Henryk Sienkiewicz

Historische Romane von Henryk Sienkiewicz


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abermals tiefes Schweigen ein.

      Die Zeit verstrich. Auch nicht das geringste Geräusch drang aus dem Thore hervor. Dagegen ward das Gekrächze der um den Galgen fliegenden Vögel immer lauter.

      Eine geraume Zeit hindurch wartete Jurand geduldig, dann setzte er das Horn aufs neue an die Lippen.

      Keine Antwort erfolgte. Es herrschte eine lautlose Stille. Allgemach ward es Jurand klar, weshalb er vor dem Thore stehen mußte. Er kannte die Kreuzritter, er wußte, mit welch grenzenlosem Hochmute sie die Besiegten behandelten. Wie ein Bettler sollte er gedemütigt werden. Keine Minute zweifelte er daran, daß er vielleicht bis zum Abend oder noch länger zu warten habe. Im ersten Augenblick drohte ihn der Zorn zu übermannen. Am liebsten wäre er vom Pferde gestiegen und hätte einen der Steine, welche an dem Graben lagen, gegen das Gitter geschleudert. In einem andern Falle würde sowohl er wie jeder masovische oder polnische Ritter dies gethan haben, dann hätten sie hinter dem Thore hervorbrechen und sich ihm zum Kampfe stellen müssen. Jetzt bezwang er sich indessen abermals, indem er sich ins Gedächtnis zurückrief, weshalb er hierhergekommen war.

      »Giebt es ein Opfer, das ich nicht für das Kind bringen würde?« fragte er sich.

      Und geduldig wartete er vor der Burg.

      Mittlerweile war es auf den Zinnen lebendig geworden. Da und dort tauchten Köpfe in Pelzumhüllung, in dunkeln Kapuzen, ja, in Blechhauben empor, und mehr als ein Augenpaar warf neugierige Blicke auf den Ritter. Mit jeder Minute vermehrte sich die Zahl dieser Beobachter, war es doch für die Besatzung ein unerhörter Anblick, den gefürchteten Gebieter von Spychow einsam vor dem Burgthore auf seinem Streitroß halten zu sehen. Wer sich ihm früher genähert hatte, der ging einem sicheren Tode entgegen, nun aber konnte man ihn gefahrlos, nach Herzenslust betrachten. Nach und nach wurden all diese Neugierigen immer sichtbarer, so daß schließlich die Zinnen in der Nähe des Thores geradezu mit Kriegsknechten bedeckt waren. Jurand glaubte nicht anders, als daß auch die Vorgesetzten durch das Gitterfenster in dem an das Thor angebauten Turm auf ihn blickten. Er schaute daher empor, überzeugte sich aber sofort von seinem Irrtume. Aus diesem, tief in die dicken Mauern eingefügten Fenster vermochte man nur in die Ferne zu sehen. Dagegen begann nun die auf der Brustwehr angesammelte Schar, die sich bis jetzt ganz still verhalten hatte, lauter und lauter zu werden. Dieser und jener nannte Jurands Namen, rohes Lachen ertönte, ein heiseres Geschrei, ein wüstes Geheul wie von Wölfen erhob sich, stets rücksichtsloser, stets verwegener wurden die Rufe, und da kein Mensch diesen Ausschreitungen steuerte, ward schließlich der Gebieter von Spychow mit Schnee beworfen. Kaum setzte indessen letzterer sein Roß, wie unwillkürlich, leise in Bewegung, so hörte sofort das Werfen mit Schnee auf, das Geschrei verstummte, ja, etliche der Helden verschwanden hinter den Mauern. In solcher Weise war Jurands Name gefürchtet. Nur zu bald kam es jedoch den feigherzigen Memmen zum Bewußtsein, daß sie ja durch Gräben und Wälle von dem Schrecken einjagenden Masuren getrennt waren, sie huben daher nicht nur von neuem an, den Harrenden mit Schnee zu bewerfen, sondern sie schleuderten ganze Eisschollen, Mörtel und Steine auf ihn, die mit lautem Geklirr von der Rüstung des Ritters, von dem Sattelzeuge des Rosses absprangen.

      »Für das Kind ist mir kein Opfer zu schwer,« sagte sich Jurand.

      Und er wartete und wartete. Die Mittagszeit nahte heran. Die Zinnen verödeten, denn die Söldner begaben sich zum Mahle. Nur etliche, welche die Wache hatten, aßen auf der Brustwehr und vergnügten sich dabei, den hungrigen Ritter mit den abgenagten Knochen zu bewerfen. Dann verhöhnten sie sich gegenseitig, indem einer den andern fragte, wer wohl von ihnen den Mut haben werde, zu jenem hinabzusteigen, um ihm mit der Faust einen Schlag in den Nacken oder mit dem Speere einen Stoß zu versetzen. Verschiedene, die von dem Mahle zurückkehrten, riefen ihm zu, er möge es nur sagen, wenn er des Wartens müde sei, an dem Galgen befinde sich noch ein freier Haken, an dem auch schon der Strick hänge. Und unter solchen Spottreden, unter solch wüstem Geschrei schwanden die Stunden dahin, der kurze Wintertag neigte sich seinem Ende zu. Der Abend brach an. Allein die Zugbrücke ward nicht herabgelassen, das Thor blieb geschlossen.

