Hanna Nolden

Der Katzenschatz


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Ägypten gesehen. Aber das ist lange her. Ein weiser alter Kater hatte ihn in der Großen Bibliothek in Alexandria aufbewahrt. Doch nach dem verheerenden Brand war er verschwunden. Den Aufzeichnungen zufolge handelt es sich um einen Edelstein. Aber es ist keiner, wie man ihn sonst auf der Erde findet. Diesen Stein gibt es nur ein einziges Mal. Er ist unzerstörbar und er hat magische Kräfte.“

      „Magische Kräfte?“ Jonas runzelte die Stirn. Er hatte nie an Magie und Zauberei geglaubt. Andererseits hatte er sich auch noch nie mit einer Katze unterhalten.

      „Vielleicht sollte ich sogar sagen göttliche Kräfte“, fuhr Lady fort. „Der Schatz war ein Geschenk der Göttin Bastet. Eine Göttin der Liebe, der Fruchtbarkeit und des Schutzes. Der Schatz trägt die Liebe der Göttin in sich und die Tierart, die ihn besitzt, steht unter ihrem persönlichen Schutz.“

      Jonas musste das Fragezeichen ins Gesicht geschrieben stehen, denn Caligula setzte nach: „Um das mal für einen Menschen deutlicher zu formulieren: die Tierart, die in Besitz des Schatzes ist, wird die beliebteste Tierart des Menschen. Alles klar?“

      „Ja. Alles klar“, sagte Jonas schnell. Er hatte keine Lust, von einer Katze als Idiot abgestempelt zu werden. „Und der Schatz ist euch gestohlen worden. Von den Hunden. Seid ihr da sicher?“

      „Ziemlich sicher“, erwiderte Lady überzeugt. „Wenn man bedenkt, wer heutzutage als der beste Freund des Menschen betrachtet wird.

      Als wir noch in Besitz des Schatzes waren, damals in Ägypten, wurden wir Katzen hoch verehrt. Wie Götter! Man baute Tempel für uns und begrub uns neben Pharaonen. Es muss ein gutes Leben gewesen sein.“

      Sie gab ein Geräusch von sich, das wie ein Seufzen klang.

      „Ich habe nicht den Eindruck, dass es den Katzen gerade sonderlich schlecht geht“, sagte Jonas ehrlich.

      „Ach nein? Und was ist mit den Laboratorien, wo sie Tierversuche machen? Was ist mit den Millionen kleiner Kätzchen, die kurz nach ihrer Geburt ertränkt werden? Davor kann man doch nicht die Augen verschließen!“

      Sie klang nun richtig zornig, und Jonas zog seine Hand zurück. Caligula erhob sich von seinem Platz und setzte sich neben sie. Er stupste sie an, wie um sie zu trösten. Dann begann auch er zu sprechen: „Wir haben den Verdacht, dass derzeit die Hunde in Besitz des Schatzes sind. Wir vermuten, dass er sich ganz hier in der Nähe befindet. Statistiken zufolge ist der Hund das beliebteste Haustier der Deutschen. Und gerade in dieser Stadt gab es in letzter Zeit sehr viele neue Hunde. Überwiegend Möpse und Schnauzer. Daher gehen wir davon aus, dass ein Züchter im Umkreis der Stadt den Schatz in seinem Besitz haben muss. Wir wollen den Schatz zurück, und du wirst uns dabei helfen.“

      „Warum sollte ich das tun?“, fragte Jonas kritisch. „Ich mag Katzen nicht besonders und ich finde, es gibt eine Menge Tiere, die den Schatz nötiger hätten. Eisbären zum Beispiel. Oder Seehunde. Walfische. Pandabären.“

      Lady maunzte missbilligend.

      „Jonas! Der Schatz gehört aber uns! Er heißt nicht umsonst der Katzenschatz. Man hat ihn uns gestohlen, und wir wollen ihn zurück!“

      Ohne es zu wollen, wurde Jonas wütend. Klar, es gab Tierversuche, aber soweit er wusste, litten Affen viel mehr darunter. Oder Ratten. Er hatte wirklich nicht den Eindruck, dass es den Katzen gerade besonders schlecht erging.

      „Ich brauche einen Tag Bedenkzeit“, sagte er. Lady schien beleidigt. Caligula zeigte sich unbeeindruckt, als hätte er nichts anderes erwartet. Die weiße Katze erhob sich und stolzierte über das Bett zum Fenster.

      „Gut“, sagte sie hochnäsig über ihre Schulter hinweg. „Wir schicken dir eine Libelle.“

      Bevor Jonas nachfragen konnte, was sie damit nun wieder meinte, waren die beiden Katzen verschwunden. Eine Weile lang starrte er reglos das offene Fenster an, dann sprang er auf und schaute hinaus. Der Garten und die Straße lagen verlassen da.

