Peter Rosegger

Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band)


Скачать книгу

Stimme – aber sie wird allwärts vernommen – sagt er:

      »Wenn ich die Wahl annehme, so fordere ich Eins!«

      »Fordere, was Du willst!« riefen sie.

      »Ich fordere Gehorsam.«

      »Gehorsam fordert er!« schreit der Holzer Stom, »da seht: er, der den Tyrann hat erschlagen, will es nun selber sein.«

      »‘s ist Einer gegen mich,« sagte der Wahnfred. Den Stom stießen sie mit Fäusten, den Schreiner beschworen sie, daß er ihr Vormann sei.

      »Die Freiheit,« so redete nun Wahnfred, »kann nur sein, wo Ordnung ist und das Gesetz. Dieser mein Arm, er ist Euer, er soll Euch führen. Ihr kennt ihn. Als er sich erhob mit der Axt, es war zu Eurem Wohl und was er fürder thun wird, es soll zu Eurem Wohl sein. Trawieser Leut’! Gelobt Ihr mir Gehorsam, so bin ich Euer Mann!«

      »Gehorsam, Gehorsam dem Hauptmann von Trawies!« so hallte und schallte es im Hause; die Weiber schrien wieder am lautesten. Die paar Unzufriedenen hatten sich davongemacht.

      Wahnfred erfaßte mit herbem Faustgriff die schwere Axt und stemmte sie auf den Tisch, daß ihre Spitze sich tief ins Holz grub. Sein Auge blickte finster in die Runde, da lief das Geschrei in ein Gemurmel aus und dieses löste sich in Schweigen. Wonniger Schauer des Beherrschtseins durchrieselte die Knechteseelen.

      Wenige Wochen, nachdem Wahnfred die Führerschaft über die Einwohner der Waldgegend übernommen hatte und es ihm mit allem Aufwande seiner Schlauheit und Kraft gelang, die Menschen insofern im Zaum zu halten, daß sie sich einstweilen nicht gegenseitig schädigten, wurden die Gemüther durch eine seltsame Erscheinung aufgeregt. Gegen Ende Mai war’s so erzählt die Schrift, in einer schwülen, fast sternlosen Nacht, als vom Sonnenaufgang her über den Waldzügen des Tärn am Himmel ein feuriges Kreuz emporstieg. Es war mit seinen beiden Armen ungeheuer groß und flammte in mattem Roth, als lodere es in einem Nebelschleier. Die Enden zuckten sachte auf und nieder, so stand es in gespenstiger Ruhe wohl gegen eine halbe Stunde, bis es allmählich erblaßte und verlosch und wieder die schwarze Himmelsnacht lag über den Wäldern.

      Die Furchtsamen hatten sich vor Angst in finstere Winkel verkrochen und dort noch ihr Antlitz mit Tüchern verhüllt, daß dieses Schreckliche nicht mehr in ihr Auge zu dringen vermochte. Die Kühnen waren dagestanden und hatten ernsten Gesichtes auf die Erscheinung hingeschaut; erst als sie schwand, lösten sich die Zungen und Einer sagte zum Anderen: »Was ist das gewesen?«

      Wahnfred selbst, der im Hause des Feuerwart wohnen mußte und aus seinem Schlummer gerufen worden war, hatte innerlich vor dem Gesichte gezittert. Nun sagte er zu den aufgeregten Leuten Folgendes: »Danket Gott dem Herrn, Ihr Leute von Trawies; daß uns der Himmel seiner Zeichen und Drohungen würdigt, beweist, daß wir noch nicht verloren sind. Harte Menschen nahmen und zertrümmerten uns das Kreuz, der Himmel zeigt es uns wieder. Auch am Tage des Gerichtes wird das Kreuz in den Lüften erscheinen. Aber heute ist die Weißsagung nicht erfüllt, die Sterne leuchten noch am Himmel; eher meine ich, der Herr zeigt uns das Kreuz, wie man es einem Sterbenden hinhält. Wir haben Grund zu beben vor den Dingen, die da kommen werden. Wir sind Gotteslästerer, Müßiggänger, Diebe, Ehebrecher. Unsere Laster haben tausend Namen. In diesem Hause lebte ein braver Mann, der alt geworden war in der Liebe und Arbeit für Trawies – Ihr habt ihn verstoßen.«

      Da fiel ihm Einer in die Rede:

      »Wir haben ihn nicht verstoßen, weil er alt geworden ist in der Liebe und Arbeit für Trawies, wir haben ihn fortgewiesen, weil er sich in den neuen Brauch nicht hat fügen wollen.«

      »Nennt mir diesen neuen Brauch!« rief Wahnfred. »Nicht? so nenne ich ihn: Gewalt und Zügellosigkeit! Doch sage ich Euch und schwöre es bei dem flammenden Kreuze am Himmel, es muß anders werden.«

      »So mach es anders, wenn Du kannst,« antwortete ein Trotziger.

      »Der Gallo Weißbucher, unser Vormann, soll wieder wohnen in seinem Hause.«

      »Soll’s thun, wenn er eins hat.«

      »Seht Euch vor! Das brennende Kreuz kann niederfallen vom Himmel auf Trawies!«

      »Soll’s! Mehr als hin sein können wir nicht.«

      In Manchem schienen sie seinen Weisungen zu folgen, doch waren sie nicht zu bewegen, in diesem Frühjahr zu ackern und zu säen. Auf verdammter Erde wachse nichts, war ihr Vorwand.

