Peter Rosegger

Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band)


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sie nicht zu sehr erschrecke. Da rief Mutter Klara schon den Namen: Regina, und was denn das sei, daß heute der Schulmeister solange schlafe?

      Gabriel lief zum Haberturm, auf daß Leute kämen, um die Leiche aufzubahren, denn seit der Bursche erwachsen war und sich auch Regina im Haushalt schon gut verwenden ließ, war im Heidehause kein Dienstbote mehr.

      So wurde der Greis in der Vorlaube aufgebahrt, und am Abend kamen Leute aus der Nachbarschaft und hielten unter Beten und Singen die Leichenwache.

      Da war der Regina eingefallen:

      »Gabriel,« sagte sie, »wenn in dieser Nacht der Vater heimkäme und machte die Tür auf und sähe so jäh die Leiche!«

      Darauf ging Gabriel hinaus hinter die Tannen, wo der Weg über die Weide hereinzieht, und stand dort die halbe Nacht hindurch, um den heimkehrenden Vater auf den Todesfall vorzubereiten. Plötzlich aber rief Regina: »Geh nur her, Gaberl, der Vater ist schon da!«

      Und da saß der Vater in der Küche neben seinem Weibe und sagte mit schwankender Stimme:

      »Wie geht's dir denn, Klara, bist besser?« Dann nahm er sie bei der Hand: »'s hat mich wohl ein wenig gestoßen, wie ich das Kerzenlicht hab' gesehen, draußen, und das weiße Tuch!«

      In der Stube sangen sie geistliche Lieder. Der Peter suchte auch sein krankes Weib zu bewegen, daß sie singe, wie sie früher gern gesungen habe, und wie das so schön gewesen.

      »Mann, aber sei nicht so einfältig,« entgegnete Klara etwas lallend, »wie könnt' denn ich singen? Täten mich ja all auslachen, mir ist schon der Stimmstock umgefallen.«

      Dabei zog sie ihr Kopftuch zusammen und brummte leise mit, als die anderen sangen. Das Singen war einst ihr Liebstes gewesen auf der Welt, und sie war zu allen Hochzeiten und Leichenwachen geladen worden, weil sie schöne alte Lieder wußte und eine liebliche Stimme hatte.

      Sie kannte auch das Lied, das jetzt in langsamen, traurigen Tönen erscholl; die Leute hatten es ja von ihr. Aber heute lud sie niemand zum Singen ein.

      Die anderen oblagen gesellig den geistlichen Verrichtungen, aßen Weißbrot, tranken Milch, womit sie von Regina bedient wurden, und vergaßen das Ehepaar, das in der dunkeln Küche zusammen saß.

      Wenn auch einer ausgestreckt liegt auf dem Brette und allen Menschen das Maß gibt zu ihrem Sarge, so kann das den Übermut der Lebendigen nicht immer ersticken. Regina mußte sich von den Burschen manch mutwilliges Wort gefallen lassen, dem sie nicht ausweichen konnte, solange sie heute als Gastwirtin bedienen mußte; sobald sie nur abkam, flüchtete sie sich in die Küche und legte ihren Arm sanft um den gebeugten Nacken ihrer Mutter und fragte wiederholt den Vater, was der Arzt in der Fremde denn gesagt habe.

      Regina war ein dreizehnjähriges Mädchen, hold und fromm, das niemand kannte als Vater und Mutter und Bruder, das nur den alten Lehrer noch geliebt hatte, der ihm ja so viel Gutes in die Seele gelegt.

      Wie oft hatte Gabriel sein Schwesterl auf die Stirn geküßt, wie oft hatte er gesagt:

      »Regina, das verzauberte Reh im Märchen kann keine schöneren Augen haben als du, und die feinste Seide ist nicht so zart wie meiner Schwester Haar –«

      »Und kein Mensch tut so närrische Reden wie mein Bruder Gabriel«, unterbrach ihn Regina und versetzte ihm mit zwei Fingern ein Tätschel auf die Wange. –

      Heute aber saßen sie ganz traurig beisammen und hörten zu, als die fremden Leute in der Stube das Lied vom Lazarus sangen.

