Peter Rosegger

Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band)


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laß das Messerschärfen sein! – Allerweg hat's mir geschwant, einmal werden sie ihn bringen auf der Tragbahr. – Und sonst, wenn er nüchtern gewesen, da hat's gar keinen besseren, fleißigeren und hilfreicheren Menschen gegeben im ganzen Waldland als den Mathes. Da hat er lustig sein und wie ein Kind lachen können. Freilich ist ihm, weil er Soldatenflüchtling, sein Heimatsgut draußen im Land verfallen gewesen; aber mit bluteigenen Händen hat er die Kinder ernährt, und gar für andere Leut', die sich nichts mehr erwerben mögen, hat's noch gelangt. Wegen seiner Redlichkeit und Verläßlichkeit haben sie ihn im Holzschlag zum Meisterknecht gemacht. Und dennoch hat zum Sonntag der Wirt die Hand' über dem Kopf zusammengeschlagen, ist das Hieselein gekommen, das sie nun schon allfort das schwarze Hieselein geheißen haben. Ist es auch voll Gemütlichkeit zur Tür hereingegangen, so ist doch darauf zu schwören gewesen, daß es ohne Raufen nicht abgeht. Er hat's nicht lassen mögen. Dasselb' ist aber wahr, nüchtern geworden, hat er jedem alles wieder abgebeten. – Zuletzt aber, du meine heilige Mutter Gottes, da ist das Abbitten nicht mehr angegangen. – Die Holzschläger sind all' zusamm' gekommen, daß sie dem Raufer, gleichwohl er ihr Meisterknecht, im Wirtshaus den Herrn einmal zeigen. Erstlich, wie sie sehen, daß er Branntwein trinkt, ein Glas ums andere, haben sie angefangen, ihn zu necken und zu höhnen, bis er wild wird und drein fährt. Sie sind all' über ihn her. Und zur selbigen Stund' hat ihn der Schutzengel verlassen; eine Hand frei, fährt er nach dem Messer, stößt es dem Köhler Bastian in die Brust. – Jetzt haben sie den Mathes geschlagen, daß er liegengeblieben auf der Erden. Zwei Wurzner haben ihn heimgetragen.«

      Drauf spricht er: »Das aber sag' ich, daß ich so nicht versterben mag. Aufsteh' ich und geh' zum Gericht und klag' andere an, daß ich den Bastian hab' erstochen. Von den hinterlistigen Werbern an, die mich aus meinem Jugendfrieden in die blutige Welt geliefert haben, wo ich geschändet worden – – bis auf den Köhler Bastian, der mir mit Hohn und Spott selber noch das Messer aus der Scheiden hat gelockt – – alle ruf ich vor den Richterstuhl, alle müssen dabei sein, wenn mir der Henker den Hals bricht.«

      Das Weib kreischt auf; der Mann sinkt röchelnd auf das Moos zurück.

      Da hüpfen und jauchzen die Kinder zur Tür herein. Sie zerren ein weißes Kaninchen bei den Ohren mit sich, lassen es in der Stube frei, und der Knabe verfolgt es. Das bedrängte Tier hüpft zum Mooslager und dem Kranken über die Beine. Im Winkel bleibt es sitzen und schnuppert und sieht mit seinen großen Augen angstvoll hervor. Der Knabe schleicht ihm bei und erwischt es bei den Beinen. Da winselt es und beißt den Verfolger in den Finger. – »Wart du! wart du, Rabenvieh!« wütet der Knabe und wird glührot im Gesicht, und seine Finger graben sich krampfig in den Hals des Tieres – und ehe noch Mutter und Schwester dazwischenkommen, ist es tot.

      Der Mathes schlägt sich die Hände in das Gesicht und ruft: »Jetzt lebt der Zornteufel auch in meinen Kindern fort, das muß ich noch erfahren!«

      Wenige Minuten hernach bricht der Mann in Tobsucht aus. Noch an demselben Abend ist er gestorben.

      Den schwarzen Mathes haben sie im Wald eingescharrt. Das Weib hat unsäglich geweint auf dem Hügel, und als sie endlich von dannen geführt ist worden, da ist der Einspanig gekommen und hat auf das Grab ein Tannenbäumlein gepflanzt.

      Am Tage der Geburt Mariens 1814

      Und so bin ich in den Winkelwäldern herumgegangen. Ich bin im Hinterwinkel gewesen und in den Miesenbachschluchten, und in den Karwäldern und in den Lautergräben und in der Wolfsgrube und im Felsentale und auf den Triften der Almen, und drüben in der Senke, wo der schöne See liegt. Ich habe diese wundersame Alpengegend kennengelernt und zum großen Teile auch die Menschen, die in ihr wohnen. Ich habe mich bei den Alten eingeführt und mit den Jungen bekannt gemacht. Es kostet Mühe und es gibt Mißverständnisse. Die besten dieser Leute sind nicht so gut und die schlechtesten nicht so schlecht, als ich mir vorzeiten gedacht habe. Ein paar Ausnahmen aber – deucht mir schier – gibt es doch.

