Peter Rosegger

Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band)


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Berge und über die Wälder von Trawies, Du ahnst es nicht, was Du, schuldloses Kind, Deiner Heimat für ein Opfer hast bringen müssen.«

      Der Bart trat hin zum Knaben und rief: »Kleiner Spatz, was lugst denn?«

      Erlefried sprang vom Baumstock berab und eilte auf seinen neuen Brotvater zu.

      »Schau, Knäbel, auf diesen Stock wollen wir doch einmal einen anderen Heiligen stellen. Was ist’s kannst Du Schneemänner machen?«

      Der Kleine nickte bejahend, er könne wohl, aber es freue ihn nicht.

      »Ei geh!« rief der Bart in der Absicht, den Knaben aufzuheitern, »so ein Bursch’ da, und nicht freuen! Das wollt’ Eins sehen! Guck, wie sich der Schnee heute kneten läßt! Möcht’ ich doch wissen, ob ich’s selber kann. Bin ja auch einmal so Einer gewest, als wie Du, nur noch um viel herlebiger. Gerauft hab’ ich Dir mit den Buben, daß nur die Fetzen sind geflogen. Und sind keine so Buben zu Weg gewest, so hab ich mir selber etlich’ gemacht, aus Schnee Riesenkerle her, und Roß und Reiter, als wie die Türken. Und wie die ganz’ Reih’ ist fertig gewest über den Anger her, so bin ich wie der bös’ Feind über sie hingefahren und habe ihnen die Köpf abgehauten. – So, da steht gleich Einer.«

      Unter solchem Geplauder hatte der Bart einen ansehlichen Schneemann auf dem Baumstock postiert. Das regte den Erlefried an und gleich daneben baute er ebenfalls einen auf. Dann machten sie ein Pferd und den Reiter drauf, und andere Figuren, eine größer als die andere, vornehm zu schauen. Besonderes Gewicht legte der Bart auf lange Nasen, aber dieses Effectmittel blieb bei dem Knaben ziemlich wirkungslos; Erlefried richtete sein Augenmerk auf breite Brust der Männer und hochgetragene Köpfe der Pferde, und besonders auf große Anzahl der gestalten. Er griff flink zu, eiferte sich immer mehr in die Arbeit hinein, und seine Wangen rötheten sich und seine Augen leuchteten.

      Dem Bart erging es nicht anders. Anfangs nur aus Gutmüthigkeit in den kalten Schnee langen, hatte ihn nun die Knabenlust gepackt. Im Schimmer der weißen Gestalten versank ihm alles ernste und düstere Gebilde seines Lebens, die Kinderzeit war da, die lichte, die heitere; des Ritters Schneeschwert wie des Bischofs possirliche Spitzhaube erweckte in ihm etwas wie Jubelstimmung, der Schnee war nicht mehr kalt und des sonst so ernsthaften Bart Wangen rötheten sich, und seine Augen leuchteten.

      Da rief plötzlich sein Weib vom Hofe her, ob das die Rathssitzung wäre zu Trawies?

      Wahrhaftig – die Rathssitzung! Auf die hatte der Bart ganz närrischerweise vergessen. Nun ist es zu spät. Entweder die Leute sind zusammengekommen, dann kommt er just zum Auseinander gehen, oder sie sind nicht zusammengekommen, dann wird auch er sie heute nicht mehr zusammenbringen. Daher ist das Vernünftigste, er bleibt daheim, um mit dem Erlefried die Schneemänner zu köpfen.

      Der Knabe arbeitete an einer neuen Gestalt. Abseits von dem Trosse der übrigen Figuren, fast am Randes des Waldes, stellte er sie auf. Er legte sie breiter an, als die übrigen, er preßte den Schnee so fest, als es ihm nur möglich war, zusammen, er baute sie so hoch, als er mit seinen Händen langen konnte. Er war ganz still dabei, aber emsig, und als der Bart in lustigem Spiele Miene machte, die Figuren über den Haufen zu werfen, stellte sich der Knabe schützend vor sein neues Werk und sagte in bittendem Tone: »Den nicht!«

      Das Gesichtchen war so ernsthaft und die Bitte so innig, daß der Bart fragte: »Warum just Den nicht?«

      Antwortete der Knabe: »Das ist mein Vater.«

      So spielt das Geschick, das geheimnisvolle, als hätte es bisweilen launige Anwandlungen, sich dem Menschen freundlich, prophetisch zu nahen, während es ihn an einem anderen Ort oder zu einer anderen Stunde unerbittlich, planlos, seelenlos zermalmt.

      Wir wissen, was an jenem Tage, da der Bart vom Tärn und der Knabe Erlefried – Wahnfred’s Sohn – auf freier Wintershöhe Schneemänner formten und zerstörten, zu Trawies geschehen ist. –

      Wohl ganz anders ging’s auf dem Johannesberge, im Hause des Firnerhans zu.

