aus seiner Tasche gezogen. Es war das Modell Bison-2, eine neue Entwicklung von Michail Kalaschnikows Sohn Viktor. Sie beruhte auf einem geradlinigen Konstruktionsprinzip mit Klappschaft, dem Pistolengriff des AK-74M und einem konischen Mündungsfeuerdämpfer am Lauf, dessen Seiten tropfenförmige Aussparungen besaßen. Das Magazin bestand aus Aluminium und fasste 64 Patronen.
Leo stemmte eine Waffe hoch. Sie war kompakt und leichtgewichtig, nur 26 Zoll lang. Er suchte den Wahlschalter und stellte ihn auf »Gruppentherapie«, wie er es nannte. Vollautomatik. Obgleich er nicht damit rechnete, dass die japanischen Fischer an Deck erheblichen Widerstand leisten würden, konnte man nie wissen. Nachdem er das Gewehr auf den Schreibtisch des Kapitäns gelegt hatte, nahm er ein tragbares Satellitentelefon aus seiner Tasche und gab es Paddy.
Als der Typ an Bord der russischen Großjacht Belarus den Anruf annahm, erklärte er ihm, sie seien hier mehr oder weniger fertig und bereit, den Kutter Kishan Maru zu verlassen. Sie würden innerhalb der nächsten fünf Minuten in das Rettungsboot steigen. Er wollte sich wieder melden, sobald sie auf See waren, doch Kapitsa, so Paddy, teile mit, dass sich die GPS-Koordinaten des im Vorfeld festgelegten Abholortes binnen einer Stunde erreichen ließen.
»Arschbacken zusammenkneifen, Captain«, sagte Paddy zu Noboru, während er vor dem größeren Russen zur Tür ging.
»Ich muss«, entgegnete der Kapitän mit erstickter Stimme. Er hielt sich so krampfhaft an den Armlehnen des Stuhls fest, dass sich die Haut über seinen Fingerknochen weiß verfärbte.
»Du musst?«, wiederholte Paddy. »Gar nichts musst du.«
»Er meint aufs Klo«, bemerkte Leo und betrat den Niedergang vor der Kajüte mit dem MG im Anschlag. »Muss sich erleichtern.«
»Schlechte Idee, Kumpel. Wirklich, eine sehr schlechte Idee. Ein Grund mehr, die Bäckchen zusammenzukneifen. Denk an was anderes.«
Paddy warf einen letzten Blick auf den Asiaten auf der druckempfindlichen Tellerbombe, bevor er hinausging und die Tür hinter sich zuzog.
Nettes Detail, dachte er bei sich, der Einfall mit der Druckplatte. Er nahm sich vor, der Organisationsleitung diesbezüglich lobende Worte zukommen zu lassen.
Kapitel 10
Bermuda
Als Hawke die Bibliothek betrat, an deren Wänden sich ein Bücherregal ans nächste reihte, saß C still am Kamin. Der Raum war achteckig und so hoch, dass sich die Sammlung ringsherum über zwei Stockwerke erstreckte. Sir David Trulove hatte einen kleinen Gedichtband aufgeschlagen auf seinem Schoß liegen und seine goldgeränderte Brille abgenommen. Er drückte seinen Nasenrücken gedankenversunken mit Daumen und Zeigefinger zusammen.
Der ehemalige Admiral, ein großer Held des Falklandkrieges, wirkte an diesem Abend bedrückt. Das war untypisch für ihn und machte Hawke stutzig.
»Guten Abend, Sir«, grüßte er. »Eine willkommene Überraschung, Sie hier in Bermuda anzutreffen.«
»Ach, der Eremit Lord Hawke«, erwiderte Trulove, klappte das Buch zu und blickte mit schwer zu deutendem Gesichtsausdruck zu ihm auf. Nachdem er den dünnen Band neben das Telefon gelegt hatte, stand er auf und streckte seine rechte Hand aus. Der Mann war nicht nur älter, sondern auch gut einen Zoll größer als Hawke und überdurchschnittlich gut in Form. Er hatte graues, aber fülliges Haar und ebenso dichte Augenbrauen, die ihn wild aussehen ließen. Das erste Wort, das einem bei seinem Anblick einfiel, war edel.
Heute erinnerte er mit seinem maßgeschneiderten Abendanzug und den Falten in seinem Seefahrergesicht – ganz zu schweigen von seinen Augen, die hart anmuteten wie Glasmurmeln – an einen sehr eleganten englischen Spion nach der Vorstellung eines Hollywood-Regisseurs.
»Lesen Sie eigentlich Yeats, Alex?«, fragte er, während er auf das Büchlein auf dem Tisch schaute.
