Kathrin Singer

Heimatkinder Staffel 4 – Heimatroman


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Schock haben. Hörst mich?«

      Der Bursch preßte die Lippen zusammen und nickte nur. In seinen Schläfen pochte das Blut. Ihm wurde schmerzlich bewußt, wieviel ihm seine kleine Rosemarie bedeutete und wie groß seine Angst gewesen war!

      Seine Verzweiflung nach der erfolglosen Suche der Bergwacht war kaum zu beschreiben, hatte er doch insgeheim mit jedem Stückerl, das abgesucht wurde, die Hoffnung gehabt, sie würden das Kind finden!

      Jetzt, nachdem er wußte, wo er Roserl finden würde, machten sich seine angegriffenen Nerven bemerkbar. In seinen Mundwinkeln zuckte es unablässig, bis er die Hütte erreichte.

      »Grüß Gott, Herr Achner!« begrüßte ihn der Förster freundlich. »Schad, daß wir uns unter so ungewöhnlichen Umständen kennenlernen mußten!«

      »Grüß Gott, Herr…«

      »Sagen S’ einfach Hubert zu mir, Hubert Grasegger heiß ich. Kommen S’, Ihr Töchterl schläft noch immer. Ich weiß net, ob’s gut ist, wenn Sie es gleich mitnehmen«, gab der junge Mann zu bedenken.

      »Lassen S’ es mich einmal anschaun. Doktor Baumann hat mir gsagt, ich könnt’s holen. Hab eigens die Decke mitnehmen müssen.« Martin trat leise zu seinem Töchterchen. Er kniete sich neben das Sofa und nahm die heißen Händchen in die seinen. Er betrachtete das Kind lange und innig, dann ließ er den Kopf auf den kleinen Körper sinken.

      Angesichts der zuckenden Schultern des knieenden Mannes wandte sich Hubert Grasegger gerührt ab. Wie sehr mußte der junge Achnerbauer sein Töchterl lieben! Mochte gewesen sein, was wollte, aber diese hilflose Geste sagte mehr als Worte!

      »Mögen S’ ein Schnapserl auf den Schrecken, Herr Achner?«

      Martin raffte sich auf. »Ich glaub, ich könnt jetzt einen vertragen! Und bitt schön, sagen S’ Martin zu mir. Wir sollten uns überhaupt duzen. Ich kann dem Lebensretter meiner Tochter grad nix andres anbieten.« Er brachte sogar ein gequältes Lächeln zustande.

      Hubert Grasegger reichte dem neuen Freund die Hand. »Keine Ursach, Martin. War reiner Zufall.«

      »Wo – wo hast denn das Roserl gfunden?« Abwartend hielt er das Stamperl in der Hand.

      »Weit drunten, fast beim Hirschbichl. Also, Martin, auf das Wohl vom Roserl!«

      »Beim Hirschbichl – immer wieder der Hirschbichl!« murmelte Martin, ehe er das Schnapserl auf einen Ruck hinuntergoß. Insgeheim beschloß Martin, das verfluchte Stück Wald an den Sägewerksbesitzer Xandl Hochleitner zu verkaufen, es brachte ihm wahrhaftig kein Glück!

      »Sepherl!« klang es jammernd vom Sofa.

      Martin sprang auf. »Roserl! Hör doch, der Papa ist da! Roserl, so hör doch, Dirndl!« flehte er. Aber das Kind warf nur den Kopf hin und her und hob die Arme. Der junge Vater nahm das Mädchen auf, wickelte behutsam die Decke um den zierlichen Körper, hielt ihren Kopf gegen seine Schulter und trug es langsam aus der Hütte.

      Es war, als würde seine Wärme auf das Kind überströmen. Es lag still in seinen Armen, behielt den Kopf an seine Schulter gelehnt, als er mit ihr bedächtig zum Achnerhof abstieg.

      »Dirndl, warum bist denn nur davonglaufen! Ach, mein Liebes, ich hab solche Angst um dich ghabt!« murmelte er fortwährend in ihr seidiges Haar.

      Martin Achner gab sich das Versprechen, dieses Kind niemals mehr aus den Augen zu lassen. Er würde mit Josepha ins Gericht gehen, denn es war ihre Aufgabe gewesen, auf Roserl Obacht zu geben! Dieses Vergehen konnte er ihr niemals verzeihen!

      *

      Beschwingt lief Josepha Schwarzenberger durch das Portal zum Kinderheim. Sie konnte es kaum erwarten, ihrer Ziehmutter, der Mutter Oberin, gegenüberzustehen.

      »Grüß euch Gott, Mutter Oberin!« Mit Freudentränen in den Augen umarmte sie die geistliche Frau, die ihre Rührung meisterhaft unterdrückte.