      Das Weib des Firnerhans, als es die Kunde von der unerhörten Gefangennehmung in der Kirche vernommen hatte, brach zuerst in Zornesausdrücke gegen ihren Mann aus. Warum lasse er Haus und Wirthschaft im Stich, warum mische er sich in Sachen, die ihn weiters nichts angingen! Ihr Erster – sie hatte das zweitemal gefreit – habe sich keinen Deut um auswärtige Händel gekümmert, sei hübsch daheimgeblieben beim Weib und ein wohlhabender Mann geworden. Was aber der Erste zusammengebracht, das hätte der Zweite wieder verthan. Freilich, den Ersten hätten die Leut’ nirgends gern dabei gehabt, den Zweiten hingegen hätten sie überall voranschieben mögen, wo Kästen (Kastanien) aus dem Feuer zu holen gewesen wären. Der Dritte werde ihm’s sicherlich nicht nachthun an der Gutheit – es sei ein Jammer! Und dann hub sie so bitterlich zu weinen an, als ob ein Erster niemals dagewesen, ein Dritter nimmer zu erwarten wäre.

      Um Mitternacht kam der Osel heim. Er hatte sich unterwegs vielfach verweilt und Jedem, auf den er stieß, seinen schwarzen Kern gezeigt. Viele wußten es noch gar nicht, was das für ein verhängnisvolles Ding war, und schrieben die Freude, die der Osel daran bezeigte, dem Halbnarren zu.

      Als er aber auch Roderich dem Stromer begegnete, der von Allem schon wußte, zog dieser sein heute gar seltsam spöttisches Gesicht zu einem ernsten und sagte: »Ja mein lieber Osel, das ist nicht so, daß Du mit diesem Küglein jetzt gleich heimgehen kannst. Bist bei den Zwölfen Du, und wirst geköpft.«

      Der Osel nickte fröhlich mit seinen drei Köpfen.

      »Bei Dir ist’s leicht,« fuhr der Roderich recht vernehmlich fort – denn der Bursche war schwerhörig –»Du hast ein paar übrig – nur weiß man nicht, welcher der dümmste ist.«

      Der Osel bedeutete, das wisse er selber nicht. Hierauf fragte er gröhlend, wann geköpft würde?

      »Morgen. Mußt aber früh auf sein, sonst kommst zu spat. Warten werden sie nicht auf Dich.«

      Deß zeigte sich der Osel etwas nachdenklich und er ging seiner Wege. Um Mitternacht erst kam er zu Bette, ließ aber die Thür der Kammer offen, damit ihn früh der erste Lärm des Hauses wecke. Dann schlief er einen Schlaf, wir ihn noch selten ein Verurtheilter geschlafen hat.

      Am Morgen war er mit dem Hahnenschrei wach. Eilig stand er auf und die Leute wunderten sich baß, daß der Osel schon so früh am Brunnentrog stehe und sich mit so großer Emsigkeit wasche.

      »Der will in die Kirche gehen und für den Bauer beten, es ist doch ein guter Lapp.« So meinten sie.

      Der Osel war ein Bursche von zwanzig Jahren, er sah aber jünger aus, und heute erstrahlte sein Gesicht, als wenn er zu einer Hochzeit ginge. Er zog sein Feiertagsgewand an mit dem kirschrothen Leibel und mit dem flammengelben Halstuch, das sich lässig um die Kröpfe wulstete. Sein falbes Haar, das sonst wie vertrocknetes Riedgras spröde in die Weiten zu stehen pflegte, war heute hübsch glatt über die Stirne herab gekraut bis zu den gelblichen Brauen und Wimpern, unter denen die Äuglein jetzt mit besonderem Glanze lugten. Aus dem Winterhausgärtlein, das zwischen den Fenstern war, pflückte er einen dorrenden Nelkenstamm, den steckte er auf seinen Hut, wie das sonst am Gottsleichnamstage in Gebrauch war. Dann ging er in die Stube und verzehrte seine Morgensuppe. Als er damit fertig war, stand er eine Weile an der Thür, als sinne er. Es schien ihm nicht recht einzuleuchten, wie es mit dem Abschiede zu halten sei, wenn man geköpft werde. Da er mit sich nicht ins Reine kam, so schlich er still davon.

      Er ging den Berg herab gegen den Johannesbach. Über den Kofelwaldrücken flimmerte ihm die Spitze des Kirchthurms zu. Noch ehe er zur Trach hinauskam, sah er im Geäste der Tannen ein Eichhörnchen hüpfen. Da blieb er stehen und sperrte Mund und Augen auf und abseits vom Wege ging er im Schnee dann dem flüchtigen Thierchen nach und verlor sich in dem Wald. –

      Im Thale hatte des Morgens mancher Schuß gehallt; gegen Mittag war es still geworden. Die Sonne hat sich allmählich verzogen und ein mattes Grau verhüllte den Himmel. Am Nachmittage verdichtete sich das Grau und die tiefen Schatten der Waldberge hoben sich scharf ab, bis langsam und mählich einzelne Flocken niedergetänzelt kamen.

      Seit früh Morgens waren bewaffnete Landsknechte von Haus zu Haus gegangen, hatten die Truhen