      Plötzlich erhob sich ein Wind, der den Nebel zerteilte. Das von der Abendröte vergoldete Firmament ward sichtbar. Bläulich violett schimmerte der Schnee. Der Frost ließ nach, die Nacht versprach, schön zu werden. Nur die Wache befand sich noch auf der Zinne; die Krähen und Raben flogen von dem Galgen hinweg, dem Walde zu. Dunkler und dunkler wurde es, eine völlige Stille trat ein.

      »Erst in der Nacht werden sie mir das Thor öffnen,« dachte Jurand.

      Während eines Augenblickes erwog er es ernstlich, ob er nicht in das Städtchen zurückkehren solle, rasch verwarf er aber wieder diesen Gedanken. Es ist ihr Wille, daß ich hier stehe, sagte er sich. Wenn ich mich auch jetzt von hier entferne, lassen sie mich doch nicht wieder ziehen. Sie werden mich umzingeln, und weil sie sich dann meiner gewaltsam bemächtigt haben, erklären, sie seien mir zu nichts verpflichtet. Was nützt es daher, hinweg zu reiten, ich muß ja doch wieder zurückkehren.

      Die von fremden Chronisten gerühmte, erstaunliche Ausdauer der polnischen Ritter im Ertragen von Kälte, Hunger und Beschwerden aller Art, befähigte diese häufig zum Vollbringen von Thaten, welche auszuführen die verweichlichteren Bewohner des Westens niemals im stande gewesen wären. Jurand aber besaß diese Ausdauer in noch höherem Maße als alle andern. Wenn sich ihm daher auch vor Hunger die Eingeweide zusammenzogen, wenn ihn auch die nächtliche Kühle trotz des über die Rüstung geworfenen Pelzes erschauern machte, er hielt auf seinem Posten aus, er hätte selbst dem Tode zu trotzen gewagt.

      Plötzlich indessen – es herrschte schon fast tiefe Nacht – hörte er hinter sich feste Schritte auf dem knirschenden Schnee.

      Sich umschauend, gewahrte er sechs Männer von der Stadt her des Weges kommend. Sie alle waren mit Lanzen und Hellebarden bewaffnet, während ein siebenter, der in ihrer Mitte einherging, ein Schwert trug. »Vielleicht wird jetzt das Thor geöffnet, und ich komme auch hinein,« dachte Jurand. »Mit Gewalt werden sie mich doch nicht ergreifen wollen, sie werden auch nicht versuchen, mich zu töten, denn ihre Zahl ist zu gering dazu. Planen sie aber doch einen Angriff auf mich, so dient mir dies als Beweis, daß sie ihr Versprechen nicht zu halten gedenken, und dann wehe ihnen.«

      Unverweilt ergriff er die stählerne Streitaxt, welche am Sattel hing und welche so schwer war, daß jeder andere Mann sie nur mit zwei Händen hätte fassen können, und wendete sein Roß ihnen zu.

      Jene aber dachten nicht daran, ihn zu überfallen. Im Gegenteile, die Kriegsknechte stießen sofort die Lanzen und Hellebarden in den Schnee, wobei ihnen indessen, wie Jurand, da er sich ganz in ihrer Nähe befand, deutlich bemerkte, die Hand doch ein wenig zitterte.

      Der siebente Kriegsknecht, welcher außerdem der älteste zu sein schien, streckte sofort den linken Arm aus und fragte, mit dem Finger vor sich deutend: »Seid Ihr, Herr Ritter, Jurand aus Spychow?«

      »Ich bin es.«

      »Wollt Ihr hören, weshalb ich hierher gesandt ward?«

      »Ich höre.«

      »Der tapfere und mächtige Komtur von Danveld befahl mir, Euch zu sagen, o Herr, daß wenn Ihr nicht vom Pferde steigt, Euch das Thor nicht geöffnet werde.«

      Während einiger Minuten saß Jurand ganz bewegungslos da, dann stieg er rasch vom Pferde, auf das sofort einer der Lanzenträger sprang.

      »Die Waffen müßt Ihr uns auch ausliefern,« ließ sich aufs neue der Söldner mit dem Schwerte vernehmen.

      Der Gebieter von Spychow zauderte eine geraume Zeit. »Wie,« so fragte er sich, »wenn sie dann auf mich Unbewaffneten stürzen, wenn sie mich wie ein wildes Tier niederstoßen? Oder könnten sie mich nicht auch ergreifen und in einen unterirdischen Kerker werfen? Doch nein, wenn sie einen Ueberfall planten, wären sie dann nicht in größerer Zahl erschienen, hätten sie es nicht unterlassen, ihre Waffen so nahe bei mir in den Schnee zu stoßen? Würde es dann nicht ein Leichtes für mich sein, die erste beste Waffe an mich zu reißen und alle zu erschlagen, bevor Hilfe eintreffen kann? Nein, dazu kennen sie mich zu gut.«

      »Doch wenn dies auch der Fall wäre,« fragte er sich weiter, »wenn mein Blut fließen soll, was zaudere ich? Habe ich denn etwas anderes