Eugenie Marlitt

Das Heideprinzeßchen


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auf-und niederschleuderte – ein Schauspiel, das mich sonst nicht befremdete, ich hatte es täglich vor Augen.

      Meine Großmutter war eine große, starkbeleibte Frau, mit einem Gesicht, das von den Scheitelhaaren an bis auf den breiten Hals hinab zu allen Zeiten eine gleichmäßig brennende Röte überlief. Diese Färbung der ohnehin starken und auffallend gebildeten Züge über der wuchtigen Gestalt mit den weitausholenden Schritten und den energischen, kraftvollen Armbewegungen machte sie zu einer wilden, furchtbaren Erscheinung, und wenn ich sie mir jetzt noch vergegenwärtige in jenen Augenblicken, wo sie unversehens an mir vorüberschoß, und ich höre wieder das Kreischen und Schüttern der Dielen unter ihren Füßen und fühle ein Wehen, als sei ein Windstoß vorbeigebraust, dann muß ich, trotz ihrer schwarzen Augen und der streng orientalischen Profillinie, doch an jene gewaltigen Cimbernweiber denken, die, das Tierfell um den Leib geschlagen und die Streitaxt in der Hand, sich mitten in den wogenden Kampf der Männer warfen.

      Sie hielt den Kopf unter den dicken Wasserstrahl; er schoß ihr über das Gesicht und an den außerordentlich starken, grauen Zöpfen hinab, die in den Brunnentrog hingen. Das that sie immer, auch im eisstarrenden Winter; es schien ihr diese Erfrischung so unentbehrlich wie die Lebensluft zu sein. Heute aber befremdete mich ihre Gesichtsfarbe mehr als je; selbst unter dem kalt niederströmenden Wasser spielte sie in ein tiefes, beängstigendes Braunrot hinüber, und als die gewaltige Frau, die Arme weit ausgebreitet, den Kopf schüttelnd in den Nacken warf und in dem wohligen Gefühl der Erquickung mit geöffnetem Munde einige Mal kräftig ausatmete, da hoben sich die Lippen bläulich dunkel von den großen, weißen Zähnen.

      Ich sah Ilse an; sie blickte wie selbstvergessen hinüber, und ihre hartblauen, strengen Augen schmolzen in dem Ausdruck tiefster Bekümmernis und Trauer.

      »Was ist mit der Großmutter?« fragte ich beklommen.

      »Nichts – es ist schwül heute,« antwortete sie kurz. Es war ihr sichtlich fatal, auf dem schmerzvollen Blick ertappt worden zu sein.

      »Gibt’s denn kein Mittel gegen diesen furchtbaren Blutandrang nach dem Kopfe, Ilse?«

      »Sie nimmt nichts – das weißt du … Gestern Abend hat sie mir das Fußbad vor die Füße geschüttet … Jetzt geh, Kind, und hole deine Sachen.«

      Damit schritt sie nach dem Herd, und ich verließ pflichtschuldigst das Haus durch eine zweite Seitenthür. Ich sprang nach dem Flusse, der kaum dreißig Schritte hinter dem Dierkhof hinlief, und versuchte durch das Ufergebüsch zu schlüpfen. Das war nicht so leicht in dem engen Geflecht, das unberührt von Menschenhand wachsen durfte, wie es Lust hatte. Aber ich wand mich unverdrossen weiter, denn die zähen Weiden, wenn sie auch nach mir zurückschlugen und meine nackten Füße schmerzend rieben, schützten mich doch vollkommen vor den fremden Blicken, und nachdem ich bereits eine bedeutende Strecke zurückgelegt hatte, segnete ich diesen Schutz doppelt; denn schräg über die Heide her kamen die Herren, Heinz voran, und schritten direkt auf den Fluß zu. Noch hoffte ich, vor ihnen die kleine Bucht zu erreichen, wo ich meine Fußbekleidung abgelegt hatte, allein ich kam bei aller Anstrengung nicht so rasch vorwärts, als die Fremden, und kauerte mich resigniert, ziemlich nahe am Ziele, im Gebüsch an den Boden nieder.

      Was sie hierher führte, konnte ich mir denken; Heinz zeigte ihnen den schmalen, neben dem Ufergebüsch hinlaufenden Grasstreifen. Da ging sich’s freilich anders, als im spröden starren Heidekraut, der Weg war samtweich, wie geschaffen für verwöhnte Füße. Die Herren kamen dicht an mir vorüber, ich hörte das Knistern ihrer Tritte, und leise wurden die Zweige gestreift, die auch meinen Arm berührten. An der Birke blieben sie stehen.

      »Aha, hier hat das Heideprinzeßchen Toilette gemacht!« rief der junge Herr. Mir stockte der Atem. Ich bog mich vor und sah, wie er einen der Schuhe vom Boden aufnahm. Nun wußte ich, bei aller Unberührtheit von Welt und Leben, dennoch recht gut, wie ein zarter Frauenschuh aussehen mußte. Ich hatte im Märchen von silbergestickten Pantöffelchen, von kleinen roten Schuhen gelesen, und das Papier, auf welchem diese reizvollen Zaubergeschichten standen, erschien mir noch viel zu dick und grob als Sohle dieser ätherischen Kunstgebilde aus Samt und Seide. Das Unförmchen aber, das der Fremde dort lachend in die Höhe hielt, war vom stärksten Kalbsleder – o Ilse, dir wäre Holz noch nicht »derb und haltbar« genug für meine unruhigen Füße gewesen!

