Elisabeth Bürstenbinder

Die beliebtesten Liebesromane & Geschichten von Elisabeth Bürstenbinder


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      „Morgen Abend bin ich dort. Sagen Sie dem Prälaten, die Kraft, die er dem Orden erhalten wollte, sei ihm verloren auf ewig, aber ich wäre trotzdem des Wortes eingedenk gewesen, mit dem er mich beim Abschiede entließ: Ich sei zu Allem fähig, nur nicht zum Meineide!“

      Der Graf zuckte wieder leise zusammen und die schon gehobene Hand, mit welcher er die des jungen Priesters ergreifen wollte, um ihn zu seinem Sohne zu führen, sank schlaff hernieder, stumm preßte er die Lippen zusammen. Von den beiden jungen Männern redete keiner ein Wort, sie standen sich gegenüber, finster, feindselig von einander abgewendet, nur mühsam den innern Groll zügelnd. Noch hielt die Gegenwart des Grafen sie in Schranken. Wenn diese Schranke fiel, so wiederholte sich vielleicht jene Scene im Walde, deren furchtbaren Ausgang er einst mit Mühe verhindert hatte. Er kannte freilich nicht die geheime Quelle, aus der jener Haß stammte, der den Beiden schon einmal die Waffen in die Hand gezwungen, und eben deshalb unterschätzte er die Gefahr, er ließ es bei seinem frühern Verbote bewenden, einander nicht feindlich zu nahen: ein ohnmächtiges Wort, ein Verbot sollte die volle heiße Leidenschaft der Jugend dämmen. Das eine Wort, welches allein der Feindseligkeit zwischen ihnen ein Ende machen und sie zur Versöhnung hätte zwingen können, blieb ungesprochen – der Graf ahnte nicht, was ihm dies Schweigen kosten sollte, und welche Qualen er damit auf sein eigenes Haupt herabrief.

      Der Abschied war hastig und kurz von seiner Seite, eisig von Seiten Benedict’s. Rhaneck schlug, von seinem Sohne begleitet, den Rückweg nach dem Dorfe ein, während Jener den verspäteten Gang nach der Wallfahrtskirche antrat.

      Pfarrer Clemens hatte nicht Unrecht, bei diesem täglichen Gange für seinen jungen Mitbruder zu fürchten, zumal in der jetzigen Jahreszeit. Es war ein einsamer und gefährlicher Weg, der nur Raum für die Schritte eines Wandernden bot. Rechts stieg der Fels jäh empor, links fiel er jäh ab in die Tiefe, steil bergabwärts wand sich der Pfad, über glattes Steingeröll, vorüber an stürzenden Bächen, an abgestorbenen Tannen bis zur „Wilden Klamm“. Schon in einiger Entfernung vernahm man das Rauschen und Tosen des Gewässers, das sich tief unten im Grunde sein felsiges Bett wühlt, zu beiden Seiten desselben stiegen die nackten Klippen schroff und steil empor, die Häupter so nahe zu einander geneigt, als wollten sie sich berühren. Es sah aus, als habe eine vulcanische Gewalt die mächtige Felswand gespalten und in zwei Hälften auseinander gerissen, zwischen denen nun der Fluß dahintobte. Eine schmale Brücke, roh aus Baumstämmen gezimmert, und mit einem schwachen Geländer nur als Stützpunkt für die Hand versehen, hing in halber Höhe der Felsen über der Schlucht. Nur ein matter Strahl des Tageslichts fiel von oben herein, gerade hell genug, um zu erkennen, daß die „Wilde Klamm“ ihren Namen mit Recht führte, man konnte nichts Wilderes sehen, als diese Scenerie von der Brücke aus. Der Blick schwindelte, wenn er oben in der Höhe das dunkle zerklüftete Gestein zu umfassen strebte, das, schwer niederhängend, jeden Augenblick bereit schien, herabzustürzen und den schwachen Steg zu zerschmettern; und er schwindelte, wenn er hinabsank im die Tiefe, wo das Wasser brausend und zischend dahinschoß, die schaumgepeitschten Wellen ewig am Fuße der Klippen brechend, die jäh ansteigend auch nicht einen Fuß breit Raum zwischen sich und dem wilden Elemente ließen. Wie Eiseshauch umfing hier die Luft den einsam Wandernden, sie legte sich feucht und kalt auf seine Stirn und wehte ihn an wie mit Grabesodem; hier galt es, nicht aufwärts und nicht niederwärts zu schauen, sondern fest und unverwandt auf den Steg vor sich zu blicken, wollte man ungefährdet hinüber.