      »Dirndl! Was machst denn du in der Stadt? Ich dachte, du hättest grad genug auf dem Achnerhof zu tun.«

      »Freilich, das hab ich auch. Aber ich hab sowieso kommen müssen.« Josephas Kinn sank auf ihre Brust.

      »Nun setz dich erst einmal. So. Und nun erzähl, wie’s dir ergangen ist.« forderte die kluge Frau das Mädchen auf. Sie ahnte bereits, daß Josepha nicht nur in die Stadt gekommen war, um ihr einen Besuch abzustatten.

      Das Dirndl wand sich ein wenig, doch schIießlich schob sie der Mutter Oberin einen Umschlag zu.

      »Was ist das, Josepha?«

      »Bitt schön, Mutter Oberin, Sie dürfen’s erst öffnen, wenn ich wieder fort bin!« Dem Mädchen stieg das Blut in die Stirn. Es war aber auch wirklich sehr schwer, Geld zu verschenken!

      »Hm. Gut, also, nun erzähl schon.« Der Umschlag verschwand in dem weiten Gewand der Oberin.

      »Eigentlich ist net viel zu sagen. Meine Mutter hat das Zeitliche gesegnet. Ich bin einen Tag zu spät gekommen, sie hätt mich gern noch gsehen.« Josepha zuckte mit den Schultern. Traurig fuhr sie fort: »Aber sie war mir eh nie eine richtige Mutter. Nun ist sie halt nimmer.«

      »Josepha! Das ist net recht gedacht von dir! Sie hat ihre Gründe ghabt, damals, als sie dich zu mir brachte. Merk dir eines, mein Kind, manchmal geschehen unbegreifliche Dinge im Leben, die ihren Sinn haben. Du mußt das Andenken deiner Mutter dennoch in Ehren halten, hörst du? Auch wenn du es nicht verstehst!« Die Worte der Mutter Oberin klangen sehr streng.

      »Aber…«

      »Nix aber! Deine Mutter hat dich geliebt, wie jede Mutter ihr Kind liebt! Niemand hat das Recht, über Vater oder Mutter zu richten, das ist einzig Sache unseres Herrgotts!«

      Beschämt nickte Josepha. Vielleicht hatte die Mutter Oberin ja recht. Wie sehr wünschte sie, daß es wirklich so war!

      »Und was gibt es vom Achnerhof zu berichten? Entwickelt sich das Kind gut?«

      Jetzt trat ein seltsamer Glanz in Josephas helle Augen. »O ja, Mutter Oberin, ich bin sehr glücklich mit meinem kleinen Roserl! Sie ist ein braves, liebes Ding.«

      »Dann ist’s recht, Dirndl. So, und nun mußt dich auf den Heimweg machen, sonst bist erst in der Nacht droben. Es war schön, dich wieder einmal zu sehen! Du schaust fesch aus, bist nimmer so mager!« Die geistliche Frau zwickte ihr scherzhaft in die Hüften.

      Josepha verabschiedete sich hastig, denn sie hatte wahrlich ein schlechtes Gewissen wegen der kleinen Rosemarie. Sie hatte sie gewiß arg vermißt.

      Aber es gab noch einen anderen Grund, warum das Dirndl sich beeilte. Als die Mutter Oberin vom Achnerhof gesprochen hatte, war ihr schmerzlich bewußt geworden, wie sehr sie sich dort daheim fühlte – vor allem aber, wie sehr sie Martin, den geliebten Bauern, vermißte!

      Seitdem der Bursch fast wieder so war wie früher, hatte sich Josepha die doppelte Mühe gegeben, um ihm alles recht zu machen. Aber er sah es nicht. Jedenfalls zeigte er nicht, daß er es bemerkte.

      Und nun war sie hier in der fremd gewordenen Stadt, lief mit schnellen Schritten durch die Gassen, sah nicht nach rechts oder links. Doch plötzlich kam ihr eine Idee. Warum sollte sie für Roserl nicht ein schönes Geschenk mitbringen, quasi als Entschädigung für ihr Wegbleiben?

      Josepha hatte den alten Marktplatz erreicht und schaute auf die Rathausuhr. Fast drei Uhr nachmittag. Das langte noch gut. Sie fand ein kleines Geschäft, dessen Schaufenster einladend mit vielen schönen Spielsachen ausgestattet war. Entschlossen trat sie in den Laden.

      »Grüß Gott, Fräulein«, wurde sie von einer freundlich lächelnden älteren Frau begrüßt. »Was darf’s denn sein, bitt schön?«

      »Grüß Gott. Ich hätt gern den Teddy dort, den, der so lustige Sachen anhat.« Josepha zeigte auf einen kuscheligen Stoffbären, der sie in seinen kurzen Lederbuxen und dem rot-weiß karierten Hemd anzulachen schien.

      Während die Frau den Bären behutsam in eine Schachtel legte, zählte Josepha das Geld ab.

      Jetzt