aus, »führen Sie sie ins Nebenzimmer; ich komme!«
Und aufstehend, während der Offiziant sich entfernte, sagte er zur Gräfin Beugnot gewendet: »Verzeihung, Madame – für wenige Augenblicke. Duhamel kann unterdes meine Karten nehmen!«
Er winkte einem jungen Mann in Marineuniform, den er in der Tür des Kabinetts erscheinen sah, und übergab ihm seine Karten; dann verließ er das Gemach durch eine Tapetentür, welche ein herbeispringender Lakai vor ihm öffnete.
Die Tapetentür führte in einen kleinen runden, nur matt erhellten Salon, in welchem sich in diesem Augenblicke niemand befand.–Als Murat über die Schwelle trat, öffnete sich ihm gegenüber eine Flügeltür und in ihrer seidenen Trauerrobe, im Mützchen von schwarzem Krepp, schwebte graziösen Ganges die Gräfin von Epaville herein. Ihre Züge waren leicht gerötet, sie war augenscheinlich sehr erregt und während der Großherzog ihr entgegentrat, um sie an der Hand zu einem seitwärts stehenden Diwan zu führen, bat sie inständig für den Frevel um Vergebung, daß sie in so später Stunde die Hoheit zu belästigen sich erdreiste.
»Und was ist es, was mir dies Vergnügen verschafft, Madame?« fragte Murat sie unterbrechend.
»Hoheit,« versetzte sie, »ich komme Ihnen anzuzeigen, daß ich im Besitze des Schlüssels zu dem Geheimnis der ganzen schrecklichen Begebenheit bin, welche mir so plötzlich und vor der Zeit meinen Gatten entrissen hat ...«
»Wie,« fiel der Großherzog lebhaft ein, »Sie hätten den Urheber des Verbrechen« ...
»Ich habe ihn entdeckt, Hoheit, und wenn keine Zögerung eintritt, so ist es möglich, noch von den eigenen Lippen des Mörders das Geständnis seines Verbrechens zu erhalten.«
»Erzählen Sie mir das, Madame!«
»Vor allen Dingen bitte ich Ew. Hoheit, daß dieselben geruhen wollen, den Polizeibeamten, welcher mit der Untersuchung der Sache beauftragt ist, herzubescheiden ... es ist Eile notwendig!«
»Das soll geschehen, Madame!«
Er erhob sich, um eine neben der Flügeltür hängende Klingel zu ziehen; gleich darauf trat ein Kammerlakai ein, dem der Großherzog den Befehl erteilte, sofort Monsieur Ermanns herbeizuschaffen.
»Und nun?« wandte sich Murat an die kleine Dame, nachdem der Lakai verschwunden war.
»Nun könnte ich Eure Hoheit eine lange, sehr lange Geschichte erzählen, wenn ich nicht befürchten müßte ...«
»Erzählen Sie immerhin – wenn diese Geschichte Sie betrifft, so ist ihr meine lebhafte Teilnahme von vornherein, gewonnen.«
»Nicht mich, und doch auch wieder mich,« versetzte die Gräfin mit einem schmerzlichen Lächeln. »Vielleicht ist Ihnen bekannt, Hoheit, daß ich mit meinem verstorbenen Gemahl eine Zeitlang am Hofe seines Verwandten, des Herzogs von Anglure, in Westfalen lebte. Nun wohl, an diesem Hofe mangelte es meinem Manne durchaus an einer passenden Beschäftigung; der Herzog, statt einem so nahen Verwandten zu vertrauen, ihm einen Einblick in seine Verhältnisse, eine tätige Teilnahme an seinen Geschäften zu verstatten, überließ ihn völlig sich selber, und diese schädliche Muße verführte ihn dazu, Bekanntschaften anzuknüpfen, welche seiner nicht würdig waren. So machte er unter anderm einem jungen Mädchen in untergeordneter Dienststellung den Hof ...«
Murat nickte lächelnd.