      Furchtlos betrat Benedict die Brücke, er ging den Weg ja seit Monden beinahe Tag für Tag; ohne das Geländer zu berühren, ohne auch nur die allergewöhnlichste Vorsicht zu brauchen, schritt er rasch vorwärts. Vielleicht gab sein schwindelfreies Auge ihm diesen Muth, vielleicht auch die Gleichgültigkeit gegen das Leben, die er vor Kurzem noch dem alten Pfarrer gegenüber ausgesprochen; und es war wohl Schlimmeres als bloße Gleichgültigkeit dagegen, was, in der Mitte der Brücke angelangt, seinen Schritt bannte und ihn so unverwandt niederschauen ließ in den kochenden Gischt da unten. Leise kam die Versuchung herangeschlichen, es war nicht das erste Mal, daß sie ihm an dieser Stelle nahte, er hatte sie bisher noch immer überwunden, aber heute, nach jenem Gespräch mit dem Grafen, das ihm deutlich verrieth, was er bisher doch nur dunkel geahnt, welches Schicksal seiner wartete, heute setzte er ihr nicht den alten Widerstand entgegen. Wie festgebannt hing sein Auge an dem finstern Schlunde, an dem Gewässer, das sich zischend und schillernd wie eine Schlange dahinwand, und leise wie mit Schlangenlauten tönte dies dumpfe Zischen zu ihm herauf, es gewann eine Sprache, die immer deutlicher, immer vernehmlicher an sein Ohr schlug, war sie doch nur das Echo seiner eigenen wühlenden Gedanken.

      „Wozu dich in die Hand der Menschen geben, wenn die eigene das Geschick vollenden kann, dem du nun einmal unwiderruflich verfallen bist? Ein Sturz, ein letzter Aufschrei vielleicht – und die kalten Wellen schäumen hinweg auch über die heiße Stirn, die das Denken nun einmal nicht verlernen will, über das wilde glühende Herz, das nicht kühl und still schlagen kann unter dem heiligen Gewande. Und es ist doch Alles, Alles umsonst durch das eine unselige Wort, mit dem du dich der Kirche gelobtest, das dich bindet für Zeit und Ewigkeit! Es reißt dich los von dem Leben, das mit all’ seinen reichen Schätzen, mit all’ seinem sonnigen Glanze wie ein fernes erträumtes Wunderland einst vor dir auftauchte, um auf immer wieder zu versinken, es zieht dich wieder zurück in die alte Knechtschaft, in die dumpfen Hallen des Klosters. Gehorsam heißt ja das erste, das oberste Gelübde des Ordens, und der Mönch muß ihm folgen, wüßte er auch, daß der Weg, den man ihn gehen heißt, am Abgrunde endigt! Wozu den endlosen nutzlosen Kampf erneuern, dem doch nie der Sieg beschieden ist? Ein entschlossener Schritt, und die Kette ist gesprengt, die Last sinkt von deinen Schultern für ewig! Hinab!“

      Benedict starrte noch immer unbeweglich hinunter in die Tiefe, aber schwer und schwerer stützte er sich auf das Geländer, das schon wankte und zitterte unter seiner Hand, es legte sich feucht und eiskalt auf seine Schläfe, tief und tiefer senkte er das Haupt – noch eine Secunde, und die weißen Wellenarme drunten, die sich so gierig nach ihm ausstreckten empfingen ihr Opfer.

      Da auf einmal klang ein fremder Ton herüber, ferne, leise, halb verweht, aber er drang dennoch zu seinem Ohr, unwillkürlich hob er das Haupt und lauschte. Jetzt trug der Wind die Töne voller, mächtiger herüber, drüben in der Wallfahrtskirche hallten die Glocken und riefen zur Messe, die Kirche rief ihren Priester. Dort harrten die Andächtigen seines Erscheinens, und die geweihte Hand, die ihnen den Segen spenden sollte, hob sich in diesem Augenblick zum Selbstmorde!

      Langsam zog Benedict den Arm zurück von dem Geländer, das in der nächsten Minute gebrochen wäre unter der Wucht seines Körpers, langsam richtete er sich empor und wandte das Auge weg von der verlockenden Tiefe. Die eherne Stimme der Pflicht suchte und fand ihn auf dem gefährlichsten Wege; diese längst ihres Zaubers entkleidete, so tief gehaßte und doch beschworene Pflicht, sie ward jetzt seine Retterin. Vergebens streckten die Wellen ihre Arme auf’s Neue nach ihm aus, vergebens lockten und winkten sie ihn zu sich nieder, der helle Glockenklang übertönte die dunklen Stimmen aus der Tiefe, mit einem schweren tiefen Aufathmen rang sich der junge Priester los von der Versuchung und schritt entschlossen weiter, die verhängnißvolle Brücke blieb hinter ihm, hinter ihm verhallte das unheimliche Brausen und Zischen, nur die Glockentöne zogen weithin durch die Luft, weithin über das Gebirge, und hochaufgerichtet festen Schrittes ging er den Weg, den sie ihm zeigten – zum Altar.

       Inhaltsverzeichnis

      „Nehmen Sie es mir nicht übel, Herr Pfarrer, aber das ist ja ein ganz schändliches Wehen hier oben auf Ihren Bergen! Man möchte zehn Hände haben, um Hut und Shawl und Schirm, und noch zehn andere Dinge fest zu halten, sonst tanzen sie in der nächsten Minute um die Schneegipfel droben. Und seine eigene Person auf den Füßen zu erhalten hat man auch Mühe genug, sonst nimmt sie der Wind und setzt sie ohne Weiteres in eine von den verhexten Schluchten nieder, wohin nicht Sonne noch Mond scheint, und wo man sich, wie Ihre frommen Kalenderheiligen, von Eidechsen und Tannenzapfen ernähren muß, bis einen endlich irgend ein mitleidiger Bauer findet und wieder zur Menschheit zurückbringt. Die abscheulichen Wege hier haben uns schon unseren Wagen gekostet, die Räder waren vernünftiger als wir, sie wollten nicht