      Heute Morgen hatten die Schuhe vor meinem Bette gestanden, nagelneu und begleitet von zwei steifen Strümpfen, die Ilse selbst aus Heidschnuckenwolle gesponnen und gestrickt hatte – ihr stolzes Geburtstagsgeschenk für mich. Ich war glücklich, und Ilse hatte sehr zufrieden mit dem Kopfe genickt, denn der Schuhmacher hatte in liebender Fürsorge ein wohlgeordnetes Bataillon blitzblanker Nagelknöpfe über die fingerdicken Sohlen hinmarschieren lassen – jetzt funkelten diese gepriesenen Reihen förmlich feindselig zu mir herüber.

      »Je – über das Kindchen! Hat richtig die Schuhe stehen lassen! – Ganz neue Schuhe!« rief Heinz kopfschüttelnd. »Na, na, ich möchte Ilse hören!« setzte er ängstlich besorgt hinzu.

      »Wem gehört denn das Kind, das wir am Hügel gesehen haben?« fragte der alte Herr im braunen Hute mit seiner weichen Stimme.

      »Es gehört auf den Dierkhof, Herr.«

      »Nun ja – aber wie heißt es?«

      Heinz schob den Hut auf die linke Seite und kraute sich hinter dem Ohr. Ich sah sie kommen, seine schlaue Antwort – er erinnerte sich offenbar jenes entsetzlichen Augenblicks, wo ich mit dem Fuß gestampft hatte, und – o, Heinz wußte sich zu helfen!

      »Je nu, Herr, Ilse ruft sie ›Kind‹ und ich sage –«

      »Desgleichen Prinzeßchen,« ergänzte der junge Herr in demselben gravitätischen Ton wie mein pfiffiger Freund. Wie vorhin das Fundstück aus dem Hünenbett, so wog er jetzt das kleine Scheusal von einem Schuh auf der Hand; diesmal jedoch mit jener schwerfälligen Armbewegung, die etwas Gewichtiges ironisiert.

      »Ah, die Damen der Heide belieben mit Nachdruck aufzutreten!« sagte er zu dem Herrn im braunen Hute. »Charlotte müßte dieses feenleichte Prachtstückchen sehen, Onkel! … Ich hätte gute Lust, es ihr mitzubringen –«

      »Keine Possen, Dagobert!« unterbrach ihn der Angeredete streng; Heinz aber schrie fast auf.

      »Ei beileibe nicht, Herr … O je – was würde Ilse sagen! – ganz neue Schuhe!«

      »Brr – diese Ilse scheint mir der Drache zu sein, der das barfüßige Prinzeßchen bewacht! – – Voilà!« lachte der junge Mann und ließ den Schuh auf den Boden fallen. Darauf schlug er die Hände gegen einander, um die etwaigen Staubreste von seinen Handschuhen zu entfernen.

      Sie grüßten Heinz und schritten weiter, während mein alter Freund die Unglücksschuhe eifrig in seine weiten Rocktaschen packte. Er ließ ihnen auch die Strümpfe folgen, die er kopfschüttelnd eben noch auf einem Zweige entdeckte; dann trabte er eiligst nach dem Dierkhofe.

      Ich verharrte noch eine kurze Zeit in meinem Versteck und horchte auf die Schritte der Fremden, die sich bald auf dem weichen Rasen verloren. Ich war sehr aufgeregt; damals wußte ich die Empfindung nicht zu bezeichnen, die mir den Hals zuschnürte und mich mit verhaltenen Thränen ringen ließ, und der ich mich nichtsdestoweniger mit einer Art von leidenschaftlicher Genugthuung erst recht hingab – es war Groll, rachsüchtiger Groll … »Wie einfältig!« hatte ich bei Heinzens diplomatischer Antwort zwischen den Zähnen gemurmelt – jetzt konnte er getrost sagen, daß Doktor von Sassen mein Vater sei; aber nein, er hatte gesprochen, wie der weise Salomo, und ich war ihm gram, ich war bitterböse auf ihn.

      Ich verließ das Gebüsch. Von dem Dierkhof stiegen keine Rauchwolken mehr auf; Ilse hatte längst die Kartoffeln in die Schüssel geschüttet; auf meinem Teller lagen sicher die schönsten, abgeschält und goldgelb, und daneben stand ein Becher voll süßer Milch – Ilse verzog mich, wenn auch mit dem allerstrengsten Gesicht … Und jetzt wartete sie jedenfalls auf mich; aber heim ging ich noch nicht; ich mußte erst sehen, in welchem Zustande die Fremden den armen zerstörten Hügel zurückgelassen hatten.

      Der Hügel sah besser aus, als ich erwartet hatte. Der Block