Marco Frenschkowski

Die Geheimbünde


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oder teuer. Sie sind jedem zugänglich. Man kann sie in den Paperbackregalen oder in billigen Ramsch­antiquariaten finden. Man muss nur wissen, wo man suchen muss – und wie sich die Teile zusammenfügen lassen.«

      T. E. D. Klein,

       The Ceremonies. New York 1984, 297f.

      Vorwort

      Geheimbünde, Gesellschaften und Gruppen mit Elementen der Geheimhaltung sind ein Thema der tatsächlichen äußeren Geschichte. Vor allem aber sind sie ein Thema der Imagination: Sie beschäftigen unsere Fantasie, sie verbinden sich mit Faszination, Hoffnung und Angst. Die vorliegende kulturgeschichtlich orientierte Übersicht kann und will die Facetten des Themas nur exemplarisch behandeln. Dabei sollten nicht so sehr möglichst viele Gruppen, sondern möglichst viele kulturelle Aspekte des Themas anhand konkreter Beispiele zur Sprache kommen. Der Fragehorizont ist also durchgehend kulturgeschichtlicher Art. Welchen Platz, welchen sozialen und imaginativen Stellenwert in den jeweiligen Gesellschaften und Kulturen nehmen reale oder fiktionale Gruppen ein, die Geheimhaltung praktizieren? Wie interagieren sie mit ihrer kulturellen, sozialen und religiösen Umwelt? Inwiefern werden sie zum Gegenstand gesellschaftlicher Hoffnungen, Utopien, aber auch Befürchtungen und Unterwanderungsängste?

      Dieses Buch ist nicht mit den Arbeitsmethoden des investigativen Journalismus entstanden, sondern mit denen der traditionellen historischen Quellenarbeit. Fast alle Informationen entstammen öffentlich zugänglichen Quellen (wobei Bücher entgegen einem sich ausbreitenden Aberglauben nach wie vor wichtiger sind als das Internet). Allerdings ist dies insofern cum grano salis zu nehmen, als nicht wenige der hier verarbeiteten Quellen und Studien nur in wenigen Bibliotheken vorhanden sind (in Deutschland öfters gar nicht). Mein Dank gilt daher einerseits den institutionellen Bibliotheken, die ich benutzen konnte (insbesondere der Library of Congress, Washington, DC, und verschiedenen freimaurerischen Bibliotheken), außerdem privaten Sammlern, die mir manches zugänglich gemacht haben, und last not least auch den Spezialantiquaren, deren in mühevoller Arbeit entstandene Kataloge mich oft erst auf Bücher aufmerksam gemacht haben, die über akademische Bezugssysteme kaum aufzufinden sind (z.B. Todd Pratum, um nur einen von vielen zu nennen). Trotz der unübersehbaren Produktion an populären oder (was nicht identisch ist) sensationalistischen Büchern zum Thema ist die Zahl seriöser, wissenschaftlich verantworteter Monographien durchaus überschaubar. Am besten erforscht ist natürlich die Geschichte des Freimaurertums in seinen zahlreichen Schattierungen, aber auch über eine Reihe anderer Gemeinschaften existieren solide Arbeiten. Gruppen wie die bayerischen Illuminaten sind in den letzten Jahren Objekt ausgedehnter Untersuchungen gewesen. Es ist oft gar nicht so schwierig zu eruieren, was sich tatsächlich über eine Gruppe sagen lässt – viel schwieriger ist oft die Frage, wie und warum bestimmte Vorurteile, Klischees, Verschwörungsideen oder Legenden entstanden sind. Eine Arbeit über Geheimgesellschaften kann sich aber nicht auf das »Tatsächliche” beschränken, sondern muss gesellschaftliche Projektionen und Klischees in die Untersuchung miteinbeziehen. Diese müssen selbst Gegenstand der Forschung sein: Warum treten zu bestimmten Zeiten bestimmte Gruppen in den Mittelpunkt des literarischen oder sonstigen gesellschaftlichen Interesses? Warum z.B. ist die französische Revolution mit einem explosionsartigen Anwachsen der Verschwörungsliteratur mit Blick auf Geheimbünde verbunden gewesen (an dem auch die deutsche Klassik partizipiert)? Solche Fragen sollten hier zumindest exemplarisch zur Sprache kommen.