      Lazarus ist gestorben

       An einem Sonntagsmorgen,

       Magdalena, seine Schwester,

       Die weinet gar so sehr;

       Begegnet ihr Christus,

       Ihr liebester Herr.

      »Magdalena, Magdalena,

       Was haben s' dir getan,

       Daß du vor meinen Augen

       Zu weinen hebest an?« –

      »Es ist mir mein Bruder,

       Der Lazarus, gestorb'n;

       Jetzt hab' ich keinen Freund mehr,

       Ach Gott, erbarm!« –

      Christus ging zum Grabe

       Mit seinem Hirtenstabe:

       »Lazarus, du sollst wieder aufersteh'n

       Und sollst zu deiner Schwester geh'n!«

      Lazarus steht auf

       Und geht hin zu der Tür:

       »Schwester, bist daheim,

       So geh' eilends herfür!

       Ich hab' wohl gelitten

       Groß' Marter und Pein.

       Ach, wie das bittre Sterben

       So hart mag sein!

      Wenn der ganze Himmel

       Papierer wär',

       Und ein jeder Stern ein

       Schreiber wär',

       So könnten sie's all' nicht

       Genugsam beschreib'n,

       Was ein' arme Seel'

       Im Fegfeu'r muß leid'n!

      Und wenn der ganze Himmel

       Goldener wär',

       Und wenn ein jeder Stern

       Silberner wär,

       So tät ich doch nicht nehmen

       Das Silber und das Gold,

       Daß ich den bittern Tod

       Noch einmal leiden sollt!«

      Kaum das Lied zu Ende, war eine große Aufregung in der Stube, und die Leute eilten in die Vorlaube.

      Es bewegte sich das Leichentuch.

      »Er wird lebendig!« riefen einige angstvoll und wären davongeflogen, wenn sie sich nicht auch vor der Macht gefürchtet hätten, die draußen in tiefer Stille lag.

      »Der Jüngste Tag, die Toten stehen auf!« stöhnten andere und starrten auf die zugedeckte Leiche, die im Halblicht der Kerze leise Bewegungen machte.

      Entsetzen erfaßte sie; da kam Gabriel herbei.

      »Und wenn unser Schulmeister wieder aufwacht, wer sollte da erschrecken?« sagte er, trat an die Bahre und zog die Leinwand von dem Gesichte.

      Der Greis lag da – bleich, starr und kalt.

      Der Bursche beugte sich über das Antlitz des Toten, dann zog er die Leinwand wieder darüber, tauchte einen Tannenzweig ins Weihwasser, besprengte die Bahre und ging traurig wieder davon. Und wieso sich die Leiche bewegt hatte – es getraute sich vor Angst niemand zu fragen.

      Die Aufregung legte sich etwas, die Leute kehrten in die Stube zurück. Als sie wieder um den Tisch saßen, machte der Rindenschlager-Lenz ein sonderbares Gesicht und murmelte in den Milchtopf hinein, der vor ihm stand:

      »Der Herrgott wird ihn nicht aufwecken wie den Lazarus, aber die Ruh' ist ihm versagt. Gebete hat er nötig, heilige Messen braucht er. Ja, Leute, so ist das Ende, wenn sich einer versündigt. Gegen den Heiligen Geist hat er gehandelt – jetzt verfolgt ihn der Fluch, und er findet keinen Frieden. Ich sag's euch, sie werden den Schulmeister noch oft läuten hören draußen in Rattenstein um Mitternacht, wie er seiner Tage für den Halterlois geläutet hat. Uns bewahre Gott der Herr!«

      Sie suchten Gabriel zu bewegen, daß er etwas lese, weil er es so schön ausführen könne und völlig eine Predigerstimme habe, aber er blieb bei seinen Eltern in der Küche und las nicht. Sie verschmähten seinen Vater und seine Mutter, sie sollten ihn auch nicht haben.

      Hell leuchtet der Morgenstern, lustig zwitschern die Vögel auf den Wipfeln der Bäume. Auf dem Kirchhofe steht ein Grab offen.

      Regina legte dem Schulmeister