aus Humanität für unsere Kunden, und nicht aus Mammonsgier. Und das werden sie bei den Herbstbestellungen beherzigen und nicht drücken, bis kaum noch das Maschinenfett verdient wird. Du sollst sehen, wie die Ausstellung die Industrie hebt.«
Mein Karl legte ein Fremdenbesuchs-Conto an, worin jeder Angemeldete seinen Termin bekam, um Platzzwistigkeiten vorzubeugen. Dies war vom theoretischen Standpunkte so glänzend einfach, daß wir hoffnungsfreudig in die Zukunft blickten, aber vom praktischen wollten sie so ziemlich sämmtlich Ende Mai eintreffen. Für die folgenden Monate hatten sie Badeaufenthalt oder sonstige hygienische Abstecher vor.
Nun ging es an ein Umlegen und Aendern und Hin- und Herschreiben, wobei Einige sogar mit Bemerkungen antworteten, als fühlten sie sich in die Ecke gesetzt. Einer schrieb, er hätte geplant, das Geschäftliche mit dem Ausstellungsaufenthalt zu verbinden, schwerlich sei ihm dies im August möglich. Er ließ mit vieler Noth bis Mitte Juli herunter, aber dadurch klemmte es sich mit meines Mannes Verwandten, dem Amtsrichter. Und Gerichtspersonen sind leicht verletzt.
Mein Karl sah dies ein, aber er hatte die Hände mit seinem Aufbau in der Ausstellung voll — geradezu überwältigend mit einem Reichsadler aus schwarzen Socken nach dem Grundriß eines akademisch vorgebildeten Künstlers — und schob mir den Besuchsschlachtenplan zu. Ich saß und bebrütete ihn mit stundenlangem Nachdenken, ohne daß jedoch eine rettende Idee ausschlüpfte; immer uns stets war der Amtsrichter im Wege.
Da wurde mir ganz unerwartet Hilfe in der Noth, obgleich sie nicht so aussah, denn wenn die Bergfeldten, oder jetzt nach ihrer Wiedervermählung Frau Butsch, auf der Bildfläche erscheint, taucht irgend etwas Erbauliches im Hintergrunde auf, woran sie weniger Schuld hat, als das ihr im Kalender des Lebens angestrichene Pech. Sie ging zweckmäßig gekleidet, wie es einer Weißbierwirthin vom Kietz geziemt, wo Schleppen wegen der übergeschwappten Bodenfeuchtigkeit nicht lokalgemäß sind. Sie arbeitet tüchtig in Küche und Haushalt und da sie merken, daß sie etwas vor sich bringen, fassen sie Beide unverdrossen an. Er zieht das Bier alleine ab mit inclusive Flaschenspülen, wobei er manchmal zwei Zentimeter äußere Rundung verliert. Weil das gesund ist, freuen sie sich Beide so darüber, daß sie ihm ein deutsches Belohnungs-Beefsteak von Suppentellerumfang brät und er sich eine Selbstanerkennungs-Weiße gönnt oder auch mehrere — genau weiß sie es nicht — worauf die alte Dickdität überhaupt nicht weg gewesen zu sein scheint.
»Butschen,« sagte ich, als sie mir dies erzählte, »mästen Sie Ihren Mann nur nicht auf den Schragen.« — »Es schmeckt ihm immer so schön, da kann ich doch nicht davor? Mein Seliger gab zuletzt das Essen auf und da war's alle. Nee, Buchholzen, Hungerkuren sind ja hochmodern, aber sie endigen ebenso tödtlich wie andere Millezin.«
Dies verdroß mich. Es ist anmaßend für beschränktere Intelligenz, in Familien mit einem Sanitätsraths-Schwiegersohn, herabsetzend über arzeneiliche Sachen zu sprechen. »Liebe Butschen,« entgegnete ich daher klarstellend, »wenn jemand an einer Behandlung stirbt, so liegt es stets an dem Patienten. Oder haben Sie vielleicht bei Virchow gehabt, daß Sie es besser wissen?«
»Nee,« erwiderte sie verlegen. »Hab' ich mich vielleicht mit 'ner Ansicht vergallopirt? Wissen Sie, nehmen Sie's man nicht übel, ich krieg die Zeitungen immer erst zwei Tage später nach der Küche zu lesen, da bleib ich denn wohl ein Bisken in der Bildung zurück. Und eben deshalb komm ich zu Ihnen, Frau Buchholz, weil Butsch auch keine Zeit für die Anzeigen hat, — wir haben nämlich ein Ausstellungszimmer zu vermiethen —, vielleicht, daß Sie mal was erfahren und uns rekommandiren?..«
»Butschen,« rief ich, »alleweil sind Sie auf Ihrem Terrain; Medicin ist dagegen für Sie eine verrannte Sackgasse. Zimmer? Zu Mitte Juli ganz sicher. Wie sind die Preise?« — »Zwei Mark mit Frühstück« — »Ist das nicht etwas zu lindenhaft für die Schulzendorferstraße?« — »Wir haben Alles machen lassen, ich sage Ihnen, einzig. Die Stühle sind im empirischen Stil, der jetzt mächtig aufkommt, wie der Möbelfritze sagt.«