      Ich bin kein Mitglied oder Sympathisant einer der hier vorgestellten Gruppen, sondern arbeite als Religionswissenschaftler über Fragen an den Schnittstellen zwischen Religion und allgemeiner Kulturgeschichte. Mein weiterer Hintergrund als evangelischer Theologe spielt kaum in die Untersuchung hinein, da Wertungen aus dem Blickwinkel evangelischer Theologie nicht ein primäres Anliegen dieser Studie sein sollten (so legitim und notwendig sie am gegebenen Platze sind). Im Gegenteil habe ich mich bemüht, traditionelle kirchliche (und akademische) Berührungsängste möglichst zu vermeiden, und Phänomene und Gruppen ausschließlich nach ihrer kulturellen Bedeutung und der Vielfalt der durch sie sichtbar zu machenden Aspekte des Themas auszuwählen. Ich habe in vielen Gesprächen mit Menschen unterschiedlichster Anbindung gelernt, dass ein Zurückstellen des Wertens und Urteilens oft erst die Türen zu den interessanteren Informationen öffnet. Allerdings ist dieses Buch in erster Linie nicht aus Interviews erwachsen, obwohl ich im Laufe der Jahre viele Gespräche mit Mitgliedern einer ganzen Zahl hier vorgestellter Gruppen führen konnte, so in den USA, Kanada, Indien, Korea, Großbritannien, Frankreich und anderen Ländern, weniger aber in Deutschland. Doch habe ich gelegentlich auf neuere und neueste Arbeiten von Kolleginnen und Kollegen aus dem Bereich des investigativen Journalismus hingewiesen, wenn mir dies förderlich erschien. Dabei bin ich der Hoffnung, neben einer allgemeinen Übersicht auch Informationen zu bieten, die auch solchen Leserinnen und Lesern weniger vertraut oder gänzlich unbekannt sind, die schon manches der zahllosen Bücher zum Thema gelesen haben. Über die bekannteste aller Geheimgesellschaften, die Freimaurer, handle ich nur ganz kurz, da es über sie zahlreiche exzellente knappe und auch ausführliche Darstellungen gibt. Überhaupt habe ich auf die Wiedergabe von manchem verzichtet, was sehr gut bekannt ist, um eine Reihe weniger bekannter, aber kulturgeschichtlich m.E. ebenfalls wichtiger Erscheinungen vorzustellen.

      Mein Schwerpunkt liegt also auch nicht auf dem »Neuen« und »Sensationellen«, sondern auf kulturgeschichtlichen Fakten und ihrer Relevanz und Aussagekraft für größere kulturelle und religionsgeschichtliche Zusammenhänge. Die Unterscheidung von historisch verifizierbaren Fakten, plausiblen Erwägungen und Spekulationen ist natürlich schlechterdings fundamental. Jedoch sind Spekulationen und Projektionen selbst kulturelle Tatsachen, wenn sie eine gewisse Ausbreitung erfahren, wie wir gerade aus unserem Thema nachhaltig lernen können. Auch der einsame Verschwörungstheoretiker, der seine Gedanken allenfalls auf einer Internetseite verbreitet, ist ein Teil unserer Kultur – und seine Zuhörer sind oft eine weit größere Gruppe, als man auf den ersten Blick vermuten würde. Daher sind Gegenstand dieses Buches auch allerlei Theorien, die nicht durch allgemein zugängliche Fakten abgestützt werden – die Theorien, Ideen, Gerüchte und Hypothesen sind hier eben selbst kulturelle »Fakten«, die als solche Beachtung verdienen. Aus dem gleichen Grund treten in diesem Buch auch nicht wenige Themen in den Blick, um welche die Geisteswissenschaften herkömmlicherweise einen weiten Bogen zu machen pflegten. Dies kann sich eine empirische (nicht normative) Kulturwissenschaft jedoch nicht leisten. Kulturelle Phänomene sind nach quantitativen und qualitativen Kriterien zu beschreiben, auch wenn die sie tragenden Überzeugungen auf den Forscher nicht »seriös« wirken. Leitenden Überzeugungen müssen sogar sehr bewusst und programmatisch hintangestellt werden, um die betreffenden Überzeugungswelten in ihrer kulturellen Relevanz auch nur wirklich wahrnehmen zu können.

      Es geht hier also oft nicht so sehr um »wahr« oder »falsch«. Was Menschen glauben und praktizieren – und die betreffenden Menschen selbst – sind Gegenstand kulturwissenschaftlicher Arbeit, nicht die letztliche Wahrheit ihrer Überzeugungen. Wenn z.B. weltweit wahrscheinlich mehrere Millionen Menschen behaupten, von »Außerirdischen« entführt und zum Gegenstand von Experimenten gemacht worden zu sein, ist das z.B. selbst ein erstaunliches kulturelles Faktum, das Analyse verdient – auch ganz unabhängig von der (natürlich legitimen und notwendigen) Frage, ob diesen Berichten irgendeine Art transsubjektiver Wahrheit zukommt. Der Glaube selbst, die Überzeugungswelten sind kulturelle Tatsachen von erheblicher Tragweite und Aussagekraft. Überzeugungen spannen einen imaginativen Kosmos auf, der zu unserem Lebensraum gehört. Ähnliches gilt für Spekulationen über Geheimgesellschaften, Verschwörungstheorien, aber auch utopische Bilder von idealen geheimen Orden. Sie selbst sind kulturgeschichtliche Fakten, aus denen etwas zu lernen ist über unsere Gesellschaft, ihre Geschichte und über den Menschen selbst als kulturelles Wesen, das nicht nur in der »realen« Welt lebt, sondern immer auch in einer imaginierten Welt, welche das Vorfindliche deutet und interpretiert. Damit ist der Fragehoriziont des vorliegenden Buches beschrieben. Wir beschreiben unser Thema systemisch – auch wenn dieser Gesichtspunkt hier jeweils nur sehr knapp skizziert werden kann.

      Fragen über z.B. die »Wirklichkeit« von Verschwörungen sollen nicht grundsätzlich desavouiert werden. (An die skandalöse Geschichte der Loge Propaganda Due, welche vor wenigen Jahren das politische System Italiens ins Chaos stürzte, muss nicht erst erinnert werden.) Sie sind aber nicht in erster Linie Gegenstand eines