Robert Louis Stevenson

Ausgewählte Erzählungen & Abenteuerromane (21 Titel in einem Band)


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      »Nun?« sagte Kapitän Smollett, vollkommen gleichgültig und kalt.

      Jedes Wort, das Silver sagte, war für den Kapitän ein Rätsel; aber das hätte seinem Ton kein Mensch anmerken können. Übrigens begann mir eine Ahnung aufzugehen. Ben Gunns letzte Worte kamen mir in den Sinn. Ich begann zu vermuten, daß er den Piraten einen Besuch abgestattet hatte, während sie alle betrunken um ihr Feuer herumlagen, und ich rechnete mir mit Vergnügen aus, daß wir nur noch mit vierzehn Feinden zu tun hatten.

      »Na, also die Sache ist so,« sagte Silver: »Wir wollen den Schatz haben, und wir kriegen ihn – das ist für uns die Hauptsache! Sie möchten ebenso gerne Ihr Leben retten, denke ich mir; und das ist für Sie die Hauptsache. Sie haben eine Karte, nicht wahr?«

      »Das mag wohl sein,« antwortete der Kapitän.

      »Oh, Sie haben eine, das weiß ich! Sie brauchen nicht so kurz angebunden zu sein; das hat nicht den geringsten Zweck, darauf können Sie sich verlassen. Was ich meine, ist dies: wir wollen Ihre Karte haben! Nun, ich habe gegen Sie selber niemals etwas gehabt.«

      »Euer Reden hat bei mir gar keinen Zweck, mein Mann,« unterbrach ihn der Kapitän. »Wir wissen ganz genau, was Ihr zu tun beabsichtigt, und wir machen uns nichts daraus; denn jetzt, seht mal, könnt Ihr es nicht tun.«

      Und der Kapitän sah ihn dabei ganz ruhig an und stopfte sich eine Pfeife.

      »Wenn Abe Gray –« rief Silver laut.

      »Still davon!« rief Smollett; »Gray hat mir nichts gesagt, und ich hab’ ihn nichts gefragt. Und ich will Euch was sagen: ehe ich das täte, wollte ich lieber Euch und ihn und die ganze Insel in die Luft fliegen sehen! Also hierüber wißt Ihr nun Bescheid, mein Mann!«

      Dieser kleine Zornausbruch schien Silver etwas abzukühlen. Vorher hatte er sich beleidigt gestellt, aber jetzt nahm er sich zusammen und sagte:

      »Das kann ich mir wohl denken. Ich habe nicht darüber zu urteilen, was nach der Meinung solcher Herren wie Sie Schiffsrecht ist oder nicht. Und da ich sehe, daß Sie eine Pfeife rauchen wollen, Käpp’n, so will ich so frei sein, desgleichen zu tun.«

      Und er stopfte sich eine Pfeife und zündete sie an. So saßen die beiden Männer eine ganze Weile schweigend da und rauchten; zuweilen sahen sie einander ins Gesicht, zuweilen drückten sie ihren Tabak nieder, zuweilen beugten sie sich vor, um auszuspucken. Es war so gut wie eine Theatervorstellung, ihnen zuzusehen.

      »Na also,« fing endlich Silver wieder an, »die Sache ist so: Sie geben uns die Karte, damit wir den Schatz kriegen können, und schießen keine armen Matrosen mehr tot, und schneiden ihnen nicht mehr die Kehle ab, wenn sie schlafen. Also das ist Ihre Leistung, und dafür stellen wir Ihnen folgendes zur Wahl: entweder kommen Sie zu uns an Bord, sobald der Schatz auf dem Schiffe ist, und dann geb ich Ihnen mein Affy-Davi, auf mein Ehrenwort, Sie irgendwo, wo Sie Lust haben, heil und gesund an Land zu setzen, oder wenn Ihnen das nicht paßt, weil einige von meinen Leuten etwas rauh sind und eine alte Rechnung mit Ihnen haben, von wegen früheren Anschnauzens, dann können Sie auch hier bleiben. Wir wollen alle Vorräte mit Ihnen teilen, Mann für Mann; und ich gebe Ihnen mein Affy-Davy wie vorher, das erste Schiff, das ich treffe, anzurufen und hierher zu schicken, um Sie aufzunehmen. Nun, Sie werden zugeben, daß das ein Wort ist. Etwas Besseres können Sie ganz gewiß nicht erwarten! Und ich hoffe« – dabei erhob er seine Stimme –, »daß alle Leute in dem Blockhause hier meine Worte vernehmen; denn was ich einem sage, das gilt für alle!«

      Kapitän Smollett stand auf und klopfte seine Pfeife in seine linke Handfläche aus.

      »Ist das alles?« fragte er.

