Eugenie Marlitt

Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte


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ganze Kapitel wurden stehenden Fußes, bei offenen Thüren und Fenstern in aller Eile durchflogen. Miß Mertens und ihr Umzug versanken, als ob sie nie dagewesen, und die Gedanken des jungen Mädchens flatterten eben neben Goethes gewaltiger Erscheinung durch das Gewühl bei der Krönung Josephs des Zweiten, als über ihre Schulter herab eine frische Rose auf das Buch fiel. Elisabeth erschrak, aber gleich darauf lächelte sie und las ruhig weiter, mit einer leichten Wendung die Rose abschüttelnd. Miß Mertens, die ohne Zweifel hinter ihr stand, sollte den Triumph ihrer Neckereien nicht genießen … Plötzlich aber stieß sie einen leisen Schrei aus – eine schöngeformte, weiße Männerhand kam neben ihr zum Vorschein und legte sich sanft auf die ihre. Sie drehte sich um, nicht Miß Mertens, sondern Hollfeld stand hinter ihr und breitete lächelnd seine Arme aus, als wolle er die Erschrockene auffangen.

      Sofort verwandelte sich ihr Schrecken in Zorn und Entrüstung, aber ehe sie noch ein Wort hervorbringen konnte, rief eine befehlende, rauh klingende Stimme in ihrer Nähe. »Emil, du wirst im ganzen Hause gesucht. Dein Verwalter aus Odenberg hat dir Dringendes mitzuteilen. Gehe hinüber!«

      Neben Elisabeth befand sich das Fenster – es war offen. Draußen stand Herr von Walde und sah, beide Arme auf die Brüstung gestemmt, in das Zimmer herein. Er hatte die Worte gerufen, die den tödlich erschrockenen Hollfeld wie eine Handvoll Spreu hinauswehten. Welcher Ausdruck voll Grimm lag in diesem Augenblicke auf der unbedeckten Stirn, in den zusammengepreßten Lippen und dem funkelnden Auge, das noch eine Weile nach der Thür starrte, durch welche Hollfeld verschwunden war!

      Endlich fiel sein Blick wieder auf Elisabeth, die bis dahin regungslos gestanden hatte, jetzt aber, von ihrem zwiefachen Schrecken sich erholend, eine Bewegung machte, als wolle sie in den Hintergrund des Zimmers zurücktreten.

      »Was thun Sie hier?« fragte er barsch; seine Stimme hatte genau den rauhen Klang wie zuvor. Das junge Mädchen fühlte sich tief verletzt durch die Art und Weise der Anrede und war im Begriffe, trotzig zu antworten, als sie bedachte, daß sie ja auf seinem Grund und Boden stehe; deshalb erwiderte sie ruhig.

      »Ich ordne Miß Mertens’ Bücher.«

      »Sie hatten eine andere Antwort auf den Lippen – ich sah es und will sie wissen.«

      »Nun denn – ich wollte sagen, daß ich auf eine so ungewöhnliche Art zu fragen keine Antwort habe.«

      »Und warum unterdrückten Sie diese – Zurechtweisung?«

      »Weil mir einfiel, daß Sie hier das Recht haben zu befehlen!«

      »Das ist lobenswert, daß Sie dies einsehen, denn ich bin gesonnen, dieses mein gutes Recht gerade in diesem Augenblicke voll zur Geltung zu bringen – zertreten Sie die Rose, die da so schmachtend zu Ihren Füßen liegt.«

      »Das werde ich nicht thun – denn sie hat nichts verschuldet.« Sie hob die Rose, eine schöne, halbgeöffnete Centifolie, vom Boden auf und legte sie auf den Fenstersims. Herr von Walde ergriff die Blume und warf sie ohne weiteres auf den Rasenplatz.

      »Dort stirbt sie einen poetischen Tod,« sagte er ironisch, »die Grashalme decken sie zu, und abends kommt ein mitleidiger Tau und weint seine Thränen auf die arme Geopferte.«

      Die Spannung in seinen Zügen hatte nachgelassen, aber sein Auge hatte noch denselben Inquisitorenblick wie zuvor, und auch sein Ton klang nicht viel milder, als er fragte.

      »Was lasen Sie eben, als ich das Unglück hatte zu stören?«

      »Goethes ›Wahrheit und Dichtung‹.«

      »Kennen Sie das Buch?«

      »Nur einzelne Auszüge.«

      »Nun, wie gefällt Ihnen die rührende Geschichte vom Gretchen?«

      »Ich kenne sie nicht.«

      »Sie halten sie ja gerade aufschlagen in den Händen.«

      »Nein, ich las die Krönung Josephs des Zweiten in Frankfurt.«

      »Zeigen Sie her.«

      Sie gab ihm das aufgeschlagene Buch.