»Nein, Sir. Offengestanden erschließt sich mir Lyrik selten.«
»Sie sollten unbedingt versuchen, sie zu verstehen. Ich ertrage Gedichte auch nur in Maßen, aber Yeats ist grandios – der einzig wahrlich heroische Lyriker, den wir haben, finde ich. Also, Sie wundern sich darüber, mich hier zu sehen, richtig?«
»Ein wenig. Darf ich mich setzen?«
»Bitte. Wäre es Ihnen dort genehm?«
Alex nickte und nahm in dem anderen Sessel am Feuer Platz. Das alte, abgewetzte Leder fühlte sich gut an. Als er sich in die Polster sinken ließ, bemerkte er, dass der Ältere ihn eindringlich betrachtete, und trotzte seinem Blick. So starrten sie einander an, ein Spiel mit offenem Ausgang.
»Ich habe mir einen Whiskey gegönnt, trinken Sie mit?« C schaute langsam an den Glasflaschen vorbei, die auf einer Anrichte standen, und zu den Büchern hinauf, die bis unter das oktagonale Deckenfenster reichten. Auf Höhe der oberen Etage führte ein schmaler Balkon mit Geländer herum, der nicht den Anschein erweckte, auch nur das Gewicht eines Vogels tragen zu können, geschweige denn einen Menschen mit einem Stoß Büchern im Arm.
»Nein danke, Sir.«
»Alex, ich störe Sie ungern während einer unleugbar wohltuenden Verschnaufpause in Ihrem Leben. Gott weiß, nach Ihrem letzten Einsatz haben Sie sich diese Erholung redlich verdient, doch wir kommen leider nicht umhin, über Geschehnisse zu reden, die Ihrer Beteiligung bedürfen.«
Um ihm einen Moment zur Vorbereitung zu geben, schaute der Kopf des britischen Auslandsgeheimdienstes in seine Augen. Hawke wusste genau, welche Worte C gleich über die Lippen bringen würde.
»Es gibt Arbeit für Sie.«
»Aha.« Hawke bemühte sich, nicht preiszugeben, dass sein Herz wie immer höherschlug, wenn sein Vorgesetzter diesen magischen Satz äußerte.
»Sind Sie vollständig genesen? Haben Sie das Dschungelfieber auskuriert? Keine Rückfälle?« Truloves strenger Blick ruhte auf ihm. Hawke war kürzlich am Amazonas beinahe an einer Kombination mehrerer Tropenkrankheiten gestorben, unter anderem Malaria. In Cs engem Mitarbeiterkreis bei der altehrwürdigen Behörde befürchtete mancher, dass der Agent nie wieder richtig auf die Beine käme.
»Absolut, Sir. Ich fühle mich besser als je zuvor, wenn ich das so sagen darf.«
»Gut. Ich habe einen Freund hier in Bermuda gebeten, Ihnen morgen früh einen Termin zu geben – im St. Brendan's Hospital. Er heißt Nigel Prestwick und ist Internist, ein ziemlich guter sogar. Bevor er hierher übersiedelte, war er mein Hausarzt in London.«
»Ich lasse mich gern von ihm untersuchen«, behauptete Hawke, ohne sich seine Verärgerung anmerken zu lassen. Ein Arzt, der seinen Körper besser kannte als er selbst, musste sich erst noch finden, aber C wollte offensichtlich kein Risiko eingehen. Dass man sich dermaßen um ihn sorgte, verhieß einen spannenden Auftrag.
»Das bezweifle ich sehr stark. Ihre Meinung über Leibärzte ist kein Geheimnis. Dennoch sollen Sie um Punkt neun bei ihm sein. Sie dürfen von Mitternacht an nichts mehr essen oder trinken. Nach der Untersuchung möchte ich mich mit Ihnen am alten Naval Dockyard treffen. Wenn Sie das Krankenhaus verlassen, steht ein Wagen mit Fahrer für Sie bereit. Ich suche Immobilien auf den Inseln und würde diesbezüglich gerne Ihre Einschätzung hören.«
»Immobilien, Sir?«
»Ja. Reden wir aber nun nicht weiter um den heißen Brei herum, wenn ich bitten darf.« Damit neigte sich C nach vorn und stützte die Hände auf seine Knie.
»Meinetwegen.«
»Es geht um die Russen.«
»Der gute alte Eiserne Vorhang hat sich wieder zugezogen, was?«
»Noch nicht. Bis jetzt herrscht unsicherer Friede, der aber nicht andauern wird. Der Umgangston ist deutlich schärfer geworden.«
»Aufgrund einer neuen Wende?«
»Wissen Sie noch, wie es war, als Mütterchen Russland als Erzfeind von Demokratie und Freiheit galt?«
»Das weiß ich