenblicke, verbunden mit schrecklicher Angst, dass dieser Zustand immer dauern möge.

      8) Endlich der ganze Rausch sui generis, und eher ein Verrücktsein, als das, was wir Europäer unter Rausch verstehen, zu nennen.

      Heute Morgen indess befinde ich mich vollkommen wohl und verspüre auch nicht im Mindesten einen sogenannten Katzenjammer.

       Inhaltsverzeichnis

      Es war als ob Afrika erbittert sei, dass ein Weisser es gewagt hatte, den ganzen Continent, den die Araber unter dem Namen "Das Land der Schwarzen" schlechtweg bezeichnen, durchschnitten hatte, denn als ich Icoródu verliess, um vom eigentlichen Festlande nach Lagos überzusetzen, welches eine Insel in den Ossa-Lagunen ist, wären wir zuletzt beinahe noch mit Mann und Maus, wie wir Deutsche zu sagen pflegen, untergegangen.

      Die Sache verhielt sich so. Am letzten Tage hatte ich meinen Diener Hammed den Dolmetsch, einen kleinen Negerburschen, den ich von Lokója aus als Geschenk für den Gouverneur in Lagos mitgenommen hatte, so wie unsere Packesel zurückgelassen, indem ich mich allein früh Morgens von Makúm, (siehe Dr. Grundemann's Missions-Atlas, Blatt Nr. 6) zu Pferde auf den Weg machte, blos von meinem kleinen Privatneger Noël, der während der langen Reise sich zu einem unermüdlichen Fussgänger herangebildet hatte, sowie von einem Lagos-Bewohner (ebenfalls zu Pferde) begleitet, der schon von Ibàdan an mit mir reiste, und dessen Frau, welche auf dem Kopfe grosse Kürbisschalen trug, in denen sie ihre Vorräthe hatte, ihrem Manne zu Fuss treu nachtrabte. Denn unsere Pferde, als ob sie wüssten, dass auch sie nun bald würden erlöst sein, schritten wacker aus, obgleich das meinige schon seit Tagen nur noch von Gras lebte, indem Korn, so viel Muscheln wir auch immerhin boten, um keinen Preis aufzutreiben war. So ununterbrochen dahin reitend, immer im dichten Urwalde, dessen Pfad so eng war und so überwachsen, dass man öfter absteigen musste, da der Reiter zu hoch war, erreichten wir denn auch ohne weitere Ereignisse und Unfälle die wichtige Handelsstadt Ikoródu ungefähr gegen 1 Uhr Nachmittags.

      Ikoródu, ausschliesslich von Schwarzen vom Stamme Ijebu bewohnt, die jedoch mit ihren Stammesgenossen in keinem allzu freundlichen Verhältnisse stehen, da sich die Stadt des Handels wegen in eine Art Abhängigkeitsverhältniss zum Gouvernement von Lagos gestellt hat, wetteifert jetzt mit Abeokúta, einer Stadt von 100,000 Einwohnern, um die Landesproducte, hauptsächlich Palmöl, Palmnüsse und Baumwolle gegen die europäischen Fabrikate, besonders Schnaps, Pulver, Gewehre, Zeugstoffe und andere kleine Artikel umzutauschen. Und Ikoródu würde vielleicht bald Abeokúta bedeutend im Handel übertreffen, weil es nur vier Stunden von Lagos entfernt liegt, wenn nicht eben diese Stadt am schiffbaren Ogun-Flusse läge, sodass also die Producte schon mehrere Tage weit auf die bequemste und leichteste Weise ins Innere transportirt werden können.

      Wir hielten uns übrigens gar nicht in Ikoródu auf, sondern durchritten schnell die Stadt und den lärmenden Markt, wo neben einheimischen Producten, europäische Artikel en détail verkauft wurden, und hauptsächlich unser Altonaer Kümmel und schlechter amerikanischer Rum eine reichliche Abnahme fanden—und zum anderen Thore wieder herauskommend, begaben wir uns dann direct zum Landungsplatze, der ungefähr eine Viertelstunde südwestlich von der Stadt entfernt liegt. Ich glaubte das Meer zu sehen, und doch war es nur erst die baumumkränzte Lagune, aber so entfernt und so weit sind die gegenüberliegenden Ufer jener oft durchbrochenen schmalen Landzunge, die dickbelaubt sich weithin vor's eigentliche Festland herzieht, dass man mit blossem Auge eben nichts als eine tiefblaue Wasserfläche vor sich hat. Am Landungsplatze fanden wir eine Menge kleiner Hütten, theils leer und für etwaige