nur die Stellung der Figuren war eine andere. Das junge Paar, das sich früher mit übermütigem Lachen in dem Laubgange entfernt hatte, sah man jetzt in harmloser Weltvergessenheit zu den Füßen der huldreichen Göttin. Das Mädchen, wie ruhig atmend hingestreckt, lehnte ihr Köpfchen an das Postament, während der jugendliche Kavalier, welcher dem Beschauer jetzt ebenfalls sein Antlitz zeigte, damit beschäftigt war, eine rote Rose in ihrem Haar zu befestigen, die er augenscheinlich eben frisch vom Strauch gebrochen hatte. – Im Hintergrunde des Bildes aber, in bescheidener Ferne, so daß sie nur bei genauerer Betrachtung bemerkt wurde, saß auf einer Bank die Gestalt meines Freundes. Bequem in die Ecke gelehnt, die Krücke seines Stöckleins unterm Kinn, schaute er unverkennbar in heiterer Behaglichkeit den Spielen zu, die bei dem warmen Sonnenschein unseres Herrgotts Geziefer vor ihm in den Lüften aufführten.
»Nun, Arnold?« fragte Brunken, der während meiner langen Betrachtung des Bildes neben mir gestanden.
Ich drückte ihm die Hand. »Da ist Friede«, sagte ich.
»Du siehst«, versetzte er, »es galt nur die Kleinigkeit, das liebe Ich aus dem Vorder-in den Hintergrund zu praktizieren. – Ihr großgewachsenen Menschen versteht es freilich nicht, was für Arbeit dem kleinen Kerl die kurze Strecke Wegs gekostet hat.«
Als ich noch einmal auf das Bild blickte, sah ich auch jetzt wieder eine Ähnlichkeit, aber eine andere als in der ersten Auflage desselben. »Du bist auch hier meinem Mühmchen untreu geworden«, sagte ich lachend; »und wenn vor vier Jahren, da er noch den Laubgang hinabwandelte, der Kavalier sich umgesehen hätte, so würde auch er uns wohl ein anderes Gesicht gezeigt haben.«
»Hast du mich richtig ertappt, Doktor?« rief mein kleiner Freund.
»Paul und Marie!« sagte ich leise.
Brunken lächelte. »Still, Arnold! Du siehst, ich habe noch immer meine Träume. Möge das Leben einst deutlicher reden als das Bild!«
Noch drei heitere Tage verweilte ich auf der Villa Brunken; dann reiste ich ab und besorgte meine Übersiedelung in diese wohllöbliche Stadt. – In den zwei Jahren, die seitdem verflossen, haben Brunken und ich uns nicht wieder vergessen; nach seinen letzten Briefen muß ich annehmen, daß seine selbstlosen Hoffnungen einer frohen Ernte entgegengehen.«
Der Arzt schwieg, und es trat eine kurze Stille ein. Dann aber rief die Hausfrau: »Doktor, Ihr Freund war ja nicht verheiratet. Wie paßt denn das auf unsern Fall?«
»Glauben Sie«, erwiderte der Doktor, indem er wieder eine Prise nahm, »daß man sich selber leichter schleißt als seine Frau? – Unter Umständen können Sie recht haben.«
Lena Wies
Aber an deinem niedrigen Häuschen kann ich nicht so vorübergehn, du liebreiche Freundin meiner Jugend, die du wie Scheherezade einen unerschöpflichen Born der Erzählung in dir trugst. – Ich will eine Gänsefeder nehmen; die weiße Fahne soll nicht gestutzt werden, und das gesellige vogelartige Gezwitscher, das sie, ihres Ursprungs eingedenk, beim Schreiben hören läßt, soll mich an vergangene Zeit gemahnen, während ich dies zu deinem Gedächtnis niederschreibe.
Noch stehen die steinernen Bänke vor dem Hause, noch die gemalten Schwarzbrote, das Zeichen des Betriebes, auf dem einen Fensterladen; und, wenn man die Haustür mit den dicken grünen Glasscheiben aufstößt, so schellt die Glocke, und hinten im Backhause läßt »Perle« seine Stimme erschallen; denn – der Hund ist tot; es lebe der Hund! der Hund stirbt nicht! – Aber es ist nicht mehr der »Perle« meiner Jugend.
Wie manchen Herbst-und Winterabend bin ich nach diesem kleinen Hause gegangen. – Gegangen? – Nein, gelaufen, gerannt! – Es gab damals in unserer Stadt noch keine Straßenbeleuchtung; aber desto mehr Gespenster; »es übte vor«, es »jankte« draußen im »Austrom«, im Schlosse wurde nachts eine kleine braune Frau gesehen. Und das alles wurde mit jedem Abend bei mir lebendig, und meine kleine Handlaterne warf zweifelhafte Lichter auf die unbewohnte Plankenstrecke, die in jener Straße zu passieren war. Hatte ich glücklich das Haus erreicht, so stürzte ich fast die Tür ein; die Glocke läutete, hinten im Backhause riß Perle an der Kette und erhob ein wütendes Gebell.
