Russell Blake

DAS GOLD DER INKA (Drake Ramsey)


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      Kapitel 2

      Patricia hetzte aus ihrem Blumenladen in Richtung Auto. Die Nacht war schon vor Stunden angebrochen und der Feierabendverkehr längst vorbei, die Innenstadt wirkte wie ausgestorben. Normalerweise blieb sie nicht so lange im Geschäft, aber am Monatsende musste sie die Buchhaltung erledigen. Es waren harte Zeiten und sie musste sich selbst um den Papierkram kümmern – dabei durfte sie sich glücklich schätzen, dass sie ihren Betrieb überhaupt am Laufen halten konnte.

      Ihre Absätze klackerten laut auf dem Gehweg, ihr Atem wurde in der eiskalten Nacht zu Dampfwolken, und dann hörte sie plötzlich wieder dieses Geräusch – jemand oder etwas war hinter ihr her. Sie gab sich Mühe, ruhig zu bleiben, während sie in ihrer Handtasche nach dem Pfefferspray wühlte, das sie vor Jahren dort versteckt hatte, in der Hoffnung, es würde noch funktionieren. Sie versuchte auch, sich an die effektive Reichweite zu erinnern, konnte aber keinen anderen Gedanken fassen, als dass sie anfangen sollte, zu rennen. Sie musste rennen, und zwar so schnell sie konnte; zu ihrem wartenden Auto, wo sie in Sicherheit sein würde.

      Sie zögerte an einer düsteren Straßenkreuzung und lauschte nach akustischen Anzeichen ihres Verfolgers. Ein kratzendes Geräusch hinter ihr, nicht einmal zwanzig Meter entfernt, bestätigte ihre schlimmsten Befürchtungen. Doch sie zwang sich erneut zur Ruhe. Das hätte alles Mögliche sein können. Eine Katze zum Beispiel. Oder der Deckel einer Mülltonne, der vom Wind bewegt wurde. Oder eine Ratte, die darin nach Schätzen grub.

      Als sie um die Ecke bog, startete sie trotzdem einen Sprint in Richtung des Parkplatzes und ließ den letzten Anschein von Gelassenheit fallen. Wer auch immer hinter ihr her war, bekam jetzt auf jeden Fall mit, dass sie alarmiert war. Da konnten sich die Stimmen in ihr noch so lange streiten, sie war davon überzeugt, dass ihr jemand folgte.

      Visionen von Serienkillern plagten ihre Gedanken, als sie die hüfthohe Betonmauer erreichte, die den Parkplatz umschloss. Sie kämpfte sich durch das verrostete und laut quietschende Drehkreuz und kramte in ihrem Mantel nach dem Schlüssel, während sie sich dem Wagen näherte. Dabei betete sie zu Gott, dass die alte Mühle beim ersten Versuch anspringen würde und verfluchte sich selbst, dass sie den dringend nötigen Gang in die Werkstatt nun schon monatelang aufgeschoben hatte.

      Sie hoffte sehnlich, dass diese Entscheidung nicht ihren Tod bedeuten würde.

      Patricia fummelte mit den Schlüsseln herum und schaffte es, die Autotür zu öffnen. Ohne Zeit zu verlieren, glitt sie auf den Fahrersitz und ließ ihre Handtasche neben sich fallen. Als sie den Zündschlüssel drehte, verriegelten sich automatisch die Türen, doch der Anlasser leierte nur kraftlos vor sich hin.

      »Oh Gott, nein! Nun mach schon!«, murmelte sie.

      Zwei schwarzbehandschuhte Fäuste krachten gegen die Fahrerscheibe. Patricia schrie auf und drehte den Zündschlüssel erneut. Mit einem heiseren Röhren stieß der Wagen eine schwarze Wolke aus. Sie legte den Vorwärtsgang ein und trat das Gaspedal durch; genau in diesem Moment nahm sie die eindeutige Form einer Pistole im Außenspiegel wahr. In Panik schleuderte sie auf die Straße zu und duckte sich, als sie die orangefarbene Blüte eines Mündungsfeuers im Rückspiegel erhaschte, Sekundenbruchteile bevor ihre Heckscheibe in einem Regen aus Sicherheitsglas zersprang.

      Das altersschwache Auto holperte über die Bordsteinkante, weil sie die Ausfahrt viel zu eng nahm, und dann raste sie die Straße hinunter. Hinter ihr tauchte ein Paar Scheinwerfer auf, das sich unangenehm schnell näherte. Fassungslos starrte sie in den Rückspiegel und raste weiter in Richtung des Highways, der sie in die relative Sicherheit ihres bescheidenen Häuschens etwa zehn Minuten außerhalb der Stadt führen sollte.

      Patricia fegte über die rote Ampel am Fuße der Auffahrt hinweg. Doch ihr Triumphgefühl hielt nicht lange an, denn der Verfolger blieb ihr nicht nur auf den Fersen – er kam auch immer näher, obwohl sie das Gaspedal schon fast durch den Unterboden trat. Sie hörte ihren Puls in den Ohren hämmern und ein unsichtbares Band schnürte ihr den Atem ab.

