Karl Kraus

Auch Zwerge werfen lange Schatten


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      Im Theater muss man so sitzen, dass man das Publikum als eine schwarze Masse sieht. Dann kann es einem so wenig anhaben wie dem Schauspieler. Nichts ist störender, als die Individualitäten der Menge unterscheiden zu können.

      Wer die Menschenverachtung an der Quelle studieren will, setze sich in ein Restaurant, das in der Nähe eines Theaters ist, und betrachte die Gesichter der einströmenden Scharen. Wie die Spannung, die noch auf den Zügen der Dummheit liegt, allmählich nachlässt und die Flucht vor dem Geiste ein neues Ziel findet. Sie schmatzen schon: Das ist der Beifall zum Essen. Und jeder ist einzeln befangen und nur im Chorus glücklich.

      Wo beginnt denn eigentlich die Unappetitlichkeit und wo hört sie auf? Warum gibt es keine Essklosetts? Öffentlich essen und heimlich verdauen, das passt so den Herrschaften! Und doch geht nichts über die Schamlosigkeit einer Table d’hôte.

      Die stärkste Kraft reicht nicht an die Energie heran, mit der manch einer seine Schwäche verteidigt.

      Am unverständlichsten reden die Leute daher, denen die Sprache zu nichts anderm dient, als sich verständlich zu machen.

      Es gibt Menschen, die heiser werden, wenn sie ununterbrochen acht Tage lang mit keinem ein Wort gesprochen haben.

      Familiengefühle zieht man nur bei besonderen Gelegenheiten an.

      Das Familienleben ist ein Eingriff in das Privatleben.

      Das Wort „Familienbande“ hat einen Beigeschmack von Wahrheit.

      Auch ein anständiger Mensch kann, vorausgesetzt, dass es nie herauskommt, sich heutzutage einen geachteten Namen schaffen.

      Ein ganzer Kerl ist einer, der die Lumpereien nie begehen wird, die man ihm zutraut. Ein halber, dem man die Lumpereien nie zugetraut hat, die er begeht.

      Es gibt Menschen, denen es gelingt, die Vorteile der Welt mit den Benefizien des Verfolgtseins zu vereinigen.

      Nichts ist trauriger als eine Niedrigkeit, die ihren Lohn nicht erzielt hat. Sie bilde sich nicht nachträglich ein, dass sie Gemeinheit l’art pour l’art sei.

      Die Einsamkeit wäre ein idealer Zustand, wenn man sich die Menschen aussuchen könnte, die man meidet.

      Die Welt ist ein Gefängnis, in dem Einzelhaft vorzuziehen ist.

      Wenn ich sicher wüsste, dass ich mit gewissen Leuten die Unsterblichkeit zu teilen haben werde, so möchte ich eine separierte Vergessenheit vorziehen.

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