Die Geschichten aus dem Wilden Westen: Abenteuerromane, Historische Romane & Erzählungen
Alle Kraft schien von der edlen, sonst so festen Tochter des Miko gewichen zu sein.
So war der Tag und eine zweite Nacht vergangen. Sie war die ganze Zeit hindurch nicht aus ihrem Stübchen gewichen. Auch von den Squaws war keine gekommen, sie zu sehen. Endlich gegen Morgen ließen sich Männerstimmen vom Ufer her vernehmen. Es war der Miko mit seiner Abteilung von Kriegern und Jägern. Seine Tochter stand auf, ihre Knie schlotterten und schlugen zusammen. Sie hielt sich am Fenster; der Häuptling sprach mit den Kriegern, denen die Squaws grinsend ins Ohr wisperten, indem sie mit ihren knöchernen Armen auf die Hütte deuteten, wo der Brite gewohnt hatte. Endlich nahte der Miko und trat in die Hütte ein; ihm folgten seine Männer. Seine Tochter war hinter dem Teppiche hervorgetreten, ihn zu begrüßen. Ihr Busen hob sich zuckend; ihre Hände auf der Brust faltend, erwartete sie schweigend die Befehle des Vaters.
»Die Männer der Oconees«, begann er nach einer Pause, während welcher sein scharf blitzendes Auge die Tochter durchbohren zu wollen schien, »haben ihrem Miko gesagt, daß der Bote des Häuptlings der Salzsee in das Wigwam der Oconees der Muscogees gekommen ist. Warum sieht ihn mein Auge nicht?« Das zitternde Mädchen gab keine Antwort; ihr Blick war auf den Boden geheftet. »Hat Canondah so sehr das Blut ihres Vaters vergessen, daß sie einen weißen Mann, einen Yankee in sein Wigwam geführt, ihm den Pfad gezeigt hat, der von den Dörfern der Weißen zu ihm führt? Der Miko dachte, er habe eine Tochter,« sprach der alte Mann mit dem schneidendsten Hohne, »aber Canondah ist nicht die Tochter des Miko der Oconees. – Geh!« sprach er mit unaussprechlichem Abscheu, »ein elender Seminole hat ihre Mutter betrogen und so Leben einer Betrügerin gegeben.« Das Mädchen sank bei dieser schrecklichen Beschuldigung ihrer Mutter zusammen, als ob sie vom Blitze niedergeschmettert worden wäre. Sie wand sich, sie krümmte sich wie ein Wurm, sie kroch hin zu des Vaters Füßen, um sein Kleid zu berühren; er stieß sie mit unendlichem Abscheu von sich. »Geh!« sprach er. »Sie hat gesungen in die Ohren des Miko und den großen Geist angerufen, seinen Jagdpfad rein zu halten, während sie den Feind seines Geschlechtes in ihrem Busen, in der Höhle pflegte.« Auch keine Silbe von Entschuldigung war dem armen, sich am Boden krümmenden Mädchen entfahren. »Und deshalb,« fuhr der Häuptling fort, »deshalb konnte die weiße Rose nicht den Nachtgesang singen, weil der weiße Späher ihrer im Walde wartete? Der Miko hat eine Schlange an seinem Busen genährt, er hat seine Biberfelle weggeworfen, und die weiße Rose hat einen Spion in sein Wigwam gebracht, der ihn an seine Feinde verraten wird. In wenigen Sonnen wird er mit den Seinigen wie die wilden Panther von ihren Feinden gejagt werden.«
Ein tückisch-boshaftes, dumpfes Geheul ertönte im Kreise der Wilden. Zwei der Grimmigsten schlichen sich dem Vorhange zu. Canondah war besinnungslos, sprachlos am Boden gelegen; aber kaum hatten die Wilden einen Schritt getan, als sie wie eine Schlange am Fußboden sich hinwand, und vor dem Vorhang sich aufrichtend und ihre Hände faltend, ausrief: »Ich bin es, Canondah ist es, die dem weißen Mann den Pfad gezeigt, die ihn über den Sumpf geführt; die weiße Rose kennt ihn nicht.«
Nun tat sich der Vorhang auf, und Rosa erschien; die Indianerin richtete sich auf, und sie schützend in ihre Arme schließend, blieben beide Mädchen gesenkten Hauptes vor dem erzürnten Miko stehen. Das Auge des Miko war der schnellen Bewegung seiner Tochter gefolgt; er schien erstaunt über die Verwegenheit, die zwischen ihm und dem Opfer seiner Wut einzuschreiten wagte. Als er Rosen ansah, zuckte ein grimmiges Grinsen durch seine erstarrten Züge. Seine Hand fuhr nach dem Schlachtmesser; er trat einen Schritt näher und erhob dasselbe.
»Ich bin es«; rief Canondah entsetzt.
»Nein, ich bin es, die den weißen Jüngling ins Wigwam gebracht«; rief Rosa mit bebender Stimme.