      »Komm schon, komm schon …«, zischte sie und trieb ihren alten Buick zu Höchstleistungen an, während sie an der Tankstelle vorbeiraste, die die Stadtgrenze markierte.

      Ein kalter Wind zerrte an den Bäumen am Rande des Highways und der Tacho quälte sich langsam an der 80-Meilen-Markierung vorbei. So schnell war der Wagen noch nie gefahren, doch es reichte nicht, um dem Verfolger zu entkommen: Ihr Blick schnellte wieder in den Rückspiegel und das andere Auto war nicht einmal 50 Meter entfernt.

      Mit inzwischen 96 Meilen pro Stunde bekam sie die Kurve direkt vor der Brücke nicht mehr. Die Reifen quietschten wie ein sterbendes Tier, und dann flog der Wagen in einem kraftlosen Bogen durch die Luft.

      Die Limousine, die gefolgt war, rollte langsam aus und kam am Rande der Brücke zu stehen. Ein Handschuh des Beifahrers griff nach oben und schaltete die Innenbeleuchtung aus. Langsam schaute er sich um und stellte fest, dass sonst niemand auf der Straße unterwegs war. Er ging auf das Geländer der Brücke zu und starrte in die Dunkelheit des trüben Wassers, das fünfzig Meter unter ihm vorbeidonnerte. Am Fuße der Böschung lag der Buick halb versunken und völlig zerstört im Wasser.

      Er schüttelte den Kopf und zog seinen Kragen hoch; ein schwacher Schutz gegen den eisigen Wind. »Das kann niemand überlebt haben«, sagte er, als er zum Auto zurückkehrte.

      »Und jetzt?«, fragte der Fahrer, dessen Hände lässig auf dem Lenkrad ruhten.

      Sein Gegenüber warf einen Blick auf den Vollmond, der schief zwischen den Wolken hindurch grinste. »Jetzt kommt der schwierige Teil.«

      Kapitel 3

      Drake Simmons linste über das Armaturenbrett seines Honda Accord und hielt die Reihe schäbiger Einfamilienhäuser fest im Blick, wobei er sich einen weiteren Schluck seiner lauwarmen Cola genehmigte.

      Er hasste es, auf der Lauer zu liegen. Stundenlang einfach nur herumsitzen um auf einen Straftäter zu warten, der vielleicht niemals auftauchen würde. Das Ganze auf einer strengen Diät aus Koffein und Donuts, und Pinkeln musste man in eine leere Plastikflasche. Er fuhr sich mit einer Hand über die Bartstoppeln auf seinem schlanken Gesicht und fragte sich wieder einmal, wie er in diesem Metier landen konnte, statt etwas aus seinem abgeschlossenen Journalisten-Studium zu machen.

      Nachdem er die Uni verlassen hatte, waren die Jobaussichten allerdings alles andere als rosig gewesen. Immerhin hatte das Aufspüren von Kriminellen, die gegen ihre Meldepflicht verstoßen hatten, einige Parallelen zu seinem Traum vom Enthüllungsreporter: Man brauchte in beiden Bereichen Geduld, feste Entschlossenheit, ein gutes Händchen für Recherche und Nachforschungen, aber vor allem ein besonderes Maß von diesem verrückten Draufgängertum, das ihn seit seiner Kindheit ausgemacht hatte. Sein jetziger Job war also nur eine anspruchslosere Version seiner Wunschvorstellung, der Star einer großen Zeitung zu sein.

      Die Tür von einem der heruntergekommenen Häuschen öffnete sich und ein Mann mit der verbitterten Ausstrahlung eines Junkies tänzelte die Treppe entlang, wobei er aufmerksam die Straße beäugte. Drake rutschte in seinem Sitz herunter, rückte seine Sonnenbrille zurecht und spähte dann vorsichtig übers Lenkrad.

      Keine Frage, er hatte seinen Mann gefunden. Alan Crawford, bereits zweimal wegen Einbruchs verurteilt und nun kurz vor dem dritten Gang ins Kittchen. Ein Dieb, ein Betrüger, und aktuell auch noch auf der Flucht, da er letzte Woche nicht zu seiner Urteilsverkündung erschienen war. Das Interessanteste an ihm waren allerdings die fünftausend Dollar, die auf seine Ergreifung ausgesetzt waren. Das waren zehn Prozent der Kaution, die seine arme, alte Mutter für ihn hingelegt hatte, nur Sekunden bevor er sie und seinen Bewährungshelfer zu Boden schlug.

      Das passte zu dem gewalttätigen Ruf, vor dem Harry Rivera, Drakes Arbeitgeber und langjähriger Freund, ihn gewarnt hatte.

      »Sei vorsichtig, mein Junge. Er ist verschlagen wie ein Kojote und doppelt so gefährlich«, hatte er in seiner typisch kratzigen Kettenraucherstimme geraunzt. »Bei seinem letzten Knastaufenthalt hätte er um ein Haar seinen Zellengenossen umgebracht. Da musst du echt auf Zack sein.«

      »Genau