Böhlau Helene

Ratsmädel- und Altweimarische Geschichten


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      Alle hielten den Atem an und horchten.

      Das Einsame, Verlassene, Geheimnisvolle in den Büschen schien indessen auch zu horchen.

      Totenstille!

      Die Geistersucher warteten, ob sich's nicht wieder regen würde, – denn da war etwas, – das war sicher!

      Sie fühlten die Nähe eines fremden Wesens; sie standen wie die Bildsäulen so starr, – ganz Erwartung! Dasjenige, das in den Büschen auf so sonderbare Weise »verdammt!« gesagt hatte, mußte sicherlich in Verwunderung geraten sein, was mit den vielen Schritten, die es doch kommen gehört hatte, geworden sei.

      Jetzt aber, – was war das? – Ein Fiepen, ein jämmerliches, sonderbares Fiepen, als singe ein Wasserkessel, oder quietsche ein Wägelchen, oder auch als wimmere ein Hund unter ganz besonderen Umständen!

      Es war ein ganz merkwürdiger Ton! Allen schien es durchaus nicht unmöglich, daß sie es wäre, denn daß sie fiepe, oder wie durch eine Flasche rede, hatten sie ja gewußt!

      Das war das Entsetzliche!

      Der Mond schien dämmernd hell; hell genug, um das, was im Gebüsch steckte, zu erkennen, falls es sich hervorwagte.

      Dadurch merkwürdig ermutigt und wie von Jagdeifer gepackt, mahnte Röse: »So kommt doch!« Und sie war's, die sich wieder auf die Beine machte, ohne auf die andern zu achten, die ihr schleichend folgten.

      So ging's den kleinen Abhang ein wenig hinan; einige Schritte, mit klopfendem Herzen und stockendem Atem. – Dann ein gewaltiges Rascheln im dichten Gebüsch, – ein furchtbarer Schrei, – ein Springen, – ein heiserer Laut, – und im Mondlichte sahen sie, wie Röse von einem großen, dunklen Mantel umfangen wurde. – Ein ungeheurer Schreck! – Etwas so Unbegreifliches! Schauervolles!

      Marie schrie verzweifelt auf.

      »Ruhig, – ruhig!« sagte eine erregte Stimme. »Was macht ihr denn hier? Röse, um Gottes willen, wie kommst du hierher?«

      Von Röse hörte man kein Sterbenswort; aber sie schien zu flüstern und war immer noch in dem großen Mantel verschwunden. Und jetzt, – ein zarter, zarter Frühlingslaut, – so süß, so wunderlich, – ein Laut wie ein Kuß!

      »Herr Gott, der Thon!« rief Marie ganz überwältigt. »Der lag hier auf der Fuchspasse!« Das nicht gerade jagdgemäße Wort hatte sich ihr im Schreck und in der Ueberraschung gebildet.

      Da sprang auch schon Thons Hund, dem er im Aerger und in der Erregung über die geheimnisvollen nächtlichen Schritte, die ihm den Fuchs verscheuchten, die Schnauze zugehalten hatte, wedelnd an Marie in die Höhe.

      »Ja, der Thon!« antwortete der Geheimnisvolle bewegt, erschüttert, doch auch unwillig aus dem großen, dunklen Mantel heraus. – »Was fällt euch denn ein?«

      »Ich hab's ihm schon erzählt,« sagte Röse betreten, »daß wir ausgerissen sind.«

      »Ja aber,« meinte Budang in seiner offenen Weise, »sie sind ja mit uns; – und wenn wir dabei sind, dürfen sie alles! – Frau Rat hat es ihnen ein für allemal erlaubt.«

      Der junge Adjutant mußte über die Ehrenwache, die die beiden Mädchen hatten, lächeln.

      In den wenigen Worten Budangs lag jedoch so eine überzeugende Vortrefflichkeit, – so eine unantastbare Treuherzigkeit, – daß jedes weitere Wort, jeder Unwille und jedes Mißtrauen abgeschnitten war. Der Adjutant schüttelte Budang die Hand und begrüßte die beiden andern, währenddem er seine junge Braut nicht aus dem Arme ließ.

      »Also die Göchhausen wolltest du sehen? – Für so etwas hattest du also doch noch Raum?«

      »Und Sie,« flüsterte Röse bedrängt und zaghaft – »lagen da doch des Fuchses wegen?«

      »Ja, mein Herz, – weil ich's daheim nicht aushalten konnte. – Was denkst du denn? Da ist die Welt zu enge!«

      »Ja,« sagte Röse leise, »deshalb war ich eben auch hier.«

      Und nun gingen sie alle miteinander und brachten die leichtsinnigen Dinger, die Ratsmädchen, heim in die Wünschengasse.