»Sind die Möbel bezahlt?«
Die Butschen jetzt; über das ganze Gesicht griente sie. »Ja,« sagte sie. »Wir haben's sauer verdient,... groschenweis.« — Sie seufzte tief auf. War es ein Freudenseufzer oder mehr ein Aufstoßen alter Zeiten, wo sie doch, wenn sie irgendwo hintraten, ausschließlich in Dalles und Rechnungen nicht anders kannten als schmerzhafte Papiere in unquittirtem Zustande. Um mich zu überführen, fragte ich: »Und Ihnen bekommt die Arbeit? Appetit gut? Schlaf gut? Augen gut? Gedächtniß gut?« — »Nee,« sagte sie und seufzte noch einmal, »das Gedächtniß ist schlecht, es erinnert mich immer an so Vieles, was ich am besten vergessen möchte. Aber ich will nicht klagen. Sie wissen ja selber, wie ich mehr Schatten vom Leben gehabt habe, als Sonne.«
Ihr darzulegen, daß bei dieser Art Beleuchtung sehr viel davon abhängt, welche Seite man der Menschheit zuwendet, wäre nicht angebracht gewesen, denn einmal hatte sie sich mit dem Zimmer von einer wohlthuenden Seite gezeigt und hat zweitens im Laufe der Jahre viel Bloßstellendes abgelegt. Die Krausen hingegen bleibt konstant unverändert, obgleich in der Zoologie sich selbst Schlangen häuten.
Der bekannte Stein, der schon so vielen vom Herzen gefallen ist, obgleich ihn noch niemand gesehen hat, war herunter. Was sich auch ereignete, wenn auch Zwei zusammenstießen: bei Butsch war für den Einen Unterkommen. Ich klingelte der Dorette, um ihr dies mitzutheilen.
Ein wahres Glück, sagte ich zur Butschen, daß ich ein so zuverlässiges Mädchen habe. Freilich, gleich nach der Ausstellung macht sie Hochzeit. Ihr Bräutigam setzt sich als selbstständiger Tapezier, und die Trinkgelder, die es inzwischen giebt, bringt sie mit in die Ehe.
»Baar Geld kann man nie genug haben, zumal wenn es Einem fehlt,« bemerkte die Butschen.
Ich wollte ihr sagen, daß sie soeben ziemlichen Kaff geredet hätte, wenigstens in der feineren Gedankenfügung, als die Dorette endlich antrat, aber nicht wie gewöhnt rasch und adrett, sondern langsam in Trauergefolgeschritt mit rothgeweinten Augen und zusammengewrungenem Thränentuch in der Hand.
»Dorette?« rief ich. »Was giebt's denn? Was ist los?«
Keine Antwort.
»Ist Ihnen was Nahes gestorben?«
»Uh!«
»Wer denn, Dorette?«
Sie schüttelte verneinend mit dem Kopfe.
»Was ist Ihnen denn?«
»So reden Sie doch.«
»Det — kann ick — Ihn'n — man blos — janz alleene sagen,« schluchzte Dorette und drückte das Taschentuch ins Gesicht.
Mit einem Takt, den sie früher nie hatte, stand die Butschen auf und verabschiedete sich. »Sie können das Zimmer jederzeit haben, wenn wir's nur vorher wissen. Uebrigens hat Butsch seine Telephonnummer.«
Ich zurück zur Dorette. Was hat sie? Was soll ich ohne sie anfangen mit dem Haus voller Gäste und ich selber halb auf der Ausstellung und halb am Schreibtisch, nie voll und ganz für den Hausstand? Eine neue Philippine anbändigen, Berichte schreiben und dabei tadellose Wirthin spielen — das übersteigt meine Fähigkeit. Mehr als seine gewisse Anzahl Pferdekräfte hat der Mensch nicht.
Ich also mir schleunig die Philippine vorgebunden und reinen Wein verlangt. Sie aber immer gedruckst und mit Wortnoth behaftet, daß ich schon dicht daran war, fuchtig zu werden, als mein Karl kam, der im Gegensatz zu ihrer Zurückhaltung sich in einer Lebhaftigkeit erging, die mich erschreckte.
So hatte ich ihn noch nie schimpfen gehört.
Als ich nach und nach erfuhr, worum es sich handelte, glaub' ich, hab' ich auch einige unsanfte Aeußerungen dazu geliefert. War es denn erhört? Jetzt, wo die Ausstellung eröffnet werden sollte, jeder Tag ausgenutzt werden mußte, jetzt warfen die Tapeziere die Arbeit nieder, gerade jetzt, wo sie die letzte Hand anzulegen hatten, damit alles die Vollendungsfalten und Fransen kriegte und den rothen Callicot um die Tische und was sonst zu bekleben, zu benageln und zu betroddeln war.
Die Philippine weinte bei dieser Auseinandersetzung ganz schrecklich.
»Ja,