hatte, ließ er dem Abte sagen, das Essen sei, wenn er es befehle, zum Anrichten fertig. Der Abt ließ die Tür seines Gemachs öffnen, um in den Speisesaal zu gehen, und es traf sich, dass Primasso ihm zuerst in die Augen fiel. Da er ihn in einem sehr armseligen zerlumpten Gewande erblickte und ihn von Person nicht kannte, so kam er auf einen schlechten Gedanken, der ihm sonst noch nie eingefallen war: „Sieh mal an, was für Gesindel ich da bewirten soll!“ Damit kehrte er um und befahl, die Tür wieder zu schließen, indem er zugleich diejenigen, die um ihn waren, fragte, ob jemand von ihnen den Landstreicher kenne, der der Tür seines Gemaches gegenübersäße. Alle verneinten. Primasso, der anfing zu hungern, langte inzwischen ein Brot aus der Tasche und begann zu essen. Wie der Abt ein wenig gewartet hatte, befahl er einem von seinen Leuten, zu sehen, ob der Fremde weggegangen sei. ‚Hochwürden, nein‘, war die Antwort, ‚und er isst Brot, das er wohl muss mitgebracht haben.‘ ‚Gut‘, sprach der Abt, ‚wenn er eigenes Brot hat, so mag er‘s essen, von dem meinigen soll er nichts bekommen.‘ Er hätte nun gern gesehen, dass Primasso von selbst wieder fortgegangen wäre, denn ihn hinausweisen zu lassen hielt er denn doch für unziemlich. Primasso hatte unterdessen ein Brot verzehrt, und wie der Abt noch nicht kam, fing er an, das zweite zu essen. Dies ward ebenfalls dem Abte gemeldet, welcher wieder hingeschickt hatte, zu sehen, ob er noch nicht weggegangen wäre. Endlich, wie der Abt noch immer ausblieb, begann er auch bei dem dritten, welches abermals der Abt erfuhr, der darauf in sich ging und dachte: „Welch ein neuer Einfall ist mir heut in den Sinn gekommen? Welch ein Geiz, welch ein Unmut, und um wessentwillen? Ich habe seit vielen Jahren von dem Meinigen einem jeden zu verzehren gegeben, der Lust dazu hatte, ohne darauf zu sehen, ob er Edelmann oder Bauer, arm oder reich, Kaufmann oder Beutelschneider wäre, und mancher Schlingel hat mir‘s vor meinen Augen verprasst, ohne dass mir so was jemals eingefallen wäre; und heute muss mir das mit diesem Menschen begegnen? Wahrlich, der Geiz kann mich nicht um eines gleichgültigen Menschen willen angewandelt haben. Dieser, der mir wie ein Bettler vorkommt, muss ein Mann von Bedeutung sein, weil ich einen so sonderbaren Widerwillen fühlte, ihn zu bewirten.‘ Er verlangte nun durchaus zu wissen, wer der Mann wäre, und wie er erfuhr, dass es Primasso war, den er dem Namen nach schon längst als einen verdienten Mann kannte und der gekommen war, um seine Gastfreiheit, die man ihm gerühmt hatte, zu sehen, schämte er sich, und aus Eifer, es wieder gutzumachen, bestrebte er sich, ihn aufs Beste zu bewirten. Nach Tische ließ er ihn auf eine seinen Verdiensten angemessene Art prächtig kleiden, gab ihm Geld und ein schön aufgezäumtes Pferd und ließ ihm freien Willen, zu bleiben oder heimzugehen. Primasso war erfreut darüber, dankte dem Abte aufs Angelegentlichste und ritt auf einem schönen Gaul nach Paris zurück, woher er zu Fuße gekommen war.“
Messer Cane, als ein scharfsinniger Mann, verstand ohne weitere Erklärung vollkommen, was Bergamino sagen wollte, und sprach lächelnd zu ihm: „Bergamino, du hast deine üble Lage, deinen Wert, meine Knickrigkeit und deine Wünsche klar genug dargelegt, und ich versichere dir, dass mich, außer in deinem Falle, der Geiz noch nie angewandelt hat. Ich will ihn aber mit eben dem Prügel wieder fortjagen, den du mir selbst in die Hand gegeben hast.“ Hierauf ließ er den Wirt bezahlen, dem Bergamino seine drei Kleider wiedergeben und ihn sehr ehrenvoll mit einem seiner eigenen Kleider schmücken, gab ihm Geld und ein schönes Reitpferd und stellte ihm frei, zu reisen oder bei ihm zu bleiben.
ACHTE NOVELLE
Gugliermo Borsiere beschämt mit einem Scherzwort den geizigen Herrn Ermino de Grimaldi.
Die Schlagfertigkeit des Bergamino fand viel Lob. Neben Filostrato saß Lauretta, die es nun ihrerseits für ihre Pflicht hielt, etwas zu erzählen. Ohne auf eine Aufforderung zu warten, hub sie mit sanfter Stimme also an:
Die eben gehörte Geschichte gibt mir erwünschten Anlass, liebe Gespielinnen, davon zu berichten, wie einst ein Herr vom Hofe auf ähnliche Weise und nicht umsonst den Geiz eines schwerreichen Kaufmannes an den Pranger stellte. Lasst euch meine Geschichte aber darum nicht weniger lieb sein, weil sie mit der vorigen den Ausgang fast gemein hat. Sie nimmt ein gutes Ende. Und: Ende gut, alles gut.