      Unterwegs erzählte Röse ihrem Bräutigam von ihren Kameraden, – wie gut sie immer wären, wie lustig, wie treu, und was sie alles von ihnen gelernt hätte, besonders von Budang.

      Sie schüttete ihrem Bräutigam ihr ganzes Herz aus, das voller Liebe und Freundschaft war, voller Anhänglichkeit, – und erzählte alle möglichen dummen und lustigen Streiche.

      Er mußte in aller Eile alles wissen. Und sie bat ihn, auch ihre Kameraden lieb zu haben. »Sie sind so gut, so klug! Solche gibt's nicht wieder!« rief sie.

      Und er hörte ihr glücklich lächelnd zu.

      Das war Frühlingsreinheit, – Frühlingszartheit, – Frühlingswonne!

      Der Wind hatte sich gelegt, und der Mond schien hell.

      Viele, viele Jahre sind vergangen. – Die Jugend vieler Millionen Menschen ist verweht. – Es ist alles anders geworden.

      Röse ist nun eine alte Frau. – Was das Leben ihr gab, hat es ihr längst wieder genommen. Sie hat alle Freuden genossen und alle Freuden mit Leiden gezahlt – nach Menschenart. Sie ist unendlich geduldig geworden. Sie kennt alles und weiß alles. Sie hat alles sich wiederholen sehen, immer von neuem. – Sie ist gut, still und heiter und lebt in sich selbst. Hier, nur in sich selbst, findet sie die schöne, alte Welt, die ihr so lieb ist, so heimisch, – sonst nirgends!

      Fremde Gesichter sind um sie, und man spricht von fremden Dingen, die sie nichts angehen.

      Ein Sehnen wie nach einer verlorenen Heimat ergreift sie oft, – aber da ist nichts zu machen. Alles ist unerbittlich, was geschieht.

      Geduldig werden, – geduldig werden, – geduldig werden! darauf läuft's hinaus.

      Jetzt ist sie schwer krank. Von lieben Menschen wird sie gepflegt. Ihre Enkelin sitzt bei ihr am Bette.

      Draußen Frühlingsdämmerung und wieder einmal weicher Sturm, der breit durch die Straßen fährt.

      Die alte Frau träumt und spinnt an ihren Gedanken.

      Da, – was ist das?

      Der Sturm trägt wie auf Flügeln einen rhythmisch munteren Pfiff zu ihrem Fenster herauf; ganz wie damals in der Wünschengasse, als sie beim Fasanenessen saßen.

      »Das ist er, wie vor sechzig Jahren!« sagt sie leise bewegt zu ihrer Enkelin, – »das ist Budang!« Und wie ein milder Glanz geht es über das Gesicht der Greisin. – »Das ist er!« nickte sie träumerisch.

      »Siehst du, so pfiff er immer, der Budang, wenn er uns abholen wollte; so pfiff er, wenn er wissen wollte, ob der Vater nicht mehr daheim sei, und ob er mit den beiden andern heraufkommen dürfe!«

      Da thut sich die Thür auf. Ein schöner, kleiner, alter Mann tritt ein, in tadellosem Anzuge, blütenweiß und rabenschwarz; so tadellos, daß es sofort wie etwas Besonderes auffällt. Er hat einen gescheiten Kopf mit lebendigen, geistvollen Augen, – und seine silberweißen, dichten Locken liegen ihm wie eine helle Wolke über der Stirn. – Er hat eine Art geistvoller Grazie in Blick und Bewegung.

      »Wie geht's der Röse?« fragt er.

      Röse streckt ihm die feine Hand entgegen.

      »Goullon,« sagt sie bewegt mit hellen Thränen im Auge, »du kannst ja noch deinen Pfiff!«

      »Gelt,« antwortet der Geheimrat, den sie sonst den »Budang« nannten, »das freut dich?«

      Dann saßen die beiden Alten zusammen und plauderten und machten miteinander einen weiten, – weiten Ausflug in die gute alte Zeit.

      Und das war die beste Medizin.

      Es war das vierte Mal heute, daß er herauf zu seiner alten Freundin in Sorgen und Bangen kam; – aber zuletzt, da hatte er's gefunden,