Ernst Wasserzieher

Von Haparanda bis San Francisco Reise-Erinnerungen


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existieren nicht. Kurze Biegungen werden mit rasender Geschwindigkeit umfahren, so daß die hinten sitzenden Passagiere die beiden vorderen Pferde nicht mehr sehen, während der Wagen noch diesseits der Felskante herumschlürft.

      Aengstliche Leute werden hier mit Recht ohnmächtig, und auch weniger angstvolle werfen bedenkliche Blicke bald auf den Rosselenker, der freudig die lange Peitsche über dem Viergespann schwingt, bald auf den gähnenden Abgrund, bald auf die sausenden Wagenräder, die sehr solide gebaut sein müssen, um die Stöße auszuhalten. Einer der Passagiere, ein Illinoiser Farmer, der einen Bruder in Nordcalifornien besuchen wollte, erwiderte, befragt, weshalb er nicht den Seeweg von San Francisco aus gewählt: es käme auf eins heraus, ob er ertränke oder den Hals bräche. Selten genug kommt ein Unglücksfall vor, dazu verstehen die Kutscher ihr Handwerk zu gut; ab und zu geschieht es dennoch, und wir passierten nicht ohne Schauder die Stelle, wo vor ein paar Monaten der Wagen hinabgestürzt war, die Pferde tot, Kutscher aber und Reisende durch einen glücklichen Zufall an irgend einen Vorsprung oder Gebüsch hängen geblieben und mit gebrochenen Armen und Beinen davon gekommen waren.

      Nach 4stündiger, nur einmal unterbrochener Fahrt langten wir, tüchtig durchgerüttelt und gänzlich verstaubt, in Geyser Springs an, einem großen hölzernen Hotel mit Schwefelbädern, in prachtvollem Thalkessel gelegen. Abends lagen wir alle, eine große Gesellschaft Damen und Herren, in Schaukelstühlen (andre waren nicht vorhanden) auf der Veranda. Aus dem Saale tönte Klaviergeklimper, und alsbald wurde getanzt. Nachher unterhielt ich mich mit einem San Franciscoer Maler, der mein Zimmergenosse wurde, einem Antwerpener Kaufmann aus Oakland und einigen amerikanischen Studenten. Der Maler, dessen Sehnsucht nach Paris und München ging, legte eine Probe seiner Kunst ab, indem er einen Wasserfall nach der Natur malte, ziemlich schlecht nach meiner Meinung; der Antwerpener, der sehr gut deutsch sprach, erzählte von seinen Rheinfahrten; und den amerikanischen Studenten suchte ich, selbst noch ein halber Student, einen Begriff von deutschem Universitätsleben beizubringen, was mir indes nicht gelang.

      Bei Tische wurden wir, wie meist in Hotels und auf Dampfern, durch Neger bedient, von denen einer — seltene Erscheinung! — durch seine Schönheit auffiel; diese entging den weißen Ladies nicht, und kokette Blicke flogen hinüber und herüber. Ueberhaupt herrschte ein merkwürdig freier Ton in der sonst so steifen amerikanischen Gesellschaft, vielleicht hervorgerufen durch das Gefühl, dem lästigen Stadtceremoniell einmal entronnen zu sein.

      Der Preis betrug 13 Mark pro Tag, wobei, wie gewöhnlich in amerikanischen Hotels, die 3 Mahlzeiten eingerechnet sind, mag man nun daran teil nehmen oder nicht. Nach der Karte kann man nichts haben.

      An einem schönen Sonntag Morgen wanderte die ganze Gesellschaft mit einem Führer (einem Deutschen, wie es schien) in die Berge, um die Geysers und Schwefelquellen in Augenschein zu nehmen. Der Boden schwankt unter den Füßen, dabei ein Getöse wie in einer Fabrik. Ueberall an den Wänden ist Schwefel abgesetzt; auch Asbest sah ich. An vielen Stellen dringt kochendes Wasser, heißer Dampf heftig hervor. „Des Teufels Tintenfaß“, „der Hölle Badeanstalt“ und andre, mehr oder weniger passende Namen wurden uns genannt. Ein Becher, den der Führer mit dem Henkel am Spazierstock vor ein solches dampfendes Loch hielt, fuhr schwirrend herum. Schließlich nahm ein Photograph die Gesellschaft auf, mit den Geysers im Hintergrunde.

      — Durch noch großartigere Landschaft als bisher ging es weiter mit der Post, und üppige Vegetation begleitete uns. Als wir im besten Fahren waren, hielt der Wagen plötzlich; der Kutscher stieg ab und wies auf eine kleine Gruppe, die uns zu interessant schien, um sie sofort zu stören. Eine Klapperschlange saß mitten auf dem Wege und war dabei, eine Maus zu verzehren. Sobald sie uns erblickte, fuhr sie empor und streckte uns ihr niedliches Köpfchen graziös und herausfordernd entgegen, indem sie nach Kräften mit dem Schwanze rasselte. Der Kutscher zerhieb sie mit der Peitsche, trat ihr den Kopf entzwei und gab mir die Klapper zum Andenken.

