und des Tales haben sich angewöhnt, über Jean-François Pastoureaus Grundstück zu gehen und werden es schließlich so zertreten, daß der arme Biedermann großen Schaden erleidet.«
»Dieses Geld könnte wahrlich nicht besser angewendet werden,« sagte der Friedensrichter. »Meiner Meinung nach ist der Mißbrauch von Abkürzern eine der großen Wunden des platten Landes. Jeder zehnte Prozeß, der vor die Friedensgerichte kommt, dreht sich um ungerechte Servitute. In einer Menge von Gemeinden frevelt man so, fast ohne nachteilige Folgen, am Eigentumsrecht. Der Respekt vor dem Eigentumsrecht des Grundbesitzers und die Achtung vor dem Gesetze sind in Frankreich zwei nur allzuoft verleugnete Gefühle, und es tut recht not, sie zu vertiefen. Vielen Leuten scheint es entehrend, den Gesetzen Beistand zu leihen und das: ›Laß dich anderswo aufhängen‹ – eine sprichwörtliche Wendung, die von einem Gefühle löblichen Edelmutes diktiert zu sein scheint – ist im Grunde nur eine scheinheilige Formel, die dazu dient, unseren Egoismus zu verschleiern. Gestehen wir uns nur, es fehlt uns an Patriotismus! Der wirkliche Patriot ist der Bürger, der von der Wichtigkeit der Gesetze hinlänglich durchdrungen ist, um sie, selbst auf seine Rechnung und Gefahr, zur Ausführung zu bringen. Heißt einen Missetäter laufen lassen, nicht, sich seiner künftigen Verbrechen schuldig machen?«
»Alles hat seinen Grund,« sagte Benassis. »Wenn die Bürgermeister ihre Wege ordentlich unterhielten, würde es nicht so viele Abkürzer geben. Ferner würden die Gemeinderäte, wenn sie unterrichteter wären, den Grundbesitzer und den Bürgermeister unterstützen, wenn diese sich der Einbürgerung eines ungerechten Servituts widersetzen; alle würden den unwissenden Leuten begreiflich machen, daß Schloß, Feld, Hütte und Baum in gleicher Weise unverletzlich sind, und daß das Recht sich durch den verschiedenen Wert der Besitztümer weder vermehrt noch vermindert. Solche Verbesserungen aber würden sich nicht schnell durchkreuzen lassen; sie hängen hauptsächlich von der Moral der Bevölkerungen ab, die wir, ohne die wirksame Vermittlung der Pfarrer, nicht vollständig reformieren können. Das geht durchaus nicht an Ihre Adresse, Monsieur Janvier.«
»Dennoch beziehe ich es auf mich,« antwortete lachend der Pfarrer. »Lasse ich es mir nicht angelegen sein, die Dogmen der katholischen Religion mit Ihren administrativen Einsichten in Einklang zu bringen? So habe ich bei meinen pastoralen Belehrungen über den Diebstahl oft versucht, den Bewohnern des Sprengels die nämlichen Ideen, die Sie eben über das Recht aussprechen, einzuschärfen. Tatsächlich wägt Gott den Diebstahl nicht nach dem Werte des gestohlenen Gegenstandes, er richtet den Dieb. Das ist der Sinn der Gleichnisse gewesen, die ich der Intelligenz meiner Pfarrkinder anzupassen versucht habe.«
»Sie haben Erfolg gehabt, Herr Pfarrer,« sagte Cambon. »Ich kann die Veränderungen beurteilen, die Sie in den Gemütern hervorgerufen haben, wenn ich den gegenwärtigen Zustand der Gemeinde mit dem früheren vergleiche. Sicherlich gibt's wenige Bezirke, wo die Arbeiter so gewissenhaft sind wie die unsrigen in bezug auf die verlangte Arbeitszeit. Die Tiere sind gut bewacht und verursachen nur Zufallsschäden. Die Wälder werden respektiert. Kurz, Sie haben unseren Bauern sehr gut begreiflich gemacht, daß die Muße der Reichen der Lohn eines haushälterischen und arbeitsreichen Lebens ist.«
»Dann werden Sie mit Ihren Soldaten ziemlich zufrieden sein, Herr Pfarrer?« fragte Genestas.