Atemlos stand ich vor dem kleinen hitzigen Gesellen, der nun freudewinselnd an mir aufstrebte. Kräftig dufteten die frischen Roggenbrote, welche reihenweise auf den Wandgestellen lagen; und nebenan in der offenen Kammer stand die alte Mutter Wies am Backtroge, mit dem Ansäuern des Teiges für den morgenden Tag beschäftigt. Im Backhause selbst drängte sich eine Schar von Nachbarskindern, welche, mit irdenen Schüsseln in der Hand, auf die Austeilung der Abendmilch warteten; denn auch eine Milchwirtschaft wurde hier mit vier oder fünf schweren Marschkühen betrieben.
»Lena noch nicht fardig?« fragte ich auf plattdeutsch; und die alte Frau hielt im Kneten inne, und ihre noch immer schönen Augen blickten mit großmütterlicher Zärtlichkeit auf mich.
Nein, Lena und Vater Wies waren noch im Stall beim Melken.
Schnell war meine Handleuchte ausgeblasen und auf den Tisch gestellt; dann ging’s über den dunklen Steinhof und in den alten niedrigen Stall hinein, durch den übrigens im Sommer der Weg zu einem seltsam stillen Garten voll roter Zentifolien und kleiner süßer Stachelbeeren führte. – Wie ein kleiner Privilegierter dünkte ich mich den armen Nachbarskindern gegenüber, die beim Schein des dünnen Talglichts ruhig auf ihrem Platze bleiben mußten, bis sie ihr herkömmliches Quantum Milch zugemessen erhalten hatten.
Unter dem Boden des Stalles hing eine Hornleuchte; aber es war kein Licht, sondern nur eine Art leuchtenden Dunstes, den sie in einem engen Kreise um sich her verbreitete. Und doch, für welch trauliche kleine Welt war sie der Mittelpunkt! Aus dem Dunkel, wo die Kühe an ihren Raufen wiederkäueten, klang es mir leibhaftig wie der alte Volksreim entgegen:
»Stripp, strapp, stroll –
Is de Ammer nich bald voll?«
Ich rief ihn denn auch lustig in das Dunkel hinein, und: »Geduld überwindet Schweinebraten!« kam sogleich von dorther die heitere Stimme meiner Freundin Lena an mich zurück, und unter einer anderen Kuh heraus scholl als Begleitung im Grundbaß das behagliche Lachen von Vater Johann Wies.
Lena regierte mich mit scherzenden Worten, ja bloß mit ihren klugen Augen sicher genug; und so warf ich mich geduldig neben der Tür auf einen Haufen Heu, während seitwärts auf der Hühnerleiter der Hahn mit seinen Hennen im Traume kakelte und von den Kühen her der Strich des Melkens eintönig hervorklang, nur mitunter durch einen Zuruf unterbrochen, wenn die Blaß oder die Schwarze etwa nicht ordnungsmäßig standhielten.
Endlich mit schwerem Eimer und heißem Gesicht, trat Lena in den Leuchtkreis der Laterne, und bot mir freundlich guten Abend. Sie war von kleiner Statur; ihre Gesichtszüge – sie mochte in meiner Knabenzeit etwas über dreißig Jahre zählen – ließen erkennen, daß sie einst ungewöhnlich wohlgebildet gewesen sein mußten; aber die Blattern hatten das Kindergesicht auf das unbarmherzigste zerrissen, als wenn, nach dem Volkswitz, der Teufel Erbsen darauf gedroschen hätte. Sie selber meinte freilich, am Ende müsse sie noch eitel werden; denn: »So’n Bildhauerarbeid ward nu nahgrad wat Rares!« – Nur die schönen braunen Augen blickten unversehrt; und sie gehören mit zu den Sternen, die über meiner Kindheit standen, und mitunter in dunklen Stunden glaube ich, sie noch jetzt zu sehen, obgleich auch sie erloschen sind. – –
Während nun Lena den Milchverkauf besorgte, hatte »Vader« den Kühen ihr letztes Futter vorgeworfen, »Moder« in ihrem Troge den Teich zusammengeballt und sorgsam zugedeckt; ich selbst war schon vorher in die Wohnstube gewiesen, in jenen engen aber traulichen Raum, in welchem ich die schönsten Geschichten meines Lebens gehört habe. Fast immer, so wenigstens scheint es mir jetzt, blühten hier auf den Fensterbrettern die roten Winterlevkojen; meine Blicke aber gingen nach dem eisernen Beileger-Ofen, der an der Wand gegenüber zwischen den beiden verhangenen Alkovenbetten stand und für mich einen Gegenstand der anziehendsten Betrachtung bildete; denn nicht allein, daß sich auf der vordersten Platte,