Mußt du schon schreien und ausschlagen, so soll’s wenigstens unter den Kühen geschehen, und die schlimmste Form der Todesstrafe, mit der du dich dort abgeben wirst, wird wohl der Forellenfang sein. Nun hab’ ich aber für faule Landwirte nichts übrig; jeder Mann hat seine Arbeit zu verrichten, und wenn er Balladen verhökert; er muß arbeiten oder geprügelt oder gehängt werden. Wenn ich dich nach Hermiston setze, will ich erleben, daß du das Gut führst, wie es noch nie geführt wurde; du mußt über die Schafe Bescheid wissen wie der Schäfer selbst; du sollst mein Verwalter sein, und ich werde dafür sorgen, daß ich an dir profitiere. Hast du mich verstanden?«
»Ich werde mein möglichstes tun«, sagte Archie.
»Gut, dann werde ich morgen Kirstie benachrichtigen, und du kannst übermorgen reisen«, meinte Hermiston. »Und versuche, ein etwas geringerer Idiot zu werden!« Diese Schlußworte wurden mit einem eisigen Lächeln gesprochen, worauf er sich sogleich wieder den Papieren auf seinem Schreibtisch zuwandte.
4
Ansichten des Richterkollegiums
Spät in der gleichen Nacht, nach einem aufgeregten Spaziergang, wurde Archie in Lord Glenalmonds Speisezimmer eingelassen. Dort neben drei spärlich glühenden Kohlen, saß der alte Richter mit einem Buch auf seinen Knien. Auf dem Richterstuhl in seiner Amtsrobe erweckte Glenalmond einen fast behäbigen Eindruck; dieser Hülle beraubt, war es eine Hopfenstange von einem Menschen, der sich jetzt unsicher von seinem Sessel erhob, um seinen Besuch willkommen zu heißen. Archie hatte viel gelitten in diesen Tagen, er hatte auch an jenem Abend gelitten; seine Züge waren bleich und abgehärmt, die Augen wild und dunkel. Aber Lord Glenalmond begrüßte ihn ohne die geringste Spur von Überraschung oder Neugier.
»Komm herein, komm herein«, sagte er. »Komm und nimm Platz. Carstairs« (an seinen Diener gewandt) »schüre das Feuer, und bring uns was zu essen.« Und von neuem fuhr er in der gleichgültigsten Art fort: »Ich hatte dich so halb und halb erwartet.«
»Kein Essen«, sagte Archie. »Unmöglich kann ich auch nur einen Bissen zu mir nehmen.«
»Nicht unmöglich«, meinte der hochgewachsene alte Mann und legte seine Hand auf Archies Schulter, »vielmehr, wenn du mir glauben willst, durchaus notwendig.«
»Sie wissen, was mich hierherführt?« forschte Archie, als der Diener das Zimmer verlassen hatte.
»Ich kann es erraten, ja, erraten«, entgegnete Glenalmond. »Wir werden später davon sprechen – wenn Carstairs gekommen und wieder gegangen ist und du ein Stück von meinem guten Cheddarkäse probiert und einen Schluck Porter getrunken hast: vordem nicht.«
»Ich kann unmöglich etwas essen«, beharrte Archie.
»Unsinn, Unsinn! Du hast heute noch gar nichts gegessen, und ich wage zu vermuten, gestern auch nicht. Es gibt nichts auf der Welt, das nicht noch schlimmer sein könnte: das hier mag eine recht unangenehme Sache sein, aber wenn du krank würdest und stürbest, wäre es weit schlimmer, für alle Beteiligten – für alle.«
»Ich sehe, Sie wissen alles«, sagte Archie. »Wo haben Sie es erfahren?«
»Auf dem Markt des Skandals – im Parlamentshaus«, antwortete Glenalmond. »Der Klatsch hat stets ungeminderten, stürmischen Umlauf im Publikum und in der Anwaltschaft, und eine Wolke versteigt sich mitunter auch zu uns Richtern; ja selbst in den Provinzialabteilungen hat die Fama ihre Stimme.«
In diesem Augenblick kehrte Carstairs zurück und trug in aller Eile ein kleines Abendessen auf. Inzwischen redete Lord Glenalmond ausgiebig und ein wenig weitschweifig über die nebensächlichsten Dinge, so daß sein Gespräch eher einem heiteren Geräusch als einer menschlichen Unterhaltung zu gleichen schien; während Archie ihm, ohne zuzuhören, gegenübersaß, ganz in das ihm angetane Unrecht und in seine Irrtümer versponnen.
Sobald jedoch der Diener gegangen war, brach es von neuem aus ihm hervor. »Wer hat es meinem Vater hinterbracht? Wer hatte den Mut, es ihm zu sagen? Ist’s möglich, waren Sie es?«
»Nein, ich war es nicht«, sagte der Richter; »obwohl – um ganz aufrichtig zu sein – das leicht hätte sein können – natürlich nachdem ich zuvor dich gesprochen und gewarnt hätte. So war es, glaube ich, Glenkindie.«
»Jener elende Knirps?« rief Archie.