Der Miko war erstarrt dagestanden. Allmählich jedoch hatte der edle Wettstreit um den Tod auf seine wilde Natur seine Wirkung nicht verfehlt. Seine Züge milderten sich. »Geh!« sprach er endlich mit dem Tone des bittersten Hohnes, »glaubt Canondah, daß der Miko ein Narr ist, und daß sein Auge nicht sieht, wer den weißen Späher ins Wigwam geführt. Es war der Fuß Canondahs, der den Weg bahnte; aber es war die betrügerische Zunge der weißen Rose, die sie dazu vermochte.«
»Will mein Vater,« so bat das Mädchen, indem sie in der demütigsten Stellung ihre Hände auf ihrem Busen kreuzte, »will mein Vater die Zunge seiner Tochter lösen?« Eine lange Pause erfolgte. Wut und Vatergefühl kämpften sichtbar in dem tiefbewegten alten Manne. Letzteres trug jedoch den Sieg davon.
»Canondah mag reden.«
»Mein Vater! der weiße Jüngling hat geschworen auf seine Ehre, daß er kein Späher ist; er hat auch beteuert, daß er keiner der Yankees ist. Er ist von der Insel, wo sie den törichten Häuptling haben, dem das Land gehört, von dem du gesagt hast, daß es kalt und eisig ist. Sein Volk ist auf dem Kriegspfade gegen unsere Feinde, die Yankees. Er ist noch nicht viele Sonnen über die große Salzsee mit den Seinigen gekommen, sie wollen den Vater der Flüsse hinaufgehen und die Wigwams unserer Feinde verbrennen. Der Häuptling der Salzsee, sagte er, ist ein Dieb, der ihn, wie er Austern und Schildkröten gesucht, mit seinen Brüdern aufgefangen und in sein Wigwam geführt hat. Er ist aus diesem geflohen und hat acht Sonnen Hunger gelitten. Sein Volk wird den Häuptling der Salzsee bei dem Halse an den Baum aufhängen. Sieh, Vater, deine Tochter hat ihn aus dem Rachen der großen Wasserschlange befreit, und er war schon beinahe ganz tot. Die Squaws werden es dir sagen, Winondah hat ihn erst ins Leben zurückgerufen. Er wollte sich mit seinen Brüdern vereinigen, um deine Feinde zu züchtigen. Er ist kein Späher, seine Hände sind zart, und er war schwach.«
»Hat Canondah noch mehr Lügen für ihren Vater bereit?« sprach dieser, doch in einem mildern Tone. »Ihre Zunge ist sehr geläufig geworden.«
Das Mädchen schlug verschämt ihre Augen wieder zur Erde. Ihre Worte hatten jedoch augenscheinlich einen tiefen Eindruck auf ihren Vater gemacht. Was er in der Proklamation gelesen, stimmte vollkommen mit der Aussage seiner Tochter überein. Er sann gedankenvoll nach. Er war Wilder von Geburt, Gewohnheit und Erziehung; aber er war nicht blutgierig, nicht grausam. Es war übel verstandene Selbsthilfe, die ihn aufgeregt hatte gegen seine Feinde. Unter andern Verhältnissen, in einer zivilisierten Sphäre, würde er ein Held, ein Wohltäter von Tausenden, von Millionen geworden sein; aber in seinem wilden Zustande, gestachelt, verhöhnt, vergällt, wie er sich fühlte, erstorben, wie sein edleres Selbst sein mußte, und zerfallen mit sich durch wirkliche oder eingebildete Unbilden – war es ein Wunder, wenn er das Todesmesser gegen seine eigene Tochter aufgehoben hatte; er, der in die Hütte mit der festen Überzeugung getreten war, daß der junge Mann ein Emissär, ein Spion seiner Feinde gewesen? Abgeschieden von aller Außenwelt, eine Beute seines angebornen Mißtrauens, von den trüben Bildern verfolgender Feinde bei Tag und Nacht gequält, hatte er, der von den Seinigen hochverehrte, beinahe angebetete Miko, auch wahrscheinlich seine Wichtigkeit, in der er bei den Weißen zu stehen gedachte, weit höher angeschlagen, als sie es wirklich war.
Die Tochter, obwohl von verschiedenen Empfindungen bestürmt, kannte ihren Vater zu wohl, um nicht die plötzliche Veränderung zu gewahren, die in ihm vorgegangen war. Rosen umschlingend, sprach sie: »Sieh, Vater, der weiße Jüngling hat Rosen geschworen, daß er keiner der Yankees ist. Er ist ein Engländer. Er ist von den großen Kanus seines Volkes. Er war beinahe tot, als ihn deine Tochter aufnahm. Würde wohl ein Späher so in das Wigwam des großen Miko kommen?«
»Canondah hat genug gesprochen«, bedeutete ihr der Miko.
Das Mädchen schrak furchtsam zurück. Erst jetzt fiel dem Häuptling sein zweites Papier ein. Er zog es aus der Tasche, las es aufmerksam und besprach sich mit den Seinigen. Das Blatt enthielt einen Aufruf an die Bürger Louisianas, zur Verteidigung ihres Landes zu eilen.
»Spricht die Zunge meiner Tochter keine Lügen?« hob er wieder an, ihr mit der Hand winkend, zum Zeichen, daß ihr gestattet war, zu reden. »Warum ist der Mann, wenn er vom englischen Volke ist, den Wigwams seiner und unserer Feinde zugegangen?«
»Canondah hat ihm so gesagt,« sprach das Mädchen, »aber er hat erwidert, daß die Seinigen bereits vor dem großen Strom wären, wo er sie mit ihren großen Kanus finden würde.«
»Wann verließ er das Wigwam der Oconees?« fragte der Vater.
»Lange nachdem die Sonne hinter den Rücken des