      »Mein allerletztes Wort, zum Donner!« antwortete John. »Weisen Sie es zurück, so werden Sie von mir nichts mehr zu sehen kriegen, außer Musketenkugeln!«

      »Sehr schön!« sagte der Kapitän. »Jetzt sollt Ihr hören, was ich Euch zu sagen habe: wenn ihr einer nach dem andern, einzeln, unbewaffnet hier heraufkommt, so will ich mich verpflichten, euch alle in Eisen zu legen und euch nach England zu bringen, damit ihr vor den Gerichtshof kommt. Wollt ihr das nicht – mein Name ist Alexander Smollett, ich habe hier meines Königs Flagge gehißt, und ich will euch alle zum Teufel schicken. Ihr könnt den Schatz nicht finden. Ihr könnt das Schiff nicht segeln – unter euch ist kein einziger imstande, das Schiff zu führen. Ihr könnt es im Kampf nicht mit uns aufnehmen – den Gray hier konnten fünf von euch nicht halten. Euer Schiff liegt fest, Meister Silver; Ihr liegt an einer Leeküste, und das werdet Ihr bald herausfinden. Hier stehe ich und sage Euch das; und dies sind die letzten guten Worte, die Ihr von mir kriegt. Denn, so wahr ein Gott im Himmel ist, ich will Euch eine Kugel in Euren Wanst jagen, wenn ich Euch noch einmal sehe. Marsch, mein Junge! Hinaus hier, bitte, Hand über Hand, und ein bißchen fix!«

      Silvers Gesicht war zum Malen. Vor Wut quollen ihm die Augen aus dem Kopf. Er klopfte seine Pfeife aus und schrie:

      »Reichen Sie mir eine Hand, daß ich aufstehen kann!«

      »Denke nicht dran,« antwortete der Kapitän.

      »Wer will mir aufhelfen?« brüllte er.

      Keiner von uns rührte sich.

      Die fürchterlichsten Flüche brüllend, kroch Silver über den Sand, bis er an den Vorbau kam und sich an diesem aufrichten konnte. Er stützte sich auf seine Krücke. Dann spie er in die Quelle und rief:

      »Da! So denke ich von euch. Bevor eine Stunde vorüber ist, will ich euch in eurem Blockhaus ausräuchern. Lacht nur, zum Donner, lacht nur! Bevor eine Stunde vorüber ist, werden andere Leute lachen! Dann werden die, die tot sind, die Glücklichen sein!«

      Und mit einem letzten fürchterlichen Fluch humpelte er davon und schleppte sich durch den Sand den Abhang hinunter. Der Mann mit der weißen Flagge half ihm, nach vier oder fünf vergeblichen Versuchen, über die Palisade hinüber, und einen Augenblick später waren beide zwischen den Bäumen verschwunden.

       Der Angriff

       Inhaltsverzeichnis

      Sobald Silver verschwand, wandte der Kapitän, der ihn scharf beobachtet hatte, sich dem Inneren des Hauses zu und fand keinen einzigen von uns außer Gray auf seinem Posten.

      Es war das erstemal, daß wir ihn wirklich zornig sahen.

      »Auf eure Posten!« brüllte er. Und dann, als wir alle an unsere Plätze zurückschlichen, sagte er:

      »Gray, ich will Euren Namen ins Logbuch eintragen; Ihr seid zu Eurer Pflicht und Schuldigkeit gestanden wie ein echter Seemann. Herr Trelawney, ich wundere mich über Sie! Doktor, ich glaubte, Sie hätten des Königs Rock getragen! Wenn Sie auf diese Weise bei Fontenay Ihren Dienst versahen, Herr, so wären Sie besser in Ihrem Bett geblieben!«

      Wir von des Doktors Wache standen alle wieder an unseren Schießscharten; die übrigen luden eifrig die überzähligen Musketen, und jeder hatte, wie man sich denken kann, einen roten Kopf und einen Floh im Ohr, wie man zu sagen pflegt.

      Der Kapitän sah eine Weile schweigend zu. Dann nahm er das Wort und sagte:

      »Jungens! Ich habe dem Silver eine Breitseite gegeben. Ich schoß absichtlich mit Brandkugeln, und bevor eine Stunde rum ist, werden sie zu entern versuchen, wie er ganz richtig gesagt hat. An Zahl sind sie uns überlegen, das brauche ich euch nicht zu sagen; aber wir fechten in Deckung, und vor einer Minute würde ich noch gesagt haben: wir fechten mit Mannszucht. Ich habe nicht den geringsten Zweifel daran, daß wir sie verdreschen können, wenn ihr nur wollt!«

      Hierauf machte er die Runde und sah, daß alles zum Gefecht klar war.

      Auf den beiden schmalen Seiten des Hauses, nach Osten und nach Westen zu, waren nur zwei Schießscharten, auf der Südseite, die den Vorbau hatte, waren ebenfalls zwei; auf der Nordseite aber waren fünf. Wir sieben Mann