Trelawney,« sagte der Kapitän, »wenn ich noch einen Befehl riskiere, wird die ganze Mannschaft über uns herfallen. Sie sehen selber, wie es steht. Ich bekomme eine grobe Antwort, nicht wahr? Nun, wenn ich darauf ein Wort sage, kommt es im Nu zum Schlagen; tu ich das nicht, so wird Silver begreifen, daß ich eine bestimmte Absicht dabei habe, und dann sind wir ebensoweit. Wir haben jetzt einen einzigen Menschen, auf den wir uns verlassen können.«
»Und wer ist das?« fragte der Squire.
»Silver, Herr Trelawney!« antwortete der Kapitän; »er ist so ängstlich wie Sie und ist darauf bedacht, daß alles seinen ruhigen Gang geht. Die augenblickliche Stimmung der Leute ist nur eine kleine Verdrießlichkeit; die wird er ihnen bald ausreden, wenn er nur eine Möglichkeit dazu hat, und darum schlage ich vor, daß wir ihm diese Möglichkeit gewähren. Lassen Sie uns der Mannschaft erlauben, heute nachmittag an Land zu gehen. Wenn sie alle gehen, nun, dann können wir das Schiff verteidigen. Wenn keiner von ihnen gehen will, dann wehren wir uns in der Kajüte, und Gott möge das Recht beschützen! Wenn aber einige gehen – glauben Sie meinen Worten –, so wird Silver sie so sanft wie Lämmer an Bord zurückbringen.«
Es wurde beschlossen, diesen Rat zu befolgen; alle sicheren Leute bekamen geladene Pistolen; Hunter, Joyce und Redruth wurden ins Vertrauen gezogen. Sie nahmen die Nachricht mit geringerer Überraschung und mit größerem Mut auf, als wir erwartet hatten. Dann ging der Kapitän auf Deck und hielt eine Ansprache an die Mannschaft:
»Jungens!« sagte er; »wir haben einen heißen Tag gehabt und sind alle müde und nicht in Stimmung. Eine kleine Fahrt an Land wird keinem was schaden; die Boote sind noch zu Wasser; ihr könnt die Gigs nehmen, und wer von euch Luft hat, kann für den Nachmittag an Land gehen. Eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang werde ich eine Kanone abfeuern.«
Ich glaube, die dummen Tröpfe müssen geglaubt haben, sie würden sich die Schienbeine an Schätzen zerstoßen, sobald sie an Land kämen; denn ihre verdrießliche Laune war im Nu verschwunden, und sie brachten ein Hurra aus, das von den Bergen in der Ferne widerhallte, so daß die Vögel wieder aufflogen und um den Ankerplatz herumflatterten.
Der Kapitän war zu klug, um ihnen im Wege zu stehen. Er verschwand sofort in der Kajüte und überließ es Silver, alle Anordnungen für den Ausflug zu treffen; und ich glaube, es war gut, daß er das tat. Wäre er auf Deck geblieben, so hätte er nicht länger so tun können, wie wenn er die Lage der Dinge nicht begriffe. Das war so klar wie der Tag. Silver war der Kapitän, und eine verdammt rebellische Mannschaft hatte er unter sich! Die ehrlichen Leute – und es stellte sich, wie ich sehen sollte, bald heraus, daß solche an Bord waren – müssen sehr dumm gewesen sein. Oder vielleicht lag die Sache so, daß alle Leute von dem Beispiel der Rädelsführer angesteckt waren – einige mehr, andere weniger; ein paar aber, die im Grunde gute Leute waren, konnten nicht weiter gebracht werden. Solche Leute können wohl verdrießlich sein, weil ihnen die Arbeit nicht paßt, es ist aber doch eine ganz andere Sache, ein Schiff mit Gewalt zu nehmen und eine ganze Anzahl unschuldiger Menschen zu ermorden.
Endlich war die Gesellschaft zum Aufbruch bereit. Sechs Leute wollten an Bord bleiben, und die anderen dreizehn, unter ihnen Silver, gingen in die Boote.
Und in diesem Augenblick hatte ich den ersten von den eigentlich verrückten Einfällen, die so viel dazu beitrugen, unser Leben zu retten. Wenn sechs Leute von Silver zurückgelassen wurden, so war es klar, daß die anderen dreizehn nicht das Schiff mit Gewalt angreifen konnten; und da nur sechs zurückblieben, so war ebenfalls klar, daß die Kajütenpartei für den Augenblick einer Hilfe nicht bedurfte.
So kam ich auf den Gedanken, mit an Land zu gehen. Im Nu hatte ich mich an der Schiffswand heruntergelassen und im Vorderteil des nächsten Bootes zusammengekauert, und beinahe in demselben Augenblick stieß dieses ab.