Es war einmal vor langer Zeit in Genua ein angesehener Mann namens Messer Ermino de Grimaldi, der nach jedermanns Meinung an ausgedehnten Besitzungen und barem Vermögen, an unermesslichem Reichtum die begütertsten Bürger, die damals in Italien lebten, bei Weitem übertraf. Allein, so wie er es jedermann an Reichtum zuvortat, so übertraf er auch an Geiz den ärgsten Filz der Welt in höchstem Maße, sodass er nicht nur seine Börse nie zog, um anderen etwas zukommen zu lassen, sondern dass er auch sich selbst die notwendigsten Bedürfnisse versagte. Wider die Gewohnheit der Genueser, die sich gerne prächtig kleiden, mangelte es ihm nicht nur an anständiger Kleidung, sondern er darbte sich‘s auch ab am Essen und Trinken, um nur sein Geld nicht auszugeben. Deswegen nannte man ihn auch nicht mehr bei seinem Familiennamen Grimaldi, sondern er hieß allenthalben nur Messer Ermino Geizkragen.
Indem nun dieser nichts tat als geizen und Reichtümer anhäufen, kam einst ein angesehener Hofmann von feinen Sitten und Reden namens Guglielmo Borsiere, der in keinem Stücke unseren heutigen Höflingen glich, die trotz ihres verderbten und schändlichen Benehmens sich Herren und Edelleute nennen und doch lieber Esel heißen sollten, weil sie eher im Schlamme der Laster und Niederträchtigkeiten des gemeinsten Pöbels als am Hofe scheinen erzogen zu sein. Zu jenen Zeiten bestand das Geschäft und das Bestreben der Hofleute darin, dass sie Frieden machten da, wo Krieg und Streit zwischen Edelleuten entstanden war, oder Heiraten, Verwandtschaften und Freundschaften stifteten, mit unterhaltenden Scherzen und angenehmen Reden das Gemüt der Niedergeschlagenen erheiterten und den Hof vergnügten und mit ernstlichen Strafreden auf väterliche Art die Fehler und Laster der Bösen und Bösartigen tadelten – und das alles, ohne großen Lohn dafür zu erwarten. Heutigen Tages sieht man sie ihre Zeit damit zubringen, dass sie einer hinter dem Rücken des andern Übles reden, Zwietracht ausstreuen, lasterhafte und gottlose Reden führen und, was noch schlimmer ist, gottlose Handlungen vor jedermanns Augen begehen und sich dann einander alle ihre Bosheiten und Schandtaten, wahr oder unwahr, öffentlich vorwerfen, und gute Menschen durch allerlei falsche Vorspiegelungen zu niederträchtigen und schändlichen Schritten verführen. Derjenige wird am liebsten gehalten und von den verderbten Großen am meisten geehrt und durch die größten Belohnungen emporgehoben, der die unflätigsten Reden führt und die verworfensten Handlungen begeht: zur großen Schande und Vorwurf für die jetzige Welt und zum offenbaren Beweise, dass die Tugenden von uns gegangen sind und das elende Menschengeschlecht im Schlamm der Laster versinkt.
Doch damit ich den Faden wieder aufnehme, von dem ich mich, durch gerechten Unwillen bewogen, weiter entfernt hatte, als ich wollte, so muss ich bemerken, dass dieser Guglielmo, den ich vorher nannte, von allen Edelleuten in Genua geehrt und gerne gesehen ward. Nachdem er einige Zeit in Genua gewesen war und vieles von dem Geiz und der Filzigkeit des Ermino gehört hatte, ward er neugierig, ihn kennenzulernen. Messer Ermino hatte schon gehört, dass Guglielmo Borsiere ein trefflicher Mann sei, und da er bei all seinem Geize doch auch ein Fünkchen von guter Aufführung besaß, so empfing er ihn mit sehr freundlichen Worten und mit vergnügter Miene, ließ sich in verschiedene Gespräche mit ihm ein und führte während der Unterredung ihn und einige Genueser, die mit ihm gekommen waren, in ein schönes, neues Haus, das er hatte bauen lassen. Wie er ihm alles darin gezeigt hatte, sprach er zu ihm: „Messer Guglielmo, Ihr habt doch vieles gesehen und gehört, könnt Ihr mir nicht etwas angeben, das man noch nie gesehen hat, damit ich es hier in meinem Hause könnte malen lassen?“
Guglielmo antwortete ihm auf sein wunderliches Ansinnen: „Herr, ich glaube nicht, dass ich Euch etwas nennen könnte, das man noch nie gesehen hat, es wäre denn das Niesen oder etwas Ähnliches. Allein ich wollte Euch wohl etwas nennen, das Ihr selbst (wenigstens wie ich glaube) nie gesehen habt.“ „Und was wäre denn das?“ fragte Ermino.
„Lasst die Freigebigkeit malen“, antwortete ihm Guglielmo.
Von diesen Worten fühlte sich Messer Ermino derart beschämt, dass er auf der Stelle seine Gesinnung wechselte und erwiderte: „Herr Guglielmo, ich will sie dergestalt malen lassen, dass weder Ihr noch ein anderer mir jemals wieder mit Recht den Vorwurf machen soll, ich hätte sie nie gesehen noch gekannt.“ Und von dem Tage an wirkten die Worte des Guglielmo so stark auf ihn, dass er der freigebigste und umgänglichste