Peter Rosegger

Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band)


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Anhöhe im Thale der Trach, von dichten Büschen überwuchert, ragt heute noch die Ruine des Gotteshauses, in welchem die Menschen von Trawies bis auf ihre frühen Vorfahren zurück so oft um des Herrn Gnade gefleht haben mögen, und aus welchem ihnen das gräßliche Verhängnis emporgestiegen ist.

      Männiglich meidet die zerfallenen Mauern bis auf den heutigen Tag. Wandern doch die Leute, etwa die verwegenen Jäger ausgenommen, samt und sonders ungern durch die Wälder von Trawies! Und wer es muß, der thut’s mit Hast, denn in jedem Schatten sieht er ein Gespenst, in jedem Schimmer, der durch das Gestämme leuchtet, wittert er das Lagerfeuer einer Räuberbande. Und selbst die Ortschaften draußen fürchten sich vor den Nebeln, die über Trawies aufsteigen, und bekreuzen sich vor den Wettern, die vom Trasank heranziehen. Oft sind auch schon die Gewässer losgebrochen aus jenen berüchtigten Waldstrichen und haben das Land verheert, als wäre doch der Fluch noch nicht gelöst, der vormaleinst in glühendem Zorn geschleudert worden war in das Engthal von Trawies, und der in überreizter Leidenschaft entfacht worden zu dämonischem Brande der Herzen bis an jenem Tage, da er auf dem Berge des Johannes in reiner Flamme hoch zum Himmel emporgelodert und dann verloschen war ....

      Seit alten Zeiten haben die Leute von Trawies jährlich zur sommerlichen Sonnenwende ein eigenthümliches Fest gefeiert.

      Ein Erstes war, daß an diesem Tage keine Kirchenglocke gehört werden durfte. Schon am Vorabende wurden die Stricke emporgezogen und siebenmal um die Glockenschwengel geschlungen, als wolle man solche siebenmal fesseln. Selbst der Gottesdienst am Altare unterblieb an diesem Tage, denn der Pfarrherr that auch mit, das Fest der Vorfahren zu begehen.

      Zu jener Stunde der Nacht, die wie ein Zugbrücklein von Gestern auf das Heute führt, schritten drei Männer durch das thauschimmernde Thal der Trach und riefen folgenden Sang aus:

      »Licht Sonnenwenden ist da!

       Der heilige Tag!

       Der goldene Tag!

       Wacht auf

       Zum ersten Stundenschlag!

       Herab von den Himmeln,

       Herauf von der Erden

       Die lieben Gäste erscheinen werden.

       Erwachet, erwachet,

       Und freut Euch der Sonnen,

       Ihr Brüder und trinkt

       Vom lebendigen Bronnen.

       Feuer und Licht hat Gott gemacht.

       Erwacht! Erwacht!«

      Und siehe, in den zerstreuten Häusern von Trawies wurde es lebendig, die Menschen traten hervor und versammelten sich auf dem grünen, eichenumstandenen Anger, unter dessen Rasen sie ihre Todten zur Ruhe gelegt hatten und Jeder suchte die Schlafstätte seiner Angehörigen und sagte das Wort: »Mein Vater, ich wecke Dich!« Oder: »Mein Bruder, ich wecke Dich, die heilige Sonnenwend’ist da!« Und all’ darüber standen die Sterne des Himmels, und mancher Träumer von Trawies blickte empor, daß er den Arm dessen sehe, der heute die Sonne heben wird bis zu seiner ewigen Stirn, um sie dann zurückzuschleudern in den Abgrund.

      Und von der Stätte der Begrabenen stiegen sie hinan zu den Matten, welche die Sonnenwendmatten genannt waren, und Jeder fühlte an seiner Seite den geliebten Todten, den er geweckt hatte und geladen, daß er das fröhliche Fest mit ihm und allen Lebendigen begehe. Auf den Sonnenwendmatten zündeten sie ein großes Feuer an, dessen Gluth aus den Sonnenwendfeuern ältester Tage stammte. Es war nämlich seit jeher Brauch gewesen, daß vor Erlöschen des Festfeuers Einer oder der Andere aus den Ältesten von Trawies einen Funken des »Ahnfeuers« mit sich nehmen und in seinem Hause hüten mußte, um bei der nächsten Sonnenwende damit neuen Brand zu entzünden. Dieser Feuerwart war im Laufe des Jahres frei von Steuern und Zehnten, und zur Zeit der Seuchen kamen die Leute zu seinem Herde, auf dem die Gluth nicht auslosch, und holten Feuer zum Ausräuchern ihrer Häuser. Zur Zeit dieser Geschichte verwaltete das Feuerwartamt ein Mann, der an der Trach sein Haus hatte, und der auch nie anders als der Feuerwart geheißen wurde. Das war ein Mann, der mit eherner Kraft an der Vorzeit hing, der in diesem Ideale sein Herz geläutert und seinen Willen gestählt hatte. Er war der Mächtigsten einer in Trawies und hieß mit Namen Gallo Weißbucher. Und im Frühlinge, wenn im Thale der Trach die Saat aus der braunen Erde sproßte, kamen sie zu ihm und holten Ahnfeuer, und zündeten an den Grenzen ihrer Felder Reisig an, daß der Rauch über den keimenden Acker hinwalle und den Unsegen vertreibe.