Nein, niemand achtete auf mich, nur der Mann, der zunächst am Bug ruderte, sagte zu mir:
»Bist du das, Jim? Ducke deinen Kopf unter!«
Aber Silver blickte vom anderen Boot scharf herüber und rief, ob ich drin sei; und von diesem Augenblick an begann es mir leid zu tun, daß ich mich auf das Abenteuer eingelassen hatte.
Die Mannschaften der beiden Boote ruderten um die Wette, wer zuerst an Land sei; aber das Boot, worin ich war, war dem anderen etwas voraus, und da es zugleich auch leichter und besser bemannt war, so gewann ich einen weiten Vorsprung. Es war schon zwischen ein paar Bäumen am Strande auf den Sand gelaufen, und ich hatte einen Ast ergriffen und mir einen Schwung gegeben, der mich in das nächste Dickicht brachte, als Silver mit seinen Leuten noch mindestens um hundert Schritte vom Ufer entfernt war.
»Jim! Jim!« hörte ich ihn rufen.
Aber man kann sich wohl denken, daß ich auf sein Geschrei nicht achtete; springend und mich duckend und durch die Büsche brechend lief ich immer geradeaus, immer meiner Nase nach, bis ich nicht mehr konnte.
Vierzehntes Kapitel
Der erste Schlag
Ich war so voller Freude, dem langen John entwischt zu sein, daß ich mit einem gewissen Behagen mich auf dieser merkwürdigen Insel umsah.
Ich war zuerst über eine sumpfige Wiese gekommen, die von Binsen, Weiden und seltsamen, ausländischen Sumpfgewächsen eingefaßt war; und ich befand mich jetzt auf dem Saum eines welligen Sandstriches, der sich ungefähr eine Meile weit hinzog; auf diesem Sande wuchsen ein paar Fichten und zahlreiche, knorrige Bäume, die eine gewisse Ähnlichkeit mit Eichen hatten, aber von blassem Laube waren wie Weiden. Jenseits dieses offenen Landes erhob sich einer der Berge mit zwei zackigen Felsspitzen, die in der Sonne strahlten.
Ich fühlte zum erstenmal in meinem Leben den Genuß einer Entdeckungsreise. Die Insel war unbewohnt; meine Schiffskameraden hatte ich hinter mir gelassen, und rings um mich herum waren nur Tiere und Vögel. Ich streifte nach allen Seiten durch die Bäume. Hier und da wuchsen blühende Pflanzen, die mir unbekannt waren; hier und da sah ich Schlangen, und eine von diesen erhob ihren Kopf von einem Felsblock und zischte mich an; sie machte dabei ein Geräusch, das ungefähr wie das Schnurren eines Kreisels klang. Ich hatte damals noch keine Ahnung, daß es eine gefährliche Giftschlange war, nämlich eine Klapperschlange.
Dann kam ich in ein weites Dickicht dieser eichenartigen Bäume; wie ich später hörte, nennt man sie Lebens-oder immergrüne Eichen. Sie wuchsen auf dem Sande wie Brombeeren; ihre Zweige waren ineinander verflochten und das Laub bildete ein dichtes Dach. Dieses Dickicht erstreckte sich von der Höhe eines der Sandhügel herab, und die Büsche wurden allmählich immer größer, bis sie den Rand einer breiten, mit Rohr bewachsenen Fenne erreichten, durch die der eine der von mir erwähnten kleinen Flüsse nach der Ankerstelle floß. Die Marschfenne dampfte in der heißen Sonne, und die Umrisse des Fernrohrs erschienen hinter einem zitternden Dunstschleier.
Plötzlich begann in den Binsen sich etwas zu regen; eine wilde Ente flog quäkend auf; eine andere folgte ihr; und bald hing über der ganzen Oberfläche der Fenne eine dichte Wolke von Vögeln, die schreiend in der Luft ihre Kreise zogen. Ich nahm sofort an, daß einige von meinen Schiffskameraden sich dem Rande der Fenne näherten. Ich hatte mich auch nicht geirrt; denn bald hörte ich in der Ferne die leisen Töne einer menschlichen Stimme, die allmählich lauter wurde und näher kam.
Ich geriet in große Furcht und kroch unter den nächsten Eichbusch in Deckung, legte mich auf den Boden, hielt mich so still wie eine Maus und lauschte.
Eine andere Stimme antwortete; dann sprach wieder die erste Stimme, die ich jetzt als die des langen John erkannte, und sprach eine ganze Weile, nur ab und zu durch eine kurze Zwischenbemerkung des anderen unterbrochen. Aus dem Klang der Stimmen konnte ich schließen, daß sie über ernste Dinge verhandelten; sie schienen sogar beinahe zornig zu sein; indessen konnte ich etwas Bestimmtes nicht unterscheiden.
Schließlich kam es mir vor, wie wenn die Sprechenden eine Pause machten; vielleicht hatten sie sich sogar auf den Boden gesetzt;