»Herr Rittmeister,« antwortete der Pfarrer, »man muß nicht erwarten, überall hienieden Engel zu finden. Ueberall, wo's Unglück gibt, gibt's Leiden. Leiden und Unglück sind starke Mächte, die mißbraucht werden, wie die Gewalt es wird. Wenn Bauern zwei Meilen zurückgelegt haben, um an ihre Arbeit zu gehen, und abends recht müde zurückkommen und Jäger quer durch Felder und Wiesen gehen sehen, um früher zum Abendtisch zu kommen, glauben Sie, daß sie sich da Gewissensbisse machen, sie nachzuahmen? Wer von denen, die sich so den Pfad treten, über den die Herren sich eben beklagten, wird der Schuldige sein? Der, der arbeitet, oder der sich Amüsierende? Heute fügen uns die Armen und die Reichen gleichviel Schaden zu. Der Glaube muß wie die Macht immer von den himmlischen oder den sozialen Höhen herabsteigen; und sicherlich sind die höheren Stände in unseren Tagen weniger gläubig als es das Volk ist, dem Gott eines Tages den Himmel als Lohn für seine geduldig ertragenen Leiden verspricht. Obgleich ich mich ganz der geistlichen Disziplin und der höheren Einsicht meiner Vorgesetzten unterwerfe, glaube ich, daß wir noch lange Zeit in den Kultfragen weniger anspruchsvoll sein und versuchen müssen, das religiöse Gefühl im Herzen des Mittelstandes, wo man über das Christentum streitet, anstatt seine Maximen anzuwenden, neu zu beleben. Des Reichen Sucht zu philosophieren ist ein recht verhängnisvolles Beispiel für den Armen gewesen und hat zu lange Interregnen in Gottes Königreich verursacht. Der Vorteil, den wir heute über unsere geistlichen Schäflein gewinnen, hängt vollkommen von unserem persönlichen Einflusse ab. Ist es nicht ein Unglück, daß der Glaube einer Gemeinde sich nach dem Ansehen richtet, zu dem ein Mensch dort gelangt? Wenn erst das Christentum die soziale Ordnung von neuem befruchtet hat, indem es alle Klassen mit seinen konservativen Doktrinen sättigt, dann wird sein Kult nicht mehr in Frage gestellt sein. Der Kult einer Religion ist ihre Form, die Gesellschaften bestehen nur durch die Form. Ihnen die Standarten, uns das Kreuz…«
»Ich möchte gern wissen, Herr Pfarrer,« sagte Genestas, Monsieur Janvier unterbrechend, »warum Sie die armen Leute am sonntäglichen Tanzvergnügen hindern?«
»Herr Rittmeister,« antwortete der Pfarrer, »gegen den Tanz an sich haben wir nichts einzuwenden, wir verdammen ihn nur als eine Ursache der Immoralität, die den Frieden stört und die Sitten des flachen Landes verdirbt. Heißt, den Geist der Familien läutern, die Heiligkeit ihrer Bande erhalten, nicht das Uebel an seiner Wurzel abschneiden?«
»Ich weiß,« sagte Monsieur Tonnelet, »daß in jedem Bezirke immer einige Störungen vorkommen, in unserem aber werden sie selten. Wenn viele unserer Bauern sich nicht viel Gewissen daraus machen, dem Nachbarn beim Pflügen eine Furche Acker wegzunehmen oder Weidenruten, wenn sie solche nötig haben, beim anderen abzuschneiden, so sind das Kleinigkeiten im Vergleich mit den Vergehen der Stadtleute. Auch finde ich die Bauern unseres Tales sehr religiös.«
»O religiös!« sagte lächelnd der Pfarrer; »Fanatismus ist hier nicht zu befürchten.«
»Aber, Herr Pfarrer,« warf Cambon ein, »wenn die Leute aus dem Flecken allmorgendlich in die Messe gingen, wenn sie jede Woche bei Ihnen beichteten, würden die Felder schwerlich bestellt werden und drei Pfarrer würden die Arbeit nicht bewältigen …«
»Mein Herr,« fuhr der Pfarrer fort, »arbeiten heißt beten. Die Ausübung hat die Kenntnis der religiösen Prinzipien zur Folge, welche die Gesellschaft leben lassen.«
»Und was machen Sie denn mit dem Patriotismus?« fragte Genestas.
»Der Patriotismus,« antwortete der Pfarrer ernst, »flößt nur flüchtige Gefühle ein, die Religion macht sie dauerhaft. Der Patriotismus ist ein momentanes Vergessen des persönlichen Interesses, während das Christentum ein vollkommenes Oppositionssystem gegen die verderbten Neigungen des Menschen ist!«
»Während der Revolutionskriege ist der Patriotismus indessen …«
»Ja, während der Revolution haben wir Wunder verrichtet,« sagte Benassis, Genestas ins Wort fallend, »zwanzig Jahre nachher, 1814, aber war unser Patriotismus bereits tot; während Frankreich und Europa, von einem religiösen Gedanken getrieben, sich zwölfmal in hundert Jahren auf Asien geworfen haben.«
»Vielleicht«, sagte der Friedensrichter, »ist es leicht, den materiellen Interessen, welche Kämpfe von Volk zu Volk erzeugen, Schranken zu setzen; während die zur Stützung der Dogmen unternommenen Kriege, deren Gegenstand sich niemals klar bestimmen läßt, notwendigerweise unendbar sind.«
»Nun, Herr, Sie reichen den Fisch nicht herum?« sagte Jacquotte, die mit Nicolles Hilfe die Suppenteller weggenommen hatte.
Ihren Gewohnheiten getreu trug die Köchin jede Platte einzeln auf; ein Brauch, der die Unannehmlichkeit hat, die Gourmands zum Vielessen zu nötigen, und die besten Sachen von den mäßigen Leuten, die ihren Hunger an den ersten Gerichten gestillt haben, verschmähen zu lassen.
»Oh, meine Herren,« sagte der Pfarrer zum Friedensrichter, »wie können Sie behaupten, daß die Religionskriege kein bestimmtes Ziel gehabt hätten? Ehemals war die Religion ein so mächtiges Band in der Gesellschaft, daß die materiellen Interessen