      Aus solch heiliger Gluth war das Feuer, das auf der Matte loderte, an welchem nun die Leute Gesänge murmelten, die anfangs düster waren, allmählich aber in Lebhaftigkeit und Fröhlichkeit übergingen, weiterhin in Übermuth ausarteten und schließlich, wenn längst die Sonne ihren glorreichen Himmelsbogen vollendet hatte, in wilder Ausgelassenheit vergellten. Denn Meth war da, so zum gebratenen Wildpret getrunken wurde, und Cider aus Wildäpfeln floß und entfesselte rasch jene heißen Ströme, die in den Adern junger Menschen rollen. Bald suchten sich Männer und Weiber, Jünglinge und Mädchen und verflochten sich zusammen in Reigen, und weit in der Runde widerhallten die Wälder von Trawies von dem Jauchzen, Singen und Rufen der Versammlung auf der Sonnenwendmatte. Die geladenen Todten schienen bei solchem Treiben sehr wenig Anrecht zu haben, und zum Schlusse des Festtages, wenn man nach alter Sitte die Seligen wieder auf ihren stillen Ruheanger begleiten sollte, vergaß manches Pärchen seinen Vater oder seinem Oheim zurückzuführen, und da sagte man, daß solche Seelen friedlos ein ganzes Jahr die Leichtsinnigen umschweben müßten.

      Das war seit alten Tagen das Fest der Sonnenwende zu Trawies. Verbunden damit war auch eine Rede des jeweiligen Feuerwartes, welche im hohen Mittage unter den Eichen gehalten werden mußte. Diese Rede hatte vor Allem darzutun, daß das Feuer im Jahre hindurch mit allem Fleiße bewacht worden war und daß es »Funke aus jenem Funken ist, den der Urahn einst im germanischen Walde von der weißen Frau überkommen hat«. Ferner hielt der Redner eine Rückschau auf das letztvergangene Jahr, zählte die Verstorbenen, zählte die Geborenen, zählte die in Zucht und Liebe Verbundenen; zählte auch die hervorragenden Thaten der Bewohner von Trawies, es mochten dieselben zum Guten oder zum Bösen sein. So war dieser Tag Manchem zur Erhöhung, Manchem zum Gerichte. Schließlich wurde stets auch der Bande gedacht, durch welche die Gemeinde mit dem Fürsten des Landes verbunden war, und es wies sich, daß trotz aller Abgeschiedenheit die Anhänglichkeit an das Ganze eine treue war, und die Ausübung der allgemeinen Gesetze eine musterhafte, so lange solche Gesetze mit den althergebrachten Sitten dieses Volkes im Walde im Einklang standen.

      Nun aber war ein neuer Herr nach Trawies gekommen, Pater Franciscus geheißen. Er bewohnte, wie sein Vorgänger, das stattliche Haus aus Stein gebaut, welches auf der Felsenhöhe neben der Kirche stand. Er soll klein und gedrungen von Gestalt gewesen sein, aber einen Blick gehabt haben, der den Bewohnern von Trawies schon von Anhang nicht gefiel. Er soll gern in weltlicher Kleidung gewandelt sein und in den Häusern nachgesehen haben, wie es mit der Habe stehe, und soll nach solchem Augenmaße die Abgaben der Leute erhöht haben. Auch habe er sich die Gebete um Segen für die lebendigen und um Trost für die Verstorbenen klingend wiegen lassen, sei aber zu den Stunden des geistlichen Opfers häufig an der Trach gestanden und habe die Angelschnur in das Wasser gehalten, oder sei mit Jagdgenossen in den Wäldern herumgegangen, und habe auch verordnet, daß die Leute in den Revieren nicht mehr Holz schlagen oder die Ziegen weiden dürften. Sonst hatten sie ihre Festbraten häufig selbst im Walde geholt, oder hatten aus dem Wildprete einige Schinderlinge gelöst. Aber das hatte nun der neue Herr verpönt, und schärfer verpönt als alle übrigen Todsünden zusammen. Die Leute von Trawies hatten es durch die langen glücklichen Zeiten her völlig vergessen, daß sie an Leib und Seele Hörige waren dem geistlichen und weltlichen Herrn, welcher das Einkommen von der Gemeinde theils zur eigenen Nutznießung verwenden durfte, theils an ein weit unten in den hügeligen Landen liegendes Kloster abgeben mußte. Mit der neuen Herrschaft war ihnen das aber gar deutlich ins Gedächtnis gerufen worden. Sie ächzten unter der Last und fluchten. Das Fluchen war ihnen nicht ausdrücklich verboten, denn der Seelenkenner wußte recht gut, daß Fluchen dem Sklaven das Gemüth erleichtert, den Herrn jedoch nicht verbindet. Aber Waldleute sind von jeher bewährte Lastthiere gewesen, und die Leute von Trawies hätten es ertragen. Da hatte der neue Herr eine Verordnung erlassen: Das heidnische Treiben und Gelage am Sonnenwendtage sei aufgehoben für ewige Zeiten.