griff wieder nach der Gabel. »Ich hab halt nicht nachgedacht.« Um den äußeren Schein zu wahren und Gelassenheit auszustrahlen, die hoffentlich seinen Zorn besänftigen würde, schob sie sich einen Bissen in den Mund. Gegenargumente würden die Lage nur aufschaukeln. In ihrem Inneren brodelte es vor Nervosität.
»Es gibt Regeln, an die sich jeder zu halten hat. Auch du. Also gehorche.«
Laurins strenges Auftreten war Nadine fremd. Sie schluckte den Brocken herunter. Seine Miene war wie eingefroren und seine Augen wirkten stechend wie die eines Adlers, der seine Beute fixiert. Gab es ein Entkommen? Wann würde er die Situation entschärfen und anfangen zu lachen? Bestimmt wollte er ihr nur einen gehörigen Schrecken einjagen, was ihm auf jeden Fall gelungen war. Oder doch nicht? Ihr Herz schlug unangenehm hart in ihrer Brust. War es denkbar, dass es noch einen anderen Laurin gab, einen der wirklich streng sein konnte, und wenn ja, konnte sie diesen ebenfalls akzeptieren und lieben?
»Und wenn ich dir nicht gehorche? Was dann?«, presste sie hervor. »Wendest du dann Gewalt an, und schlägst mich grün und blau?«
Für Sekunden geschah nichts, er starrte sie nur an, dann senkte er die Hand und lehnte sich wie erschöpft gegen das Sideboard hinter ihm. »Traust mir das denn zu?«
Sie könnte jetzt erwidern, nein, natürlich nicht. Das war genauso ein blöder Scherz wie deiner eben. Doch statt es auszusprechen versuchte sie einfach nur, seinem Blick standzuhalten.
Laurin seufzte gequält. »Strafe kann immer nur ein Bestandteil unserer Vereinbarung sein. Ich würde dich niemals zwingen, wenn du dich weigerst. Aber wenn du deine Schuld einsiehst, solltest du als devote Sub deine Strafe annehmen. Wie Sophie es tun würde.«
Ja. Nein. Ach ich weiß nicht. Ich weiß gar nichts mehr.
Laurin wirkte kraftlos, als würde ihm der Rohrstock jeden Moment aus seiner Hand gleiten.
Sag doch was, dachte Nadine. Irgendwas Nettes. Ich weiß ja, dass ich einen Fehler gemacht habe. Vielleicht sollte ich mich doch bereit erklären, Myriam anzurufen und ihr abzusagen? Aber es ist mir immer schon schwer gefallen, einen Rückzieher zu machen. Eine Zusage nimmt man nicht zurück, egal wie sie zustande gekommen ist. Und Sophie als Vorbild anzuführen ist sowas von unfair! Sophie macht keinen Unterschied zwischen erotischer Sitzung und Alltag. Für sie und Leo ist alles eins. Aber ich bin nicht so. Bist du denn so, und ich habe es bis jetzt nicht bemerkt?
Das Schweigen wurde unerträglich.
»Kannst du mir nicht einfach verzeihen?«, flüsterte sie.
Laurin seufzte. »Hast du dich denn entschuldigt?«
Nadine zuckte zusammen. Was erwartete er? Einen Kniefall? »Hey, es tut mir leid. Das habe ich doch gesagt. Ich hätte Myriam nicht einladen dürfen, du hast recht. Okay?«
Er nickte. »Wirst du sie anrufen und ihr absagen?«
Trotzig schob Nadine die Unterlippe vor. »Nein, das kann ich nicht. Und das weißt du.«
Wortlos drehte Laurin sich um und ging hinaus.
Verdammt. Sie schob den Teller von sich. Warum fühlte sie sich jetzt miserabel? War es denn wirklich eine solche Katastrophe, wenn Myriam Einblick in ihre Gepflogenheiten bekam? Wie oft kam es vor, dass diese Treffen vollkommen unspektakulär verliefen. Gewiss, manchmal wurde eine der Subs vor aller Augen gezüchtigt, oder in Bondage zur Schau gestellt und alle durften sie berühren und reizen.
Ein merkwürdiger Tag. Vergeblich hoffte Nadine, Laurin würde zurückkehren und sich mit ihr versöhnen. Sie hatte das Essen abgetragen, den Geschirrspüler eingeräumt, den Herd geputzt, die Waschmaschine angestellt und lustlos begonnen, die liegen-gebliebene Bügelwäsche abzuarbeiten. Dabei horchte sie auf jedes Geräusch im Haus. Mittlerweile waren schon zwei Stunden vergangen, seit Laurin sich in sein Arbeitszimmer zurückgezogen und die Tür geschlossen hatte. Vielleicht würde es ihr gelingen, ihn mit einem Kuchen zu besänftigen? Nadine entschied sich Apfelmuffins zu backen, für die alle nötigen Zutaten im Haus waren.
