Eugenie Marlitt

Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte


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die ihr Herz zu erfüllen schien, spurlos verflüchtigen können, so daß sie jetzt beklagte, was nach ihren früheren Aeußerungen doch ein glückliches Ereignis für sie sein mußte? … Und wenn auch der Heimgekehrte nicht mit dem Kreise sympathisierte, in welchem sie sich allein beglückt fühlte, selbst wenn er ihre liebsten Wünsche durchkreuzte, war es trotzdem möglich, daß sofort Kälte und Groll zwischen zwei Wesen treten konnten, die das Geschick eng aneinander gekettet hatte, und die sich um so inniger angehören mußten, als das eine schutzbedürftig war, und das andere so allein stand in der Welt? … Elisabeth fühlte plötzlich ein tiefes Erbarmen für den Mann, der ferne Meere durchschifft, fremde Länder einsam durchstreift hatte und nun nach langem Umherirren bloß als störendes Element am eigenen Herde begrüßt wurde. Allem Anscheine nach hatte er nur den einen warmen Punkt, die Liebe zu der Schwester in seinem stolzen Herzen; wie tief mußte es ihn dann verwunden, daß gerade sie kein freundliches Willkommen für ihn hatte und ihr Herz kalt von ihm abwandte!

      Unter diesen Betrachtungen ordnete Elisabeth die Blumen in der Vase. Sie hatte mit keiner Silbe aus Helenes leidenschaftlichen Ausbruch geantwortet, der so rücksichtslos den Bruder vor fremden Ohren anklagte. Offenbar fühlte die junge Dame selbst, vielleicht durch Elisabeths Schweigen beschämt, daß sie sich hatte hinreißen lassen, denn sie bat plötzlich mit gänzlich veränderter Stimme, einen Stuhl zu nehmen und ihr ein wenig Gesellschaft zu leisten.

      In diesem Augenblicke wurde die Thür heftig ausgestoßen, und eine weibliche Gestalt erschien auf der Schwelle. Es kostete Elisabeth Mühe sich zu überzeugen, daß diese Erscheinung in äußerst vernachlässigter Toilette, und alle Zeichen großer Aufregung an sich tragend, die Baronin Lessen war. Das spärliche, sonst stets mit peinlicher Sorgfalt geordnete Haar fiel aus einer Morgenhaube auf die Stirn, die gewöhnlich so blaß und elfenbeinartig jetzt eine dunkle Röte überflammte. Aus den Augen war das stereotype stolze Selbstbewußtsein gewichen, und wie unbedeutend erschienen sie jetzt, als sie scheu und erschreckt in das Zimmer blickten!

      »Ach, Helene!« rief sie angstvoll, ohne Elisabeth zu bemerken, und mit ungewohnt raschen Schritten ihre korpulente Gestalt vorwärts bewegend, »Rudolf hat soeben den unglücklichen Linke auf sein Zimmer befohlen … Er wütet und tobt so laut gegen den armen Menschen, daß es über den Hof bis in mein Schlafzimmer schallt … Gott, ich fühle mich so elend … der heutige Morgen hat mich so angegriffen, daß ich mich kaum auf den Füßen halten kann; aber ich konnte die Ungerechtigkeit nicht länger mit anhören und flüchtete hierher … Und diese feilen Seelen, diese Dienerschaft, die während Rudolfs Abwesenheit nicht mit den Augen zu blinzeln gewagt, da steht sie frech unter den Fenstern und belacht schadenfroh das Unglück, was über einen treuen Diener hereinbricht … Es stürzt alles zusammen, was ich mühsam im Dienste des Herrn und zum Heil des Hauses aufgerichtet habe … Und daß Emil gerade in Odenberg sein muß! Wie beklagenswert und verlassen sind wir, teure Helene!«

      Sie schlang ihre Arme um den Hals der jungen Dame, die sich bestürzt und leichenblaß erhoben hatte. Diesen Moment benützte Elisabeth, um aus dem Zimmer zu schlüpfen.

      Als sie den Korridor betrat, der in das Vestibül mündete, schallte ihr lautes Sprechen entgegen. Es war eine tiefe, klangreiche Männerstimme, welche sich dann und wann in heftiger Erregung steigerte, nie aber, selbst im höchsten Affekt, eine Spur von Schärfe annahm. Obgleich sie kein Wort verstehen konnte, so bebte sie doch schon bei dem Klange der Stimme; es lag etwas Unerbittliches, Eisernes in der Art und Weise, wie die einzelnen Sätze markiert wurden.

      Der Schall in dem langen Korridor täuschte. Elisabeth wußte nicht, von welcher Seite die Stimme kam, und lief deshalb vorwärts, um schneller ins Freie gelangen zu können. Aber schon nach wenig Schritten hörte sie, als stände sie neben dem Sprechenden, die Worte. »Sie verlassen Lindhof bis morgen abend.«

      »Gnädiger Herr –« wurde geantwortet.