      War das gerade wirklich geschehen? Oder hatte er doch nur geträumt? Kopfschüttelnd schloss er das Fenster. Dann kehrte er in sein Bett zurück.

      Kapitel 3

      Als Jonas am nächsten Morgen erwachte, hatte er Kopfschmerzen. Es war bereits halb zwölf und schrecklich heiß in seinem Zimmer. Er rieb sich die Augen und dachte an die beiden Katzen. Während er sich aus dem Bett quälte, beschloss er, doch an einen Traum zu glauben. Er lachte einmal laut über sich selbst und sagte dann noch lauter, um sich zu überzeugen: „Was für ein verrückter Traum!“

      Dann ging er zum Rattenkäfig und öffnete die obere Klappe. Er griff nach William und nahm die Ratte heraus. Ruhig saß die grau-weiße Farbratte auf seiner Hand, bloß der gehetzte Blick, mit dem sie sich zweimal nach dem Käfig umsah, verriet die Furcht des Tieres. Nicht zu fassen, dass ihm seine Ratten gestern Abend unheimlich gewesen waren!

      Jonas hielt William ganz nahe vor sein Gesicht, so dass er der Ratte in die Augen sehen konnte. Dann fragte er: „Und, William? Hast du mir auch etwas zu sagen?“

      „Allerdings!“, quiekte die Ratte, und Jonas schrie erschrocken auf. Beinahe hätte er William fallen gelassen. Er sah zum Käfig. Ignatio schaute ihn an und meinte gelassen: „William, du bist ein Idiot!“

      Jonas ließ sich kraftlos auf sein Hinterteil sinken und blickte abwechselnd von William zu Ignatio. Ignatio knabberte inzwischen an einem Stück Apfel vom Vortag und tat ganz unbeteiligt. Vorsichtig setzte Jonas William zurück in den Käfig, dann betrachtete er seine Ratten ernst. Sein Herz schlug wie wild, und er fragte sich kurz, ob das alles wirklich passierte oder ob er sich das womöglich nur einbildete. Dann atmete er tief durch und fragte: „Wie geht es euch denn so?“

      „Ganz gut“, erwiderte William, inzwischen mit vollem Mund. „Könnte natürlich besser sein.“

      „Ohne Käfig“, fügte Ignatio vorwurfsvoll hinzu. Jonas schluckte. Das hätte er sich eigentlich denken können. Ignatio und William waren zwar in einer Zoohandlung geboren, aber er würde auch nicht gerne in einem kleinen Käfig wohnen, wenn er rundherum ein verlockend großes Zimmer sah.

      „Mach dir mal keine Sorgen, Jonas“, sagte Ignatio etwas freundlicher. „Du bist schon in Ordnung. Und jetzt, wo wir miteinander sprechen können, kann's ja nur besser werden. Ich schätze, wir könnten schlimmer dran sein. Hier drinnen bekommt man zwar nicht viel mit von der Welt, aber ab und an plappern die Mücken und die Fliegen, und was ich so gehört habe, gibt es Ratten, denen es viel schlechter geht als uns. Laborratten und so. Du weißt schon.“

      Jonas nickte.

      „Ja. Da habt ihr wohl Recht.“

      Er erholte sich langsam von dem Schrecken. Immerhin waren das hier seine Ratten und keine fremden Katzen. „Können sich eigentlich alle Tiere miteinander verständigen?“

      „Nein. Nicht alle. Manche Tiere, so wie viele der Insekten, unterhalten sich auf eine andere Weise. Ameisen zum Beispiel über den Geruchsinn. Und die Unterwassertiere brauchen amphibische Dolmetscher, wenn sie uns Landtieren etwas sagen wollen. Aber alles in allem ist unsere Welt recht gut organisiert. Von allem weiß ich natürlich auch nicht. Immerhin komme ich nicht oft hier raus. Beim Tierarzt bekommt man was mit und im Sommer, wenn die lauteren Insekten hier ein und aus gehen.“

      Jonas nickte. Ihm schwirrte immer noch der Kopf, aber inzwischen kam es ihm fast normal vor, sich mit seiner Ratte zu unterhalten.

      „Was hat Lady gestern damit gemeint: sie schickt mir eine Libelle?“

      „Libellen sind so etwas wie Expressboten. Sie halten sich an immer gleichen Stellen auf, wohin die anderen Tiere gehen können, um mit ihnen Nachrichten zu versenden. So wie Brieftauben. Viele arbeiten auch als Nachrichter. Fliegende Zeitungen. Das ist ganz praktisch, auch wenn sich hierhin leider eher selten eine verirrt.“

      „Wow“, machte Jonas nur und stellte sich ein Büro voller