      »Ist dieser Boden verflucht?« rief Wahnfred und wies auf das reich emporschießende Gekräute, auf den hellen Blumenflor der Matten, auf die blühenden Wildobstbäume, auf den in neuer Schöne prangenden jugendlichen Wald.

      Wer sollte aber säen? die zusammengelaufene Rotte hatte weder Acker noch Samenkorn; und die so vielfach schon geplünderten Besitzer von grund und Boden sahen leicht voraus, wer zur Zeit der Reife für sie ernten würde. Die wenigen alten Ansäßler wollten es darauf ankommen lassen; war kein Brot mehr in Trawies, so würde sich das Gesindel schon wieder verlaufen. Wahnfred besaß an der Brandstätte seines Hauses im Gestade ein Äckerlein, dieses nützte er und bebaute es mit verschiedenem Gemüse. Der kleine Baumhackel arbeitete nicht.

      Einen Tag nach der Nacht, da am Himmel das Kreuz erschienen war, ließ Wahnfred dem Feuerwart Nachricht geben, daß er wieder in seinen Hof an der Trach zurückkehren möge. Der Gallo ließ ihm sagen, er habe im Dürrbachgraben neben der Hütte sein Weib zur ewigen Ruhe gelegt, er wolle bei ihr verbleiben. Während aber der Bote aus gewesen, schlich ein Wicht in das hintere Gebäude des Hofes und wollte Feuer legen. Zufällig war Wahnfred in der Nähe, verscheuchte des Missethäter, gewann jedoch von Neuem die Überzeugung, wie gefährlich der Boden war, auf dem er stand, wie niederträchtig die »Gemeinde«, die ihm zum Oberhaupte gewählt hatte. Täglich kamen zerfahrene Strolche und raublustige Gesellen zu ihm, die ihn drängten, die streitbaren Männer von Trawies zu einer Schaar zu versammeln und einen Zug in die Vorlande zu unternehmen.

      Wahnfred lehnte nicht ab, er durfte seinen allerdings zweifelhaften Einfluß auf die Menge und deren freilich ebenso zweifelhaftes Vertrauen zu ihm nicht ganz verscherzen. Er vertröstete sie auf eine dem Unternehmen günstigere Zeit und wies auf die militärischen Bewegungen, die im Lande herrschten und einen Ausfall der Waldleute nicht rathsam machten. Dabei sann der Schreiner Tag und Nacht auf Mittel, Ordnung und Sitte wieder herzustellen. Mit dem vertriebenen Vormann berieth er sich; dieser war krank und gebrochen und sagte: »Ihr habt drei Mittel: Entweder Ihr kriecht zum Kreuz und fleht die Kirche um Aufhebung des Interdictes an, oder Ihr wartet auf die Soldknechte, die Euch sprengen und vernichten werden, oder – Ihr thut es selber.«

      Vom Gallo Weißbucher war das eins der letzten Worte, die er für Trawies sprach. Er zog sich zurück in sein armseliges Haus und war allein mit seinem Feuer und mit seiner Sela.

      »Ja,« sagte er einmal, als er sein heranblühendes Kind betrachtete. »Du bleibst noch lange in dieser Welt, wie wird es Dir ergehen? Die Menschen sind wahnsinnig geworden. Es ist doch war, daß eine Bestie in ihnen steckt. Lange halten sie den Schild Gottes hoch und schauen zu ihm empor mit glänzenden Augen und wachsen himmelwärts. Eine heiße Freude in sie über das, wie hoch sie es gebracht. Und eines Tages ist das Anbild hingeschleudert, zerschlagen, zertreten: Stück um Stück werfen sie von sich, schänden den Tempel, stürzen das Gesetz, verbrennen ihr eigenes Wohnhaus, reißen sich die Kleider vom Leibe, wühlen mit allen Vieren in der Erde, wüster als Hyänen, denn Eins ist ihnen noch vom Menschen geblieben, haben sie dem Thiere voraus – das Laster. Je höher der Stand, von dem sie in den See springen, desto tiefer sinken sie zu Grunde. Aber getrost, mein Kind, die Fluth wirft sie wieder empor, von Neuem entdecken sie das Sonnenlicht, von Neuem beginnen sie sich aufzukämpfen durch Noth und Blut, sich ein Anbild zu machen, das erst nach ungemessenen Zeiten wieder in seiner einstige Größe vollendet steht. Glückselig der, welcher mit der jubelnden Menschheit auf solchen Höhen wandeln kann, der sterbend sein Geschlecht segnen darf, anstatt, wie ich, ihm und seiner selbst zu fluchen. – Ich kann Dich nicht segnen, meine Sela, aber wie ich das Ahnfeuer bewahre, so hüte ich Dir den Segen der Vorfahren, den Segen all Derjenigen, die aus Liebe für die kommende Menschheit gelitten und gestritten haben.«

      Das Mädchen blickte den alten Mann verwundert an; es war ein seltsamer