Die Muffins befanden sich noch im Ofen, als Laurin in die Küche kam. »Hm, riecht das fein.«
»Kann ich dich damit besänftigen? Ich mag es nicht, wenn wir streiten.«
»Ich auch nicht.« Er nahm ihr Gesicht in beide Hände, sah ihr in die Augen und hauchte ihr einen Kuss auf die Lippen. »Hast du angerufen?«
»Nein.«
»Okay. Meinetwegen kann Myriam kommen. Eins muss dir allerdings klar sein. Die Strafe für deinen Ungehorsam erlasse ich dir nicht. Die ist nur aufgeschoben und ich werde sie zu einem Zeitpunkt meiner Wahl vollziehen. Als erotische Strafe.«
Nadine nickte erleichtert. Selbst falls er zum Rohrstock greifen sollte, würde die Züchtigung auf jeden Fall sehr aufregend werden. Fürs Erste war der häusliche Frieden wieder hergestellt.
Die BDSM-Party
Die letzten Stunden waren zäh wie Honig dahin geflossen. Die Zeiger der Uhr wollten und wollten nicht vorwärtsrücken. Voller Ungeduld schaute Myriam sich um. Auf dem Bett lagen unzählige Tops, Hosen, Röcke und Dessous ausgebreitet. Nichts erschien ihr passend für diesen Abend.
Im ersten Augenblick hatte sie gedacht, Nadine wolle sie womöglich von der Party ausladen. Irgendwie hatte sie am Telefon ein wenig verunsichert geklungen. Umso überraschender war, was sie zu sagen hatte. Zieh dich möglichst sexy an, zeig, was du zu bieten hast. Je verführerischer du ausschaust, desto weniger fällst du als Neuling auf.
Prinzipiell hatte Myriam dagegen nichts einzuwenden. Ihr Körper war fast perfekt. Na gut, ihre Hüften waren vielleicht ein wenig zu breit, die Waden ein wenig zu stark, um Mini-Röcke oder gar Hotpants zu tragen. Mit kritischem Blick drehte sie sich vor dem Spiegel. Der Rest war eigentlich ganz okay. Einen Wonderbra benötigte sie jedenfalls nicht, um genügend Oberweite vorzugaukeln. Alles war echt. Wenn nur nicht der ewige Kampf mit dem Gewicht wäre. Aber sie konnte sich einfach nicht beherrschen. Da ein Stück Schokolade, dort ein Kuchen, und überhaupt aß sie gerne. Ihre gelegentlichen Besuche im Sportstudio reichten nicht aus, um eine perfekte Figur zu formen. Trotzdem stellte sie gerne ihre Reize dar und mochte es, wenn die Männer ihr hinterher schauten. Die meisten mochten doch sowieso keine Hungerharken. Sie würde die Party also auf jeden Fall gehörig aufmischen!
Gerne hätte sie Nadine noch ein wenig ausgefragt. Aber diese hatte das Gespräch schnell beendet. Egal. Myriam hatte noch ein wenig im Internet recherchiert und fragte sich seither, ob Sophie und Nadine wirklich dieser merkwürdigen Szene angehörten. War das alles ernst zu nehmen oder eher ein seltsames Spiel? Vor allem bei Nadine, die während der Schulzeit eigentlich nur im Fahrwasser der viel selbstbewussteren Sophie mitgeschwommen war, konnte Myriam sich nichts von dem vorstellen, was sie sah und las. Oder war die devote Rolle genau das Richtige für jemanden wie Nadine?
Bei Sophie erschien dies Myriam jedenfalls vollkommen undenkbar. Die emanzipierte und um keine Konfrontation verlegene Sophie lebte in der Beziehung, die man in diesen Kreisen 24/7 nannte, den submissiven Part? Myriam hatte wie gebannt vor dem Bildschirm gesessen, gleichermaßen schockiert wie fasziniert, was dies bedeutete. Der devote Partner, als Sub bezeichnet, was sowohl auf die unterlegene Frau wie auch einen unterwürfigen Mann zutreffen kann, überlässt jegliche Entscheidungen dem dominanten Partner, dem Dom oder der Domina. Dazu gehört auch die Bereitschaft, zu jedem Zeitpunkt, an jedem Ort und auf jede Weise Sex zu haben.
Die Informationen sprengten Myriams Vorstellungsvermögen. Noch viel überraschender war allerdings, dass ihr Körper eindeutig reagierte, als sie nach mehrfachem Weiterleiten von einer Website zur nächsten sprang und schließlich auf eine Galerie stieß, deren Bilder bei Anklicken bildschirmfüllende sexuelle Handlungen zeigten. Da wurden sämtliche Gliedmaßen gefesselt, Busen prall verschnürt, Nippel geklammert und Peitschen geschwungen. Eine Frau kniete, in eine enge Korsage geschnürt, die ihren nackten Busen besonders betonte, vor einem Mann, der einen Riemen in der