Am andern Morgen früh ritt ich in die Stadt, um mein Versprechen zu erfüllen. Dort ließ ich von zwei verschiedenen Juwelieren den Wert des Schmuckes schätzen. Er war hoch; aber meine Kasse war damals gerade gefüllt. So konnte ich selbst den Schmuck für Jenni aufheben, und wechselte von meiner mitgenommenen Barschaft eine Rolle Goldes ein, die dem angegebenen Werte entsprach. – Als das besorgt war, ging ich noch eine Weile an dem schönen Hafen auf und ab. Draußen auf der Reede, ganz fern im Sonnenduft, sah ich ein großes Schiff liegen; eine Brigg, wie mir ein Matrose sagte, segelfertig nach Westindien. –
»Nach ihrer Heimat!« dachte ich; und dann übernahm mich das Denken an sie so sehr und ließ mir keine Ruhe, als bis ich wieder auf dem Heimwege war.
Kurz vor Mittag trat ich in den Gartensaal. Es war niemand dort; aber von der Tür aus sah ich in einiger Entfernung Jenni mit einem hageren ältlichen Herrn im Garten stehen. Gleich darauf bot er ihr mit einer gewissen Förmlichkeit den Arm und führte sie dem Hause zu. Als sie näher kamen, sah ich, daß der Mann fast weißes Haar hatte; aber aus dem sehr dunkeln Antlitz blickten zwei scharfe herrische Augen, und die kurzen Bewegungen seines Kopfes zeugten davon, daß er gewohnt sei zu befehlen. Das weiße Halstuch und die große Brillantnadel in dem gekrausten Jabot gehörten wie selbstverständlich zu dieser Gestalt. Ich wußte auch sofort, daß es Jennis Vater sei, der reiche Pflanzer, mein Onkel von Vetters wegen, den ich bis jetzt noch nie gesehen hatte; aber, so wie er war, entsprach er wohl noch meiner Knabenphantasie. Und jetzt hörte ich auch seine fremdklingende Stimme; er sprach in abgestoßenen Worten, die ich nicht verstand, zu seiner Tochter; sie schien nur zuzuhören.
Da ich mich nicht vorbereitet fühlte ihm jetzt entgegenzutreten, so verließ ich, ehe die beiden die Terrasse erreicht hatten, den Saal, und ging in das Oberhaus hinauf. Die Tür zu Jennis Zimmer stand offen. Ich ging hinein und legte unserer Verabredung gemäß den Erlös des Schmuckes in einen Wandschrank, der sich oberhalb der Tür befand. Dann ging ich in mein eigenes Zimmer und warf mich dort aufgeregt und doch ermüdet auf das Sofa.
Es mochten kaum einige Minuten vergangen sein, als ich von der Treppe her Schritte vernahm und bald darauf zwei Personen in das große neben dem meinigen liegende Zimmer treten hörte. Eine von meinem Zimmer da hineinführende Tür befand sich meinem Sitze gegenüber. Sie war zwar jetzt verschlossen; aber sie hatte ein Fenster, das von der andern Seite mit einer weißen Gardine dicht verhangen war.
An der Stimme erkannte ich, daß Jenni und ihr Vater die Eingetretenen seien, obwohl ich, da sie sich am andern Ende des Zimmers befinden mochten, von ihrer Unterhaltung nichts verstand. Als sie sich dann näherten, wollte ich mich leise entfernen; aber die ersten Worte, die mit Deutlichkeit mein Ohr trafen, bewirkten, daß ich regungslos und alles andere vergessend auf meinem Sitze blieb.
»Du konntest dort nicht bleiben!« hörte ich den Vater in der schon vorhin bemerkten abgestoßenen Redeweise sagen.
»Weshalb nicht?« fragte Jenni.
Ich hörte ihn jetzt ein paarmal langsam auf und ab gehen. Dann stand er still. »Du magst es hören«, sagte er, »weil du mich zwingst, es zu sagen. Du hättest bei der Abstammung deiner Mutter niemals die Gesellschaft deines Vaters teilen können.«
»Und bei meiner eignen«, setzte Jenni hinzu. »Ich weiß das.«
»Du weißt das? Wer hat dir diese Dinge gesagt?«
»Niemand; ich habe sie gelesen.«
»Nun, dann weißt du auch, weshalb ich dich nach Europa schicken mußte. Ich meine, da hättest mir das danken sollen.«
»Ja«, sagte sie, »so wie ich dir mein Leben danke.«
Der Vater erwiderte hierauf nichts; aber es wurde ein Fensterflügel aufgestoßen, und an dem Geräusch bemerkte ich, wie er den Kopf in die freie Luft steckte und mit großer Erregung sich räusperte. – Jenni hatte sich mit dem Rücken gegen die Tür gelehnt, welche die beiden Zimmer trennte. Ich sah durch das verhängte Fenster den Schatten ihres Kopfes und hörte das Rauschen ihres Kleides.