      Ich muß sogar ein wenig unredlich sein; sie dürfen es nicht wissen, weshalb ich da bin. Viele halten mich für einen Flüchtling und sind mir deshalb gewogen. Ein Mensch, den diese Wäldler gern haben mögen, muß von der Welt verachtet und verbannt sein, muß schier so wild und glück- und sorglos sein wie sie selbst. Ich habe mich denn auch um eine Arbeit umsehen müssen. Ich flechte Körbe aus Rispenstroh und Weiden, ich sammle und bereite Zunder, ich schnitze aus Buchenholz Spielsachen für Kinder. Ich habe mich schon so sehr in dem Zutrauen der Leute befestigt, daß sie mich das Schärfen der Arbeitswerkzeuge lehren, so daß ich den Holzschlägern die Beile und Sägen scharf zu machen verstehe. Das bringt mir manchen Groschen ein und ich nehme ihn an – muß ja angewiesen sein, auf meiner Hände Arbeit wie alle hier. In meiner Stube sieht es bunt aus. Und da sitze ich, wenn draußen schlecht Wetter oder der lange Herbstabend ist, zwischen den Weidenbüscheln und Holzstücken und den verschiedenen Werkzeugen und schaffe. Selten bin ich allein dabei; es plaudert mir meine Hauswirtin vor, oder es sitzt ein Pecher oder Wurzner oder Kohlenbrenner neben mir und schmaucht sein Pfeifchen und sieht mir schmunzelnd zu, wie ich das alles anfange und zu Ende bringe, und greift letztlich wohl gar selber an. Oder es sind Kinder um mich, denen ich Märchen erzähle, oder die mit den Schnittspänen spielen, bis auch das Spielzeug in meiner Hand fertig ist. An Sonntagen sitzt gar der Förster stundenlang bei mir und hört meine Erfahrungen und Pläne wegen der Winkelwaldleute. Wir besprechen allerlei, und zuweilen schreibe ich einen langen Brief an den Herrn des Waldes.

      Die Holzschläger, die früher drüben in den Lautergräben gerodet haben, ziehen sich immer mehr gegen das Winkel herüber, und schon einige Male hab' ich durch den stillen Wald das Donnern eines fallenden Baumes vernommen. Von der Lauterkuppe schaut seit einigen Tagen eine blaßrote Tafel herab, die sich von Tag zu Tag ausdehnt und in der Morgensonne fremd zwischen dem Grün des Waldes niederleuchtet.

      In den Schluchten der Winkel gegen die Straße hinaus arbeiten Steinbrecher und Teichgräber; es wird ein Fahrweg angelegt, daß die Kohlen und Holzstämme besser hinausbefördert werden können.

      Ich gehe gern zu den Arbeitern herum und sehe ihnen zu und spreche mit ihnen, auf daß ich mir in den Dingen einige Erfahrungen sammle.

      Zuweilen aber sind die Leute doch ein wenig mißtrauisch gegen mich und begegnen mir mit ihren Vorurteilen. Ich trage gern ein Büchel von Wolfgang Goethe mit mir herum, und wo so ein schönes lauschiges Plätzel ist, da setzte ich mich auf einen Rasen oder auf einen Stein und lese in dem Buche. Dabei bin ich schon mehrmalen aus dem Hinterhalte beobachtet worden. Und da schleicht im Walde das Gerücht herum, ich sei ein Zauberer und hätte ein Büchlein mit lauter Zaubersprüchen.

      Ich habe nachgedacht, ob mir dieser seltsame Nimbus für meine Pläne anfangs nicht einigen Vorteil brächte. Gewiß sind die Eltern zu bewegen, ihre Kinder von mir das Lesen lernen zu lassen, wenn ich ihnen sage: versteht einer nur erst die Zaubersprüche in dem Büchlein, so kann er teufelbeschwören, schatzgraben, wettermachen, oder je nach Bedarf die Wettermacher unschädlich halten nach Belieben. Ich denke, daß selbst Erwachsene und gar Grauköpfe ihre Arbeitswerkzeuge fallen lassen und zu mir in die Schule gehen würden. – Von mir aber wäre es schändlich, und ich täte dadurch nur das Verkehrte erreichen von dem, was ich will. Nicht, daß die Leute lesen und schreiben lernen, ist die Hauptsache, sondern daß sie von den schädlichen Vorurteilen befreit werden und ein reines Herz haben. Freilich könnte ich ihnen später Bücher der Sittenlehre unterschieben und sagen: da drin stehen die echten Zaubersprüche, aber die Getäuschten hätten kein Vertrauen mehr zu mir, und das Übel wäre größer, anstatt kleiner.

      Nicht auf Umwegen wollen wir schleichen; eine gerade Straße hauen wir durch das Urgestämme.

      Ich habe aus dem Buche den Leuten einige Male Lieder vorgelesen; die Mädchen das »Heideröslein« und die Burschen das »Christi« gelehrt. Gleich haben sie – ich weiß gar nicht, woher – eine Weise dazu, und jetzt werden die Lieder im Walde schon gesungen.

       Und so ist nun der Herbst gekommen. Der Himmel ist, wenn die Morgennebel in den Tälern sich lösen, hell und rein, und alle Wolken sind aufgesogen. Die Nadelwälder sind dunkelbraun, die Laubhölzer sind gelb oder rot, und auf der Talwiese grünt es frisch, oder es liegt auf derselben das Silber des Reifes. In diesen Wäldern ist der Herbst buntfarbiger und fast lieblicher als der Lenz. Der Frühling ist ein übermütiges Glitzern