      Nachdem wir Mittag gemacht hatten, fuhren wir weiter, um den etwa 1200

       Meter hohen Helenaberg herum, der die Gestalt eines liegenden Elefanten

       hat, und kamen um 2 Uhr in Calistoga an, von wo mir noch 4 Stunden mit

       Bahn und Dampfer blieben nach dem südlicheren San Francisco.

       Inhaltsverzeichnis

      Ekensund.

      Ein Land- und See-Mosaikbild.

      Um in dem überreichen Material, das mir über Ekensund zu Gebote steht (nach fünfwöchiger Sommerfrische!), nicht planlos hin- und herzusteuern oder gar zu versinken, wäre es wohl angebracht, eine Art Disposition zu entwerfen, wie ich es als Sekundaner und Primaner zu thun pflegte. Allein ich fürchte, mein Aufsatz bekäme dann einen Anflug von Lehrhaftem, schmeckte zu sehr nach Schule, und mir ist es wahrhaftig mehr um das delectare des Horaz als um sein prodesse zu thun, wenngleich auch dieses selbstverständlich nicht ausgeschlossen bleibt. Seine geographischen Kenntnisse bereichert jeder gern, besonders in der jetzigen Zeit, die ja im Zeichen des Verkehrs stehen soll. Wie gut, daß doch jede Regel ihre Ausnahme hat! Denn Ekensund steht nicht im Zeichen des Verkehrs, noch nicht, und wird hoffentlich noch eine Weile außerhalb desselben bleiben. Sonst käme ich nächstes Jahr nicht wieder, und mein liebenswürdiger Hauswirt könnte sehen, wo er einen Ersatz für mich und meine Familie herkriegte.

      Als ich meinen Freunden in Flensburg meinen Entschluß kund that, nach

       Ekensund hinauszuziehen, schlugen sie die Hände über dem Kopf zusammen

       und riefen entsetzt aus: „Nach Ekensund? Was wollen Sie denn da in dem

       Schmutzloch, wo die vielen Ziegeleien sind und so viel Staub und kein

       Wald und kein Kurhaus — —“

      Gemach, gemach! Genau so sprach ich vor zehn Wochen auch, und ich würde jeden für einen ausgemachten Narren erklärt haben, der in Ekensund Sommerfrische zu halten gedächte! Der Grund bei mir war derselbe wie bei Brockhaus und meinen Flensburger Freunden: Wir waren nie da gewesen. Was bei Brockhaus, der in der Pseudoseestadt Leipzig wohnt, verzeihlich ist, wird bei uns, die wir in der wirklichen Seestadt Flensburg wohnen und nur 18 Kilometer von Ekensund entfernt, nicht nur unverzeihlich, sondern auch unbegreiflich. Indessen, tout savoir c'est tout pardonner. Die Flensburger Föhrde bietet so viel wundervolle Orte und Oertchen, in Wald und Hügel gebettet und von der blauen Flut umrauscht, wo die Schönheiten sozusagen auf dem Präsentierteller geboten werden, daß das verwöhnte Auge des Philisters, der für „Natur“ schwärmt, bei Ekensund eben nur — Ziegeleien sieht. Es war bisher das Aschenbrödel unter seinen Schwestern Glücksburg, Kollund, Süderhaff, Gravenstein und wie sie alle heißen; aber darum will ich um so lauter seinen Ruhm verkünden und über jene anderen mich in völliges Stillschweigen hüllen.

      Sprachlich hellhörigen Lesern, die ihren Wustmann am Schnürchen haben, wird vielleicht schon längst die vorwurfsvolle Frage auf den Lippen schweben, warum ich denn beharrlich Ekensund schreibe, während es doch gewiß Eckensund heiße. Diesen diene als Belehrung, daß dem nicht so ist. Ekensund heißt hochdeutsch Eichensund, und so wirft der Name hier wie auch sonst Licht auf frühere Zustände, die kein Lied, kein Heldenbuch meldet. Die kurze und schmale, aber sehr tiefe Wasserstraße, welche das kleine Nübelnoor[5] mit der größeren Flensburger Föhrde verbindet, war früher von mächtigen Eichenwäldern umschattet, deren Wipfel von hüben und drüben sich fast berührten, sodaß ein Eichhörnchen von einem Ufer zum anderen springen konnte. Der Name Ekensund übertrug sich später auf den Ort, der teilweise am Sunde, teilweise aber an der hohen steilen Küste der eigentlichen Föhrde sich hinzieht. An die ehemaligen Wälder erinnern nur an den Endpunkten des Ortes noch Ueberreste, kleine Haine, die bei ländlichen Festlichkeiten, Picknicks u.s.w. benutzt werden.

      So auch bei dem am morgigen Sonntag stattfindenden großen Erntefest, auf das rote Plakate hinweisen und mit welchem, wie es heißt, eine internationale Segel- und Ruder-Regatta verbunden sein wird. Eine merkwürdige Zusammenstellung, denkt vielleicht der binnenländische Leser, aber sie zeigt so recht die Hauptquellen des hiesigen Volkswohlstandes, der auf dem Erntesegen und