»Sehr richtig, jener Knirps«, entgegnete seine Lordschaft, »obgleich das kaum eine passende Bezeichnung für einen Senator des Justizkollegiums sein dürfte. Wir vernahmen gerade die verschiedenen Parteien in einem langen, spitzfindigen Fideikommißstreit; Creech plädierte ziemlich weitschweifig zugunsten einer Neubelehnung, als ich sah, wie Glenkindie sich mit der Hand vor dem Mund zu Hermiston vorbeugte, um ihm etwas zuzuflüstern. Niemand hätte die Art der Mitteilung aus deines Vaters Miene erraten können, wohl aber aus der Glenkindies, denn die Bosheit funkelte ihm ein wenig zu deutlich aus den Augen. Aber dein Vater – nein! Ein Mann aus Granit. Im nächsten Moment hatte er sich auf Creech gestürzt. ›Mr. Creech‹, sagte er, ›ich möchte einen Blick in jene Belehnungsurkunde werfen‹, und in den nächsten dreißig Minuten«, bemerkte Glenalmond mit einem Lächeln, »kämpften Mr. Creech und Kompanie einen ziemlich unebenen Kampf, der, wie ich wohl kaum hinzuzufügen brauche, mit ihrer völligen Niederlage endete. Die Klage wurde abgewiesen. Ja, ich zweifle, ob ich Hermiston je in besserer Form sah. Er schwelgte buchstäblich in apicibus juris.«
Archie vermochte nicht länger an sich zu halten. Brüsk schob er den Teller hinweg und unterbrach diesen wohlüberlegten und belanglosen Redefluß. »Da habe ich nun einen Narren aus mir gemacht, wenn nicht noch Schlimmeres. Sie sollen über uns beide richten – richten zwischen Vater und Sohn. Zu Ihnen kann ich sprechen; es ist nicht so, als – ich will Ihnen sagen, was ich empfinde und was ich zu tun beabsichtige, und Sie sollen der Richter sein.«
»Ich lehne jegliche Jurisdiktion ab«, antwortete Glenalmond mit feierlichem Ernst. »Aber wenn es dir guttut, mein lieber Junge, dein Herz auszuschütten, und falls es dich interessiert, was ich darüber zu sagen habe, stehe ich ganz zu deiner Verfügung. Laß einen alten Mann es einmal aussprechen, ohne sich dessen zu schämen: Ich liebe dich wie einen Sohn.«
Archie stieß einen scharfen, unartikulierten Laut aus. »Ja«, rief er, »da haben wir’s! Lieben! Wie einen Sohn! Und wie, meinen Sie, liebe ich meinen Vater?«
»Ruhig, immer ruhig«, sagte Mylord.
»Ich will sehr ruhig sein«, erwiderte Archie, »und rückhaltlos offen. Ich liebe meinen Vater nicht, ich frage mich manchmal, ob ich ihn nicht hasse. Das ist meine Schmach, vielleicht sogar meine Sünde, aber vor Gottes Angesicht nicht meine Schuld. Wie sollte ich ihn auch lieben? Er hat niemals zu mir gesprochen, niemals mich angelächelt; ja, ich glaube, er hat mich niemals berührt. Sie kennen ja seine Art zu reden. Sie reden nicht so, dennoch vermögen Sie stillzusitzen und ihm ohne zu schaudern zuzuhören, das kann ich nicht. Mir dreht sich die Seele im Leibe um, wenn er damit anfängt; ich möchte ihn auf den Mund schlagen. Und das ist noch gar nichts. Ich wohnte der Verhandlung gegen Duncan Jopp bei. Sie waren nicht da, aber Sie müssen meinen Vater oft genug gehört haben; er ist ja berüchtigt dafür – dafür, daß – sehen Sie nur meine Lage! Er ist mein Vater, und so muß ich über ihn sprechen – berüchtigt dafür, daß er ein brutaler Mensch und grausam und feig ist. Lord Glenalmond, ich gebe Ihnen mein Wort, als ich den Gerichtssaal verließ, hatte ich nur noch den Wunsch, zu sterben – die Schmach ging über meine Kraft: aber ich – ich –« Er erhob sich von seinem Platze und begann aufgeregt im Zimmer auf und ab zu schreiten. »Ja, wer bin ich denn? Ein Knabe, der noch nie auf die Probe gestellt wurde, der außer dieser ohnmächtigen, billigen Torheit gegenüber seinem Vater noch nie etwas geleistet hat. Aber ich sage Ihnen, Mylord – und ich kenne mich selbst –, wenigstens gehöre ich zu jener Art Männern – oder, wenn Sie wollen, Knaben –, die lieber unter Qualen ihr Leben lassen würden, als zuzusehen, daß auf der Welt jemand so leiden muß, wie jener Schuft gelitten hat. Und was habe ich dagegen getan? Ich sehe