Eugenie Marlitt

Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte


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Kies bestreuten Parkpfad betreten, es war Zeit zum Abschiede, der von Besuchern und Besuchten auf das herzlichste genommen wurde.

      »Höre, Else,« sagte Ernst, als die anderen drei hinter dem nächsten Boskett verschwunden waren, »wir wollen doch einmal sehen, wer von uns beiden zuerst dort an der Ecke sein wird.« Diese Ecke war die Mündung eines schmalen Waldweges, der sich an dem Fuße des Berges hinzog.

      »Gut, mein Junge!« lachte Elisabeth und begann zu laufen. Anfangs hielt sie Schritt mit den Beinchen, die tapfer nebenher trippelten und sich mühten, ihr den Vorsprung abzugewinnen; in der Nähe des Zieles jedoch flog sie, um den Kleinen zu necken, wie eine Feder vorwärts und stand mit einem Schritte mitten im Waldwege, zu ihrem Schrecken aber auch dicht vor einem Pferdekopfe, der sie heftig anschnaubte. Hektor, welcher nebenher gelaufen war, erhob ein lautes Gebell … Das Pferd machte einen furchtbaren Satz nach rückwärts und stand in einem Nu fast kerzengerade auf den Hinterbeinen.

      »Zurück!« rief eine gewaltige Stimme. Elisabeth umfaßte den Knaben, der inzwischen herangekommen war, und sprang seitwärts mit ihm; fast in demselben Momente stürzte das Pferd aus dem Walde hervor und brauste, mit seinen Hufen kaum die Erde berührend, querfeldein … Herr von Walde ritt das scheu gewordene Tier, das die gewaltigsten Anstrengungen machte, seinen Reiter abzuwerfen; aber er saß fest wie eine Mauer, nur einmal bog er sich herab und hieb mit der Gerte nach Hektor, der in tollen Sprüngen auf und ab jagte und das Pferd durch sein Gebell immer wilder machte. Eine Weile zerstampfte der Renner den großen Rasenplatz, dann wendete er sich plötzlich seitwärts und verschwand jenseits im Walde.

      Elisabeth fühlte, wie ihr die Zähne zusammenschlugen in namenloser Angst, denn nun zweifelte sie keinen Augenblick mehr, daß ein Unglück geschehen müsse. Sie nahm Ernst bei der Hand und wollte nach dem Schlosse laufen, um Hilfe zu holen, allein schon nach wenigen Schritten sah sie den Reiter zurückkehren. Das Tier war ruhiger, der Schaum floß vom Gebisse, und Elisabeth sah, wie die Beine des Pferdes zitterten. Herr von Walde klopfte es liebkosend auf den Hals, sprang herab und band es an einen Baum, dann schritt er auf Elisabeth zu.

      »Verzeihen Sie!« sagte das junge Mädchen mit bebender Stimme, als er vor ihr stand.

      »Was denn, mein Kind?« entgegnete er mild. »Sie haben ja nichts verbrochen … Kommen Sie, setzen Sie sich ein wenig hier auf die Bank … Sie haben sich erschreckt und sind totenblaß geworden.«

      Er machte eine Bewegung, als wolle er ihre Hand ergreifen und sie führen, aber sein Arm sank sogleich wieder herab. Elisabeth folgte mechanisch seinem Geheiße, er setzte sich ohne weiteres neben sie. Der kleine Ernst lehnte sich an seine Schwester und sah Herrn von Walde mit seinen großen, schönen Augen unverwandt ins Gesicht. Der Kleine war nur einen Moment erschrocken gewesen, als das Pferd unvermutet aus dem Walde hervorkam; das Umherjagen auf der Wiese aber hatte ihn amüsiert, denn er hatte keine Ahnung von der Gefahr.

      »Was hatten Sie vor, als Sie vorhin so stürmisch in den Wald einzudringen versuchten?« fragte Herr von Walde Elisabeth nach einem kurzen Schweigen.

      Ein schelmisches Lächeln schwebte um die noch immer blassen Lippen des jungen Mädchens. »Ich wurde verfolgt,« antwortete sie.

      »Von wem?«

      »Von diesem hier,« – sie zeigte auf Ernst – »wir sind um die Wette gelaufen.«

      »Ist der Kleine Ihr Bruder?«

      »Ja.« Sie sah dem Knaben zärtlich ins Gesicht und strich mit der Hand über seinen dunklen Lockenkopf.

      »Und sie ist meine einzige Schwester,« bemerkte der Kleine mit großem Nachdrucke.

      »So – nun, wie es scheint, verträgst du dich sehr gut mit dieser einzigen Schwester?« sagte Herr von Walde.

      »O ja, ich habe sie sehr lieb … sie spielt mit mir gerade wie ein Junge.«

      »Wirklich?« fragte Herr von Walde.

