Фридрих Шиллер

Friedrich Schiller: Literatur- und theatertheoretische Essays


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Wunsch des Verfassers, Wahrheit darüber zu hören, eh er sie wirklich vollendet. Bei dem anhaltenden starren Hinsehn auf die nämliche Fläche kann es nicht anders kommen, als daß die Augen, auch des schärfsten Beobachters, anfangen trübe zu werden, und die Objekte verwirrt durcheinander zu schwimmen. Wenn der Dichter nicht Gefahr laufen will, sich in seinen eigenen Irrgängen zu verwickeln, und über der ängstlichen Farbenmischung des Details die Perspektive des Ganzen zu verlieren, so ist es nöthig, daß er zuweilen aus seinen Illusionen heraustrete, daß seine Phantasie von ihrem Gegenstand erkalte, und fremde Empfindung seine eigne zurechtweise. Mit den Lieblingswerken unsers Geistes ergeht es uns beinahe wie mit unsern Mädchen – endlich werden wir blind für ihre Flecken, und stumpf durch Genuß. Dort wie hier sind kurze Entfernungen, kleine Spannungen oft heilsam, die erlöschende Glut des Affekts wieder anzublasen. Die Flamme der Begeisterung ist keine ewige Flamme. Oft ist es nöthig, daß sie von aussenher borge, und sich durch sympathetische Reibung erneure. Wie schäzbar sind einem Dichter hier geschmackvolle fühlende Freunde, die über seine Schöpfungen wachen, und das neugebohrene Kind seines Genius mit liebevoller Sorgsamkeit warten und pflegen!

      Dieser Dienst ist es, den ich bei Vorlegung dieser Fragmente von dem Publikum mir erbitten wollte. Jeder Leser und jede Leserin, welche Wohlwollen genug den für Herausgeber in ihrem Busen fühlen, um für die klassische Vollkommenheit seines Werks bekümmert zu seyn – euch aber insbesondere, Schriftsteller meines Vaterlands, deren Namen der Ruhm bereits schon unter den Sternen aufstellte, die ihr jezt keine schönere Beschäftigung mehr übrig findet, als eurem Schüler und Freund noch die Hand zu reichen, und ihn zu eurer Gemeinschaft empor zu ziehn – euch alle fodre ich auf, diesen Versuch eurer Aufmerksamkeit werth zu achten, und mir den Ausspruch eures Gefühls mit der strengsten Offenherzigkeit mitzutheilen. Ich erschrecke vor eurem Tadel nicht. Das Urtheil der Welt über diese Fragmente – es falle aus, wie es wolle – wird mich nie in Verlegenheit sezen, denn es ist meine lezte Instanz nicht. Ich nehme es für nichts anders, als den belehrenden Wink meines kritischen Freundes, den ich zu Reinigung meiner Arbeit benuzen kann – aber die Nachwelt ist meine Richterin. Was ich bei meinen Zeitgenossen verderbe, steht noch immer in meiner Macht wieder gut zu machen, die Fehler des Jünglings rechnet man ja dem Mann nicht mehr an – aber die Nachwelt verdammt ohne Beklagten, ohne Sachwalter, ohne Zeugen. Das Werk lebt, und sein Schöpfer ist nicht mehr. Die Frist zur Verantwortung ist vorbei; was einmal verloren ist, läßt sich nicht mehr hereinbringen. Von diesem Gerichtshof läßt sich an keinen dritten mehr appellieren. Wie willkommen soll mir also die Zurechtweisung seyn, welche mir über die Gebrechen meiner Dichtung die Augen öfnet, und mir vielleicht dazu dienen kann, sie desto fleckenfreier der strengeren Zukunft zu übergeben – Findet der Kenner schon diese erste Anlage krank, vermißt er hier schon die Gesundheit, die lebendige Kraft, die ihr Dauer versicherte, so wandre die ganze Skize zum Feuer.