Nach einiger Zeit schien ihr Vater in die Stube zurückgetreten zu sein. »Ich habe«, begann er wieder, »für dich getan, was ich vermochte. Du hast freilich niemals einen Wunsch gegen mich ausgesprochen; aber ich wüßte auch nicht, was du noch zu wünschen gehabt hättest.«
Sie erhob sich und trat ihm langsam einen Schritt entgegen. »Wo ist meine Mutter?« fragte sie.
»Deine Mutter, Jenni!« rief der Mann, als habe er eher alles andere, als eine Frage nach dieser Frau erwartet. »Du weißt es ja, sie lebt; es wird für sie gesorgt.«
»Und«, fuhr das Mädchen unerbittlich fort, »da nun dein großes neues Haus fertig und eingerichtet ist, hast du schon Anstalten getroffen, daß sie herüberkomme, um wieder mit uns zu leben?«
Ich hörte, wie er ein paarmal mit starken Schritten in dem großen Zimmer auf und ab ging. Dann trat er wieder zu seiner Tochter. »Du bist ein Kind, Jenni«, sagte er mit gedämpfter Stimme; aber die Worte klangen dennoch scharf akzentuiert. »Du kennst die Verhältnisse drüben in deinem Geburtslande nicht; du sollst sie auch nicht kennenlernen.« Und als überkomme ihn, den alten Kaufherrn, plötzlich der Zauber der Erinnerung, fuhr er fort: »Sie war unglaublich schön, jene Frau; unglaublich! – wenn sie sich in ihrer Hängematte schaukelte, in ihren weißen Gewändern zwischen den grünen breiten Blättern der Mangrove, unten die Bai im Sonnenglanz, darüber der stahlblaue Tropenhimmel; wenn sie mit ihren Vögeln spielte oder die goldnen Bälle in die Luft warf! – Aber man durfte sie nicht reden hören; der schöne Mund stümperte in der gebrochenen Sprache der Neger; es war das Geplapper eines Kindes. – Jene Frau, Jenni, war keine Gesellschafterin für dich, wenn du das werden solltest, was du geworden bist.«
Sie hatte sich wieder an die Tür gelehnt. »Und dafür«, sagte sie, »hast du der Mutter das Kind genommen. – Sie schrie; oh, sie schrie, als du mich aus ihren Armen nahmst und über das Brett ins Schiff hinübertrugst. Und das war der letzte Laut, den ich von meiner Mutter hörte. – Ich hatte es lange vergessen; denn ich war ein gedankenloses Kind. Gott verzeihe mir das! – Aber jetzt höre ich es alle Nächte vor meinen Ohren. Wer gab dir das Recht, meine Zukunft mit dem Elend meiner Mutter zu bezahlen!« Und ich sah durch die Gardine, wie sie sich hoch aufrichtete bei diesen Worten.
Der Vater schien ihre Hand zu fassen. »Besinne dich, Jenni«, sagte er; »ich hatte nur die Wahl zwischen dir und ihr; – aber du warst mein Kind.«
Der weiche, fast zärtliche Ton, worin er die letzten Worte sprach, schien ohne Eindruck auf die Tochter zu bleiben. »Du hast mir meine Frage nicht beantwortet«, sagte sie; »der Preis, den du gezahlt hast, war nicht dein und auch nicht mein; er muß zurückerstattet werden, soweit es jetzt noch möglich ist. Antworte mir, ja oder nein, wird meine Mutter in dem neuen Hause mit uns wohnen?«
»Nein, Jenni; das ist unmöglich.«
Auf diese Worte folgte eine lautlose Stille. Was in diesen Augenblicken in dem Innern des Mädchens vorging, was davon etwa in dem Ausdruck ihrer Gebärde oder sonstwie zu Tage trat, konnte ich nicht bemerken.
»Ich habe noch eine Bitte«, sagte sie endlich.
»Sprich nur, Jenni«, erwiderte der Vater hastig; »sprich nur; alles, was sonst in meinen Kräften steht!«
»So bitte ich«, fuhr sie fort, »um die Erlaubnis, während deines Aufenthalts in Pyrmont bei unsern Freunden hier zurückzubleiben.«
Er schwieg einen Augenblick. »Wenn du«, sagte er dann, »es nicht für passender findest, deinen Vater zu begleiten, so wüßte ich nichts dagegen einzuwenden.«
Sie antwortete nicht darauf; sie fragte nur: »Darf ich mich jetzt entfernen?«
»Wenn du mir nichts mehr zu sagen hast; ich werde mit hinabgehen.«
Darauf wurde die Tür geöffnet, und ich hörte, wie ihre Schritte sich draußen auf dem Korridor nach der Treppe zu entfernten. Ich blieb auf meinem Zimmer, bis ich zum Mittagsessen herabgerufen wurde.
Jennis Vater, als mein Bruder mich ihm vorstellte, maß mich mit seinen raschen Augen, so daß ich fühlte, es werde meine Person