Wilhelm Hauff

Wilhelm Hauff: Märchen, Romane, Erzählungen & Gedichte


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      Die Trompeten schmetterten in den Saal; der Oberfeldleutnant Waldburg Truchseß, dem man den zweiten Tanz gegeben hatte, schritt mit seiner Tänzerin vor, die Fackelträger folgten, die Paare ordneten sich, und auch Georg ergriff Mariens Hand und schloß sich an. Jetzt suchten ihre Blicke nicht mehr den Boden, sie hingen an denen des Geliebten; und dennoch wollte es ihm scheinen, als mache sie dieses Wiedersehen nicht so glücklich wie ihn, denn noch immer lag eine düstere Wolke von Schwermut oder Trauer um ihre Stirn. Sie sah sich um, ob Dietrich und Berta, das nächste Paar nach ihnen, nicht allzu nahe seien.—Sie waren fern.

      "Ach, Georg", begann sie, "welch unglücklicher Stern hat Dich in dieses Heer geführt?"

      "Du warst dieser Stern, Marie", sagte er, "Dich habe ich auf dieser

       Seite geahnt, und wie glücklich bin ich, daß ich Dich fand! Kannst

       Du mich tadeln, daß ich die gelehrten Bücher beiseite legte und

       Kriegsdienste nahm? Ich habe ja kein Erbe als das Schwert meines

       Vaters; aber mit diesem Gut will ich wuchern, daß der deinige sehen

       soll, daß seine Tochter keinen Unwürdigen liebt."

      "Ach Gott! Du hast doch dem Bund noch nicht zugesagt?" unterbrach sie ihn.

      "Ängstige Dich doch nicht so, mein Liebchen, ich habe noch nicht völlig zugesagt; aber es muß nächster Tage geschehen. Willst Du denn Deinem Georg nicht auch ein wenig Kriegsruhm gönnen? Warum magst Du um mich so bange sein? Dein Vater ist alt und zieht ja doch auch mit uns."

      "Ach, mein Vater, mein Vater!" klagte Marie. "Er ist ja—doch brich ab, Georg, brich ab—Berta belauscht uns; aber ich muß Dich morgen sprechen, ich muß, und sollte es meine Seligkeit kosten. Ach! Wenn ich nur wüßte wie?"

      "Was ängstigt Dich denn nur so?" fragte Georg, dem es unbegreiflich war, wie Marie, statt sich der Freude des Wiedersehens hinzugeben, nur an die Gefahren dachte, denen er entgegengehe? "Du stellst Dir die Gefahren größer vor, als sie sind", flüsterte er ihr tröstend zu. "Denke an nichts, als daß wir uns jetzt wieder haben, daß ich Deine Hand drücken darf, daß Auge in Auge sieht wie sonst. Genieße jetzt die Augenblicke, sei heiter!"

      "Heiter? Oh, diese Zeiten sind vorbei, Georg! Höre und sei standhaft—mein Vater ist nicht bündisch!"

      "Jesus Maria! Was sagst Du?" rief der Jüngling und beugte sich, als habe er das Wort des Unglücks nicht gehört, herab zu Marien. "Oh sag, ist denn Dein Vater nicht hier in Ulm?"

      Sie hatte sich stärker geglaubt; sie konnte nicht mehr sprechen; bei dem ersten Laut wären ihre Tränen unaufhaltsam geflossen; sie antwortete nur durch einen Druck der Hand und ging mit gesenktem Haupt, nach Kraft suchend, ihren Schmerz zu bekämpfen, neben Georg her. Endlich siegte der starke Geist dieses Mädchens über die Schwäche ihrer Natur, die einem so großen, tiefen Kummer beinahe erlegen wäre. "Mein Vater", flüsterte sie, "ist Herzog Ulrichs wärmster Freund, und sobald der Krieg entschieden ist, führt er mich heim auf den Lichtenstein!"

      Betäubt wirbelten jetzt die Trommeln, in volleren Tönen schmetterten die Trompeten, sie begrüßten den Truchseß, der eben an dem Musikchor vorüberzog, er warf ihnen, wie es Sitte war, einige Silberstücke zu, und von neuem erhob sich ihr betäubender Jubel.

      Das leise Gespräch der Liebenden verstummte vor der rauhen Gewalt dieser Töne, aber ihr Auge hatte sich in diesem Schiffbruch ihrer Liebe um so mehr zu sagen, und sie bemerkten nicht einmal, wie ein Geflüster über sie im Saal erging, das sie als das schönste Paar pries.

      Aber nur zu wohl hatte Berta diese Bemerkungen der Menge gehört. Sie war zu gutmütig, als daß Neid darüber in ihre Seele gekommen wäre, aber sie setzte sich doch im Geist an Mariens Platz, und fand, daß man vielleicht das Paar nicht minder schön gefunden hätte. Auch das Gespräch, das zwischen den beiden begonnen hatte, fiel ihr auf. Die ernste Base, die selten oder nie mit einem Mann lange sprach, schien mehr und angelegentlicher zu reden als ihr Tänzer. Die Musik hinderte sie zu verstehen, was gesprochen wurde; die Neugierde wurde in ihr rege, sie zog ihren Tänzer näher an das vordere Paar, um ein wenig zu lauschen; aber war es Zufall oder Absicht, das Gespräch verstummte, als sie näherkam, oder wurde so leise geführt, daß sie nichts davon verstand.

      Ihr Interesse an dem schönen jungen Mann wuchs mit diesen Hindernissen; noch nie war ihr der gute Vetter Kraft so lästig geworden als in diesen Augenblicken; denn die zierlichen Redensarten, womit er ihr Herz zu umspinnen gedachte, hinderten sie, jene genauer zu beobachten. Sie war froh, als endlich der Tanz endete. Denn sie durfte hoffen, daß der nächste an des jungen Ritters Seite desto angenehmer für sie sein werde.

      Sie täuschte sich nicht in ihrer Hoffnung, Georg kam, sie um den nächsten Tanz zu bitten, der auch sogleich begann, und sie hüpfte fröhlich an seiner Seite in die Reihen. Aber es war nicht mehr derselbe, der vorhin mit Marien so freundlich gesprochen hatte. Verstört, einsilbig, in tiefe Gedanken versunken, war der junge Mann an ihrer Seite, und es war nur zu sichtbar, daß er sich immer erst wieder sammeln mußte, wenn er eine ihrer Fragen beantworten sollte.

      War dies jener "höfliche Ritter", welcher sie, ohne daß sie sich je gesehen hatten, so freundlich grüßte? War es derselbe, welcher so heiter, so fröhlich war, als ihn Vetter Kraft zu ihnen führte? Derselbe, der mit Marien so eifrig sich unterredet hatte? Oder sollte diese—? Ja, es war klar, Marie hatte ihm besser gefallen, ach! vielleicht weil sie die erste war, die mit ihm getanzt. Je weniger Berta gewohnt war, sich der ernsten Marie nachgesetzt zu sehen, um so mehr befremdete sie dieser Sieg ihrer Base, um so mehr glaubte sie sich beeifern zu müssen, ihren Rang, ihre Gaben geltend zu machen Sie setzte daher mit ihrer heiteren Geschwätzigkeit das Gespräch über den bevorstehenden Krieg, das sie mit Mühe angesponnen hatte, fort, als sie nach Beendigung des Tanzes zu Marien und dem Ratsschreiber traten.

      "Nun, und der wievielte Feldzug ist es denn, Herr von Sturmfeder, dem

       Ihr jetzt beiwohnt?"

      "Es ist mein erster", antwortete dieser kurz angebunden, denn er war unmutig darüber, