dass dies gar nichts mit Dagmar zu tun hatte, kam sie nicht.
Das Kind hatte die Suppe mit großem Appetit gegessen, als die Tür aufging und Alf erschien. Er war bestens gelaunt.
»Na, was sehe ich denn da«, rief er aus. »Uns schmeckt es ja schon wieder.«
»Mutti hat mich auch gefüttert«, berichtete Dagmar. »Wo ist denn Tante Melanie, Onkel Alf?«
»Zu Hause. Sie besucht dich am Nachmittag, aber du brauchst ihr nicht zu verraten, dass ich hier gewesen bin. Du auch nicht, Ursula.«
»Warum nicht?«, fragte Dagmar.
»Das ist noch ein Geheimnis. Ich verrate es dir später mal. Ich habe dir auch was mitgebracht. Magst du das?«
Er setzte ihr einen kleinen Plüschhund auf die Bettdecke.
»Der ist niedlich«, sagte Dagmar. »Aber dann darf ich Tante Melanie wohl auch nicht erzählen, dass ich den von dir habe?«
»Du kannst ihn ja unter die Decke stecken.«
»Da kriegt er aber keine Luft.«
Er lachte. »Er ist ja nicht lebendig. So, kleine Maus, jetzt muss ich wieder ins Geschäft. Iss nur tüchtig, damit du bald wieder herumspringen kannst.« Er sah Ursula an. »Kann ich dich ein paar Minuten entführen?«
Da klopfte es leise an die Tür. Ursula drückte die Klinke nieder. Vor ihr stand Maxi.
»Darfst du denn schon herumlaufen?«, fragte sie erschrocken.
»Der Onkel Doktor hat’s erlaubt. Ich darf auch mal dein kleines Mädchen besuchen. Ein paar Minuten, hat er gemeint.«
»Das ist Maxi«, sagte Ursula zu Dagmar, die staunend den Jungen anschaute.
Maxi ergriff Dagmars Hand.
»Du siehst aus wie Schwester Ursula, bloß kleiner.«
»Dann unterhaltet euch mal«, bemerkte Ursula und folgte Alf auf den Gang. Ängstlich sah sie ihn an.
»Ich wollte dir nur sagen, dass wir nächste Woche verreisen, Ursula. Tapetenwechsel ist gut für Melanie. Ein Urlaub ist schon längst überfällig.« Er lächelte verlegen. »Du hast Zeit, dir alles zu überlegen. Ich bin gewiss nicht dagegen, wenn Dagmar wieder zu uns kommt.«
»Ich möchte sie aber behalten«, entgegnete Ursula bebend.
»Ich verstehe es ja. Und Melanie wird sich damit abfinden. Es wird schon alles in Ordnung kommen, du Angsthase.«
Sie konnte es nicht glauben, dass sie in ihm einen Verbündeten hatte und keinen Gegner. Sie glaubte zu träumen.
*
»Bist du auch krank?«, fragte Dagmar ihren kleinen Besucher.
»Hm, aber jetzt bin ich schon fast gesund.«
»Was hattest du denn für eine Krankheit?«, wollte sie wissen.
»Blinddarm.«
»Was ist denn das?«
Er gab sein erfragtes Wissen weiter. Dagmar staunte.
»Den Bauch haben sie dir aufgeschnitten?«, fragte sie entsetzt.
»Ist gar nicht schlimm. Habe ich doch gar nicht gemerkt. Ist auch bloß ein ganz kleiner Schnitt. Wenn man vom Auto überfahren wird, ist es viel schlimmer.«
»Habe ich aber auch gar nicht gemerkt«, versicherte Dagmar.
Maxi überlegte, was er nun sagen könnte. Ein bisschen komisch war es schon, sich mit einem kleinen Mädchen zu unterhalten, das man noch gar nicht kannte.
»Mein Papi ist Lehrer«, berichtete er.
»Und deine Mutti? Ist die auch Krankenschwester?«
»Nein, ich habe keine Mutti. Du hast ein hübsches Hündchen. Ich habe zu Hause auch Tierchen. Mit denen spiele ich gern. Kommst du mich mal besuchen?«
»Muss ich Mutti fragen. Allein gehe ich nicht mehr weg. Wollte ich auch gar nicht. Mir ist bloß die Haustür zugefallen.«
»Unsere kriegt man wieder auf, wenn sie zufällt. Da braucht man bloß die Klinke runterzudrücken. Bei uns ist es schön. Wir haben auch einen Garten. Jetzt sind die paar Minuten wohl wieder um«, sagte er seufzend. »Ich besuche dich wieder, wenn du willst.«
»Das will ich gern. Möchtest du das Hündchen mitnehmen, Maxi?«
»Das gehört doch dir.«
»Nachher kommt aber Tante Melanie, und der soll ich nicht sagen, dass Onkel Alf hier war. Er hat gesagt, dass ich es unter die Decke stecken soll, aber das kann ich nicht. Dann kriegt es keine Luft.«
»Nein, das kann man nicht. Da fürchtet es sich. Ich hebe es für dich auf.«
Sie verstanden sich auf Anhieb. Dagmar schenkte ihm ein Lächeln.
»Ich habe es sehr gern, wenn du mich besuchst, Maxi«, sagte sie noch einmal.
Sie winkte ihm nach und fand es hier in der Klinik jetzt noch mal so schön.
*
Während Melanie Dagmar am Nachmittag besuchte, musste Ursula die Kinder mit der Nachmittagsmilch versorgen.
Zu ihrem Erstaunen fand sie Maxi heute allein.
»Papi hat heute doch Turnstunde«, klärte er sie auf. »Dagmar hat mir ihr Hündchen in Pflege gegeben, damit es nicht erstickt.«
»Erstickt?«, fragte Ursula verblüfft.
»Weil sie es doch sonst unter die Bettdecke stecken muss. Man muss zu Spielsachen auch lieb sein, gell, Schwester Ursula?«
Sie strich ihm behutsam über den Kopf. »Ja, Maxi.«
»Weil alles eine Seele hat«, bekräftigte er. »Das hat Papi mir gesagt.«
Ihm wurde es ganz eigenartig zumute. Welch ein liebevoller Vater und Erzieher war dieser Hartmut Raimund doch. Sein Vorname passte gar nicht zu ihm.
»Ich mag Dagmar sehr gern«, fuhr Maxi fort. »Sie hat solche Haare und Augen wie du, Schwester Ursula.«
Als sie die Tür öffnete, prallte sie fast mit Hartmut zusammen.
Ganz dicht stand er vor ihr, und beiden stieg das Blut in die Wangen. Er hielt in der Hand ein Sträußchen Schneeglöckchen.
»Für Sie, aus unserem Garten«, sagte er leise.
»Danke«, hauchte sie.
Ganz schnell eilte sie dann in ihr Zimmer hinauf und stellte die zarten Frühlingsgrüße in eine Vase. Ihr Herz schlug aufgeregt.
Nun bilde dir nur nicht gleich zu viel ein, Ursula, ermahnte sie sich.
Und doch konnte sie es nicht verhindern, dass in ihrem Herzen eine leise Sehnsucht erwachte, Hartmut Raimund auch dann noch wiederzusehen, wenn Maxi die Klinik wieder verlassen musste.
*
»Tante Melanie verreist!«, verkündete Dagmar, als Ursula endlich Zeit fand, auch ein paar Worte mit Melanie zu wechseln.
»Alf hat sich ganz schnell entschlossen«, sagte Melanie überstürzt. »Wir fliegen nächste Woche nach Ischia. Ich bringe dir vorher noch Dagmars Sachen vorbei. Wann wird sie denn aufstehen dürfen?«
»Nächste Woche sicherlich.«
»Ich hörte schon, dass sie dann auf den Fohlenhof kommen soll. Das wird ihr sicher Freude machen.« Sie legte eine kleine Pause ein. »Und es ist ja nicht weit entfernt.«
»Ich möchte lieber bei Mutti in der Klinik bleiben«, bemerkte Dagmar. »Oder ich besuche Maxi.«
»Das ist ein kleiner Patient von uns«, erklärte Ursula rasch.
»Sein Papi ist Lehrer, und er hat keine Mutti«, erzählte Dagmar unbekümmert.
Melanie sah