      »Wenn ich exerzieren will, dann setzt sie sich einen ebensolchen Papierhut auf, wie sie mir einen macht, und trommelt durch den Garten, solange ich will. Vorm Schlafengehen erzählt sie mir Geschichten und streicht mir auch die Butterbrote viel dicker als Mama.«

      Ein heiteres Lächeln glitt über Herrn von Waldes Gesicht. Elisabeth sah es zum erstenmal und fand, daß es seine Lüge, deren tiefen Ernst sie für unverwischbar gehalten hatte, unbeschreiblich anziehend machte … es kam ihr vor, wie der klare Sonnenglanz, der unerwartet über einen wolkendüsteren Himmel hinfliegt.

      »Du hast recht, mein Junge,« sagte er und zog den Kleinen zu sich hinüber, »das sind ohne Zweifel anerkennenswerte Eigenschaben; aber wird sie nie böse?« fragte er weiter, indem er auf Elisabeth zeigte, die wie ein Kind lachte, denn Ernsts Mitteilungen erschienen ihr urkomisch.

      »Nein, böse niemals,« antwortete der Knabe, »nur ernsthaft manchmal, und dann spielt sie immer Klavier.«

      »Aber Ernst …«

      »O ja, Else,« fiel ihr der Kleine eifrig ins Wort, »weißt du noch, in B., wo wir so arm waren?«

      »Nun, da magst du freilich recht haben,« erwiderte das junge Mädchen unbefangen, »aber das war doch nur in der Zeit, wo Papa und Mama allein sich abmühen und für das tägliche Brot arbeiten mußten, später wurde es ja besser.«

      »Aber Sie spielen noch Klavier?«

      »Ja,« entgegnete Elisabeth lachend, »jedoch nicht mehr in dem Sinne, wie Ernst es meint – die Meinen sind ja versorgt.«

      »Und Sie?« forschte Herr von Walde weiter.

      »Nun, ich? Ich habe den Mut, es mit dem Leben aufzunehmen und ihm das abzuringen, was zu meiner Selbständigkeit nötig ist.«

      »Wie wollen Sie das anfangen?«

      »Ich werde im nächsten Jahre eine Stelle als Erzieherin annehmen.«

      »Schreckt Sie Miß Mertens’ Beispiel nicht zurück?«

      »Ganz und gar nicht … Ich bin nicht so schwach, ein müheloses Brot zu wünschen, wo ich Tausende in meinen Verhältnissen mutig die Last der Dienstbarkeit auf sich nehmen sehe.«

      »Hier handelt es sich aber nicht allein um die Arbeit, sondern auch um das Ertragen und Dulden … Sie sind stolz; nicht allein Ihr Gesicht in diesem Augenblicke, sondern auch Ihre gestern ausgesprochenen Ansichten beweisen es.«

      »Nun ja, es mag Stolz sein, daß ich die Menschenwürde höher stelle, als jede Aeußerlichkeiten, die der Egoismus erfunden hat und aufrecht erhält – aber ebendeshalb glaube ich auch, daß ein Mensch den andern nur insofern demütigen kann, als er moralisch und geistig hochstehend, ihm unerreichbar erscheint – niemals aber durch erniedrigende Behandlung.«

      »Und Sie glauben sich durch diese Ansicht gestählt gegen alle jene großen und kleinen Leiden, die eine launenhafte, herzlose Herrin über Sie verhängen kann?«

      »O nein, aber ich werde mit ihr den Kopf oben behalten.«

      Es entstand eine kleine Pause, während welcher Ernst sich dem Pferde näherte und dasselbe mit großer Aufmerksamkeit betrachtete.

      »Aus Ihren gestrigen Reden schloß ich, daß Sie Ihre jetzige Heimat lieben,« begann Herr von Walde wieder.

      »Ja, unbeschreiblich.«

      »Nun, ich begreife das; denn wir haben hier das schönste Stück Thüringens … Wie ist es Ihnen dann aber möglich, den Gedanken so leicht zu nehmen, daß Sie wieder gehen müssen?«

      »Leicht wird es mir auch durchaus nicht, im Gegenteil, aber mein Vater hat mich gelehrt, daß man stets das Notwendige über die Annehmlichkeit stellen müsse, und das begreife ich vollkommen … weniger klar dagegen ist es mir, wie man die Annehmlichkeit verlassen kann, ohne daß es die Notwendigkeit gebietet.«

      »Ah, das gilt mir! … Sie fassen es nicht, daß ein Mensch freiwillig in den dumpfen Pyramiden steckt, während er im kühlen sonnigen Thüringen atmen könnte.«

      Elisabeth fühlte, wie ihr eine brennende Röte in