      Die Geschichte des unglücklichen Dom Karlos und seiner Stiefmutter der Königin, ist von den interessantesten, die ich kenne, aber ich zweifle sehr, ob sie so rührend als erschütternd ist. Rührung, glaube ich, ist hier ganz nur Verdienst des Dichters, der unter den vielerlei Arten der Behandlung gerade diejenige zu wählen weiß, welche die widrige Härte des Stoffs zu weicher Delikatesse herabstimmt und mildert. Eine Leidenschaft, wie die Liebe des Prinzen, deren leiseste Aeuserung Verbrechen ist, die mit einem unwiederruflichen Religionsgesez streitet, und sich ohne Aufhören an der Gränzmauer der Natur zerschlägt, kann mich schaudern, aber schwerlich weinen machen. Eine Fürstin wiederum, deren Herz, deren ganze weibliche Glückseligkeit einer traurigen Staatsmaxime hingeschlachtet worden, die durch die Leidenschaft des Sohns und des Vaters gleich unmenschlich gemishandelt wird, kann mir wohl Murren gegen Vorsicht und Schicksal, Zähneknirschen gegen weltliche Konvenzionen abnöthigen, aber wird sie mir auch wohl Tränen ablocken? – Wenn dieses Trauerspiel schmelzen soll, so muß es – wie mich däucht – durch die Situation und den Karakter König Philipps geschehen. Auf der Wendung, die man diesem gibt, ruht vielleicht das ganze Gewicht der Tragödie. Mein Plan ist auf gleiche Art vereitelt, wenn ich bei Philipps Darstellung den französischen Skribenten folge, als wenn ich bei Karlos Schilderung den Ferreras zum Grund legte. Man erwartet – ich weiß nicht welches? Ungeheuer, so bald von Philipp dem Zweiten die Rede ist – mein Stück fällt zusammen, sobald man ein solches darinn findet, und doch hoffe ich der Geschichte – das heißt der Kette von Begebenheiten – getreu zu bleiben. Es mag zwar ein gothisches Ansehen haben, wenn sich in den Gemählden Philipps und seines Sohns zwei höchst verschiedne Jahrhunderte anstoßen, aber mir lag daran, den Menschen zu rechtfertigen, und konnt’ ich das wohl anders und besser als durch den herrschenden Genius seiner Zeiten?

      Der ganze Gang der Intrigue wird, wie ich mir einbilde, schon in diesem ersten Aufzug verrathen seyn. Wenigstens war das meine Absicht, und ich halte es für das erste Requisit der Tragödie. Beide Hauptkaraktere laufen hier schon mit derjenigen Kraft, und nach derjenigen Richtung aus, welche den Leser errathen läßt, wo und wann und wie heftig sie in der Folge widereinander schlagen.

      Ein vollkommenes Drama soll, wie uns Wieland sagt, in Versen geschrieben seyn, oder es ist kein vollkommenes, und kann für die Ehre der Nation gegen das Ausland nicht konkurrieren. – Nicht als ob ich auf das leztere Anspruch machte, sondern weil ich die Wahrheit jenes Ausspruchs überzeugend erkannte, habe ich diesen Karlos in Jamben entworfen. Aber in reimfreien Jamben – denn ich unterschreibe Wielands zweite Foderung, daß der Reim zum Wesen des guten Dramas gehore, so wenig, daß ich ihn vielmehr für einen unnatürlichen Luxus des französischen Trauerspiels, für einen trostlosen Behelf jener Sprache, für einen armseligen Stellvertreter des wahren Wohlklangs erkläre – in der Epopee versteht sichs, und in der Tragödie. So bald uns die Franzosen ein Meisterstück dieser Gattung in reimfreien Versen zeigen, so geben wir ihnen ein ähnliches in gereimten.

      Der Leser wird sich selbst und dem Dichter nüzen, wenn er vor Lesung dieser Fragmente die Geschichte des Dom Karlos, Prinzen von Spanien, vom Abbe S. Real, welche kürzlich zu Eisenach in der Uebersezung erschienen ist, nur flüchtig durchblättern will. Ich unterbreche zuweilen den Dialog durch Erzählung, weil es geschehen kann, daß das ganze Stück nach und nach in solchen Fragmenten erscheint, und ich ohne diese Vorsicht also leicht der Indiskretion und Gewinnsucht eines Buchhändlers oder Schauspieldirektors anheim fallen könnte, die meinen Karlos zusammen druckten, oder vor der Zeit auf ihr Theaterschaffot schleppten.

      Personen des ersten Akts

       Inhaltsverzeichnis

Philipp der Zweite, König von Spanien. Königin Elisabeth, Prinzeßin von Frankreich, seine Gemahlin. Dom Karlos, der Kronprinz. Herzog von Alba, und Graf von Lerma, Grandes von Spanien. Pater Domingo, Beichtvater des Königs, gewesener Inquisitor. Dom Rodrigo Marquis von Posa, Kammerjunker des Prinzen. Fürstin von Eboli und Marquisin von Mondekar, Damen der Königin. Mehrere Damen und Grandes.

       Erste Verwandlung

       Inhaltsverzeichnis

       Ein angenehmer Prospekt von Orangenalleen, Boskagen, Statuen, Urnen, und springenden Wassern. Die Beleuchtung wird so eingerichtet, daß die vordere Bühne dunkel bleibt, die hintere aber munter und hell ist.

       Inhaltsverzeichnis

       Karlos kommt langsam und in Gedanken versenkt aus dunkeln Boskagen, seine zerstörte Gestalt verräth den Kampf seiner Seele; einigemal steht er schüchtern still, als wenn er auf etwas horchte. Der Zufall führt ihn vor die Statue der Biblis und des Kannus, er bleibt nachdenkend davor stehen – indem hört man hinter der Szene eine ländliche Musik von Flöten und Hoboen, die sich allmählig in der Entfernung verliert. Der Prinz verläßt die Statue