      »Es ist mein letztes Wort, gehen Sie!« klang es gebieterisch, und in demselben Augenblick sah sich Elisabeth zu ihrem Schrecken neben einer weit offenen Flügelthür. Eine hohe Männergestalt stand, die linke Hand auf den Rücken gelegt und mit der rechten auf die Thür zeigend, mitten im Zimmer. Ein Paar sprühende dunkle Augen begegneten ihrem Blicke, den sie tief betroffen abwandte, indem sie schnell nach dem Vestibül und hinaus in den Garten eilte … Ihr war, als verfolge sie dieser Blick, aus dem eine empörte Seele flammte, und treibe sie rastlos weiter.

      Als die Familie Ferber beim Abendbrote zusammensaß, erzählte der Vater lebhaft angeregt, daß er heute im Forsthause die Bekanntschaft des Herrn von Walde gemacht habe.

      »Nun, und wie hat er dir gefallen?« fragte seine Frau.

      »Ja, das ist eine Frage, liebes Kind, die ich dir vielleicht erst in einem Jahre beantworten könnte, vorausgesetzt, daß ich täglich Gelegenheit hätte, mit dem Gutsherrn zu verkehren, und da fragt es sich noch sehr, ob ich wirklich im stande sein würde, ein Endurteil zusammenzufassen … Mir ist der Mann dadurch interessant geworden, daß man fortwährend angeregt wird, darüber nachzudenken, ob er das wirklich ist, was er scheint, nämlich eine völlig kalte, leidenschaftslose Natur … Er kam zu meinem Bruder, um näheres über den Vorfall zwischen seinem Verwalter und der armen Taglöhnerswitwe zu hören, weil man ihm irrigerweise gesagt hatte, daß Sabine die Mißhandlung selbst mit angesehen hätte. Sie wurde hereingerufen und mußte erzählen, wie sie die Schneider gefunden habe. Er fragte nach dem kleinsten Umstande, aber immer kurz, bestimmt. Welchen Eindruck Sabines Bericht ihm machte, darüber blieb man völlig im Dunkeln, so undurchdringlich war sein Blick; nicht die leiseste Bewegung in seinen Zügen verriet die Richtung seiner Gedanken … Er kommt direkt aus Spanien. Aus den wenigen Aeußerungen, zu denen er sich herabließ, konnte man entnehmen, daß ihm brieflich durch irgend einen Freund das Unwesen auf seinem Gute mitgeteilt worden war, worauf er sofort die Rückreise nach Thüringen angetreten hatte.

      »Und seine äußere Erscheinung?« fragte Frau Ferber.

      »Gefällt mir, obgleich mir so viel Zurückweisung und Unnahbarkeit in Haltung und Bewegung fast noch nie bei einem Menschen vorgekommen ist. Ich begreife vollkommen, daß man ihn für unbegrenzt hochmütig hält, und doch kann ich mir anderseits wieder nicht einreden, daß hinter den merkwürdig geistvollen Gesichtszügen ein so thörichter Wahn Grund und Boden habe. Sein Gesicht hat stets den Ausdruck kalter Ruhe, dessen ich gedachte; nur zwischen den Augenbrauen liegt ein, ich möchte sagen, unbewachter Zug; der flüchtige Beobachter würde ihn höchst wahrscheinlich finster nennen, ich aber finde ihn melancholisch schwermütig.«

      Elisabeth hörte dieser Schilderung nachdenklich zu. Sie hatte bereits die Erfahrung gemacht, daß jene kalte Ruhe auf Momente bedeutend aus dem Geleise weichen konnte, und erzählte dem Vater die Szene, deren Zeugin sie gewesen war.

      »Nun, da ist ja das Strafgericht schneller hereingebrochen, als sich denken ließ,« sagte Ferber. »Möglich, daß der Onkel mit seinen Aeußerungen auch das Seinige dazu beigetragen hat – der kennt keine Rücksicht, sobald er um sein Urteil befragt wird. Er hat dem Schloßherrn so reinen Wein eingeschenkt, daß auch nicht ein Jota von dem auf seinem Herzen blieb, was ihn im Verlaufe eines Jahres ergrimmt hat.«

      10.

       Inhaltsverzeichnis

      Kaum eine Woche war seit jenem Abende vergangen. Diese wenigen Tage aber hatten einen gewaltigen Umschwung im Lindhofer Schlosse hervorgebracht, wie man hörte. Der entlassene Verwalter war bereits durch einen neuen ersetzt, dem jedoch sehr enge Grenzen gesteckt waren, indem der Gutsherr sich selbst die Oberaufsicht vorbehielt. Einige Taglöhner, die man eigenmächtig verabschiedet hatte, weil sie dem Ortsgeistlichen anhingen und der Bibelstunde im Schlosse einigemal untreu geworden waren der dringenden Arbeit wegen, oder auch, weil sie von Kandidaten Möhring das Wort Gottes nicht hören wollten, arbeiteten wieder nach wie vor auf dem Gute. Gestern, als am Sonntage, hatte Herr von Walde in Begleitung der Baronin Lessen und der kleinen Bella dem Gottesdienste in der Dorfkirche zu Lindhof beigewohnt. Herr Kandidat Möhring war zum Erstaunen der Gemeinde als Zuhörer neben der Orgel erschienen – und mittags hatte der würdige Dorfpfarrer im Herrschaftshause gespeist … Doktor Fels kam jeden