»Wir kannten ihn von der Seite,« sagte er, »obwohl es ihm hier an Dienstgeschäften gar nicht fehlte!«
»Das junge Mädchen aber,« fuhr die Gräfin fort, »hatte ein eigentümliches Verhältnis zu einem verwegenen, in der ganzen Gegend gefürchteten Menschen. Diesen Menschen, der ein Schmuggler, Wilddieb, Vagabund, was weiß ich alles, war, hatte das unglückliche Geschöpf eines Tages bei einem einsamen Gange durch den Wald schwerverwundet liegen gefunden; sie war ihm zu Hilfe gekommen, hatte sein ausströmendes Blut gestillt, seine Wunde verbunden, ihn erquickt – kurz der Schmuggler hatte annehmen dürfen, daß sie ihm das Leben gerettet, und von diesem Augenblicke an war sie der Gegenstand einer eigentümlichen Verehrung für denselben geworden, die sich zwar, wie es scheint, scheu in der Ferne hielt, denn unter Menschen durfte der Verbrecher sich nicht sehen lassen; aber er muß nicht minder darum seine Schöne stets im Auge gehalten haben, und gewiß ist, daß er Mittel fand, sie fortwährend zu überwachen...«
»Ich begreife,« fiel hier Murat ein, »dieser dankbare und eifersüchtige Sohn des Waldes nahm die Aufmerksamkeiten übel, welche bei Graf von Epaville seiner jungen Schönen widmete!«
»So ist es, Hoheit; und er stieß zum Unglück eines Tages mit meinem verstorbenen Gatten zusammen in einer Weise, über die ich niemals genau unterrichtet worden bin, und mich auch nicht bestrebt habe, genaues Licht zu bekommen, denn, wie Sie denken können, mußte ich mich wenig geneigt fühlen, das ganze Verhältnis zu ergründen. Genug, der verwegene, von der Gerechtigkeit verfolgte Mensch drohte meinem Gatten, er werde ihn töten, wo er ihn finde!«
»Und er hat ihn gefunden, ihn ermordet?«
»Wir verließen kurz darauf jene Gegend, und die ganze Angelegenheit schwand mir fast aus dem Gedächtnis, bis ich vor wenig Augenblicken diesen Brief hier erhielt, den ich Eure Hoheit zu lesen bitte.«
Bei diesen Worten zog die Gräfin von Epaville den Brief hervor, den wir vorhin Richard von Huckarde an sie absenden sahen, und überreichte ihn dem Großherzog.
Der Großherzog überblickte das Papier, da es jedoch mehrere engbeschriebene Seiten enthielt, so gab er es der Gräfin zurück und sagte: »Erzählen Sie mir lieber, was der Brief enthält ... und da ist ja auch Ermanns – er kann sogleich durch Ihre Mitteilung sich unterrichten.«
Der Lakai hatte eben die Flügeltür geöffnet und auf einen Wink des Großherzogs ohne vorherige Anmeldung sofort den von Eile und Diensteifer geröteten Polizeibeamten eingelassen.
»Hören Sie zu, Ermanns,« sagte Murat, »die Gräfin hat einen Brief erhalten, welcher von Wichtigkeit für die Untersuchung ist!«
Die Gräfin erzählte, zuweilen einen Blick in den Brief werfend und Stellen daraus lesend, alles das, was Richard von Huckarde ihr hier über den Inhalt der Erzählung mitteilte, welche der wandernde Spielmann ihm gemacht.
»Wenn das alles wahr ist, so wäre das Rätsel gelöst, sagte der Großherzog, als sie zu Ende war.
»In der Tat, Hoheit, diese Angaben lauten, als wenn sie den Stempel der Wahrheit trügen!« bemerkte Ermanns.
»Untersuchen Sie sofort die Sache,« fuhr Murat fort. »Vernehmen Sie den Spielmann und senden Sie zuverlässige Leute aus, um den sterbenden Deserteur aufzufinden, wenn er anders noch am Leben ist. Sie werden die Gräfin von Epaville heimgeleiten: auf dem Wege zu ihrer Wohnung wird die Gräfin die Güte haben, Ihnen den eigentlichen Schlüssel zur blutigen Tat des Deserteurs zu geben, wie sie mir eben ihn mitteilte. Morgen früh, sobald Sie ein Ergebnis haben, berichten Sie mir!«
Und mit diesen Worten machte der Großherzog der Dame eine galante Verbeugung, die ihr andeutete, daß die Audienz zu Ende sei, verabschiedete Ermanns mit einem kleinen Nicken des Kopfes und verschwand durch die Tür, durch welche er gekommen war, um seine Spielgesellschaft wieder aufzusuchen.
Monsieur Ermanns bot der Gräfin dienstbeflissen den Arm und beide verließen den Jägerhof, während Murat aufgeregt eilte, seinen Spielpartnern die neue Wendung mitzuteilen, welche die Angelegenheit genommen hatte, und ihnen von der Rolle zu erzählen, die dabei derselbe seltsame Mensch gespielt, der soeben noch Gegenstand ihrer Unterhaltung gewesen.
Fünfzehntes Kapitel
Monsieur Ermanns als Unterhändler
Es war um die Mittagszeit des andern Tages, als bei der Gräfin Henriette von Epaville in ihrer Wohnung im Gasthofe der Polizeibeamte eintrat.
»Nun, welche Nachrichten bringen Sie mir?« sagte, die kleine Gräfin,