auf und ab; Furcht empfand ich keine; in meiner Absicht wankend wurde ich nicht; eine klare Vorstellung von dem, was meiner harrte, war ebenfalls nicht in mir; fest stand einzig und allein, daß ich mich und meine vier Knaben aus dieser Gefahr zu retten habe, daß das meine Pflicht sei und daß es auch gelingen werde. Um neun Uhr betraten drei Soldaten, ein Unteroffizier und ein Weib das Zimmer der Kinder nebenan. Die Knaben wurden aus dem Schlaf gezerrt, die Möbel, die Betten, die Dielen, die Wände, die Vorhänge, die Koffer aufs genaueste durchsucht. Ich ging hinein. Ich sah mir die Leute an. Finstere Gesichter, unmenschliche Stirnen, da schien keine Hoffnung. Einer wies mich barsch hinaus; einer folgte mir ein paar Schritte, um die Tür zu schließen. Wie ich den Kopf zurückwende, ist es mir, als sei in den Augen dieses Menschen ein Etwas, ein gewisser Schimmer, etwas unnennbar Fernes von Weicherem als bei den andern. Er hatte rote, kurze, borstige Haare, die Haut besät mit Sommersprossen, und hinter seinen wulstigen Lippen waren Zahnlücken und schwarze Zähne. Aber mich durchbebt es; in der Eingebung eines Moments winke ich ihm. Stumm tritt er näher. Ich reiße die Knöpfe des Kleides auf, nehme das Paket mit den achtzig Scheinen heraus und gebe es ihm in die Hand. »Fünf Menschenleben sind in deiner Hand,« sage ich zu ihm, »jetzt mache was du willst.« Ohne mit der Wimper zu zucken, steckt er das Paket in die Rocktasche und verschwindet. Die andern kommen gleich darauf in mein Zimmer. Wie drüben wird alles um und um gewühlt, Wäsche, Kleider, Schuhe, jede Ritze, jede Schublade untersucht. Dann bleibt das Weib allein bei mir, ich muß mich entkleiden. Auch das ging vorüber, und sie entfernt sich. Eine Viertelstunde danach, das Herz hatte mir die ganze Zeit bis in die Fingerspitzen geschlagen, erscheint der rothaarige Soldat im Zimmer, horcht eine Sekunde, zieht das unversehrte Rubelpaket aus der Tasche und überreicht es mir schweigend. Ich stammle ein paar Worte, fassungslose, dankverwirrte; ich frage, was ich für ihn tun könne; ihm Geld anzubieten hatte etwas Unsinniges, da er mir ja achtzigtausend Rubel schenkte. Er schüttelt den Kopf und sagt: »Machen Sie sich keine Gedanken darüber, Mütterchen. Es ist leider so, daß wir in Blut und Sünde stecken bis an den Hals. Vielleicht läßt mir Gott jetzt ein wenigs nach. Vielleicht legt er das auf die andere Schale.« Damit geht er. Und ich, es ist ein Zustand von Scham, in dem ich mich befinde, als hätte ich mich an dem Menschen vergangen durch die Angst und die Zweifel vorher.«
Während der letzten Worte noch war die schöne junge Person eingetreten. Sie ging auf die Fürstin zu und sagte mit einer Stimme wie aus Glas und zitternd vor Zorn: »Stepan Fedorowitsch erzählt eben, daß er diese Lisaweta Petrowna von Petersburg her kenne. Sie sei in einem Kabarett als Coupletsängerin gewesen und im übrigen, nun, das kann man sich ja denken. Sie sehen also, Tante, daß Sie einer Betrügerin zum Opfer gefallen sind und daß es nur lächerlich wäre, sich weiter um sie zu kümmern.«
»Meine Nichte Jelena,« stellte die Fürstin vor und nannte auch Marias Namen. Diese lächelte in schweigendem Wohlgefallen an der Erscheinung der jungen Fürstin.
»Sie ist ohne Kopeke, das elende Frauenzimmer,« fuhr Jelena erbittert fort; »der Hoteldirektor hat bereits gestern gedroht, sie auszulogieren. Und was die Komödie an Grigorjis Grab betrifft, die darauf berechnet war, Sie, Tante, hinters Licht zu führen, so hat die Kugel nur die Haut gestreift, am linken Arm; sehr vorsichtig. Pfui, was für eine unappetitliche Geschichte!«
»Aber wenn nur ein Fünkchen Wahrheit darin ist, müssen Sie Nachsicht haben, Jelena Nikolajewna,« sagte Maria.
Jelena erbleichte. »Wie kann sie es wagen!« rief sie und schüttelte sich vor Widerwillen; »abgesehen davon, daß sie für ihre verleumderische Erfindung auch nicht den Schatten von Beweis aufbringen kann, bestehen auch innere Gründe, ja innere Gründe, –« sie preßte die Lippen zusammen und stand noch schlanker, in noch angespannterer Haltung da als bisher; »darf man es geschehen lassen, daß sie Grigorjis Bild besudelt? Was verlangen Sie? Warum ergreifen Sie Partei?«
»Ich ergreife nicht Partei,« entgegnete Maria, die plötzlich den unbestimmten Eindruck hatte, als sei Schuld und Verstellung in dem jungen Mädchen, »ich wollte nur verhüten, daß Sie vorschnell urteilen. Seien Sie mir nicht böse.« Sie erhob sich und ging.
Vor ihrem Zimmer schritt Menasse auf und ab. »Das Hotel ist umstellt und bewacht,« redete er sie sogleich an, »vor den Ausgängen stehen lauter bis an die Zähne bewaffnete Kerle. Es ist bei Todesstrafe verboten, nach Anbruch der Dunkelheit das Haus zu verlassen. Auf wessen Befehl, weiß vorläufig niemand. Ob man uns schützen will oder die Mäusefalle nur zuklappt, damit keiner entrinnt, weiß niemand. Die Sache wird ernst, es geht an den Kragen.«
Er öffnete eigenmächtig die Tür ihres Zimmers und zögernd wurde er durch eine Erinnerung an gute Manieren bewogen, ihr den Vortritt zu geben. »Passen Sie auf,« begann er wieder mit seiner komischen Vertraulichkeit, »zu warten, bis man uns an die Mauer stellt und die Hirnschale kaput schießt, ist Blödsinn. Wer sich nicht aus dem Staub macht, hat sich selber zuzuschreiben die Folgen. Ich habe einen Plan. Sie gefallen mir, die Kinderchen dauern mich, Ihren Mann verehre ich, das ist ein Gentleman durch und durch, und wenn ich mich seiner Familie nicht annähme in der Not, wäre es eine Gemeinheit von mir. Ich habe einen Plan, wie gesagt. Die Vorbereitungen sind bereits getroffen. Allerdings wird die Geschichte viel Geld kosten, aber wo’s ums Leben geht, hört sich die Billigkeit auf.«
Er schaute sich unruhig um, hastete zur Tür, lugte durch einen Spalt hinaus, kam wieder auf Maria zu und fuhr mit heiser gedämpfter Stimme fort, es werde so gottlos viel Geld kosten, daß nur eine ganze Kompagnie dafür aufkommen könne. Er habe bereits einige Leute ins Auge gefaßt, an denen ihm gleichfalls gelegen sei, Leute, um die es gleichfalls schade wäre; er habe ihnen von seiner Absicht gesprochen, und sie hätten ihm Blanko-Vollmacht erteilt. Ob Maria sich anschließen wolle? Ob sie bereit sei, sich seinen Anordnungen blindlings zu fügen? Nur bei strammer Disziplin sei Gelingen möglich. Er habe alles genau überlegt; das Wagnis sei groß, aber alles sei besser als sich hier abschlachten zu lassen und in Gottes Hand stehe man schließlich überall.
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