      »Wahrhaftig! … Aber sehen Sie doch, wie abscheulich das ist! gerade hier, wo Goethe den Kaiser die Römerstiege hinaufschreiten läßt, ist ein häßlicher saftgrüner Fleck … Sie haben ohne Zweifel die Rosenblätter zu innig darauf gedrückt, das werden der Kaiser, Goethe und Miß Mertens Ihnen sicher nicht verzeihen.«

      »Der Fleck ist alt, ich habe die Rose gar nicht berührt.«

      »Aber Sie haben gelächelt bei ihrem Anblicke.«

      »Weil ich glaubte, sie sei von Miß Mertens.«

      »Ach, diese Freundschaft hat etwas Rührendes! … Es war jedenfalls eine Enttäuschung für Sie, als Sie statt der Freundin das schöne Gesicht meines Vetters hinter sich sahen?«

      »Ja.«

      »›Ja‹ – wie das nun klingt! … Ich liebe die lakonische Kürze; aber sie darf mich nicht im Zweifel lassen … Was soll ich nun mit diesem ›Ja‹ anfangen? Es klingt weder süß noch bitter, und dazu Ihr Gesicht! … Warum haben Sie plötzlich eine trotzige Falte zwischen den Augen?«

      »Weil ich denke, jedes Recht habe seine Grenzen.«

      »Ich wüßte nicht, daß ich in diesem Augenblicke von meinem Rechte Gebrauch gemacht hätte.«

      »Das wird Ihnen gewiß klar werden, wenn Sie sich die Frage stellen, ob Sie mir in meines Vaters Hause in so rauher Weise begegnen würden.«

      Eine tiefe Blässe flog über Herrn von Waldes Gesicht. Er preßte die Lippen aufeinander und trat einen Schritt zurück. Elisabeth nahm das Buch, das er auf den Fenstersims gelegt hatte, und ging nach dem Bücherschranke, um ihn zu schließen.

      »Ich würde unter den gleichen Verhältnissen in Ihres Vaters Hause ganz ebenso gesprochen haben,« sagte er nach einer Weile etwas ruhiger und wieder näher an das Fenster herantretend. »Sie haben mich ungeduldig gemacht, warum antworten Sie so unbestimmt … Wie soll ich nach der einzigen Silbe wissen, ob jene Enttäuschung eine unangenehme war, oder eine willkommene? … Nun?«

      Er bog sich weit in das Fenster hinein und sah starr in ihr Gesicht, als wolle er eine Antwort von ihren Lippen ablesen; aber sie wendete sich entrüstet ab … Abscheulich! wie war es nur möglich, zu denken, daß Hollfeld ihr je willkommen sein könne! Mußte nicht ihr Gesicht, ihr ganzes Wesen dem verhaßten Menschen gegenüber stets und immer ihre tiefste Abneigung beweisen?

      In diesem Augenblicke trat Miß Mertens in das Zimmer, um das junge Mädchen abzuholen; sie war mit allem fertig und vollständig gerüstet, das Haus zu verlassen. Elisabeth eilte aufatmend ihr entgegen, während Herr von Walde das Fenster verließ und draußen einigemal auf und ab schritt. Als er wieder näher trat, verbeugte sich Miß Mertens tief und ging freudig auf ihn zu. Sie sagte ihm, daß sie heute schon mehrere Male bei ihm vergeblich Zutritt gesucht habe und sich nun freue, ihm doch noch ihren Dank aussprechen zu dürfen für alle seine Güte und Fürsorge.

      Er winkte abwehrend mit der Hand und wünschte ihr dann Glück zu ihrer Verlobung. Er sprach sehr ruhig. Wie durch einen Zauberschlag hatte sich plötzlich seine ganze Erscheinung wieder mit dem Nimbus der Hoheit und Unnahbarkeit umgeben, so daß Elisabeth nicht mehr begriff, wo sie den Mut hergenommen hatte, diesen Mann auf die Gesetze der allgemeinen Höflichkeit zurückzuführen … Die vorhin so leidenschaftlich flammenden Augen ruhten jetzt ernst auf Miß Mertens’ Gesicht. Der weiche tiefe Klang seines Organs ließ nicht mehr ahnen, daß er sich noch vor wenig Augenblicken in beißender Ironie verschärft hatte, daß jedes seiner Worte ein Ausdruck der tiefsten Gereiztheit gewesen war und geklungen hatte, als solle es rächen und verwunden.

      Herr von Walde war mit Bitterkeit gegen seinen Vetter erfüllt, das hatte Elisabeth ja heute schon einmal bemerkt. Warum aber mußte sie es büßen, wenn ihm der Verhaßte vor die Augen kam? … War sie nicht schon beleidigt genug gewesen durch Hollfelds abermalige Zudringlichkeit? … Und nun wurde sie auch noch das Opfer einer Entrüstung, an der doch nur Helene die Hauptschuld trug … Ein stechender Schmerz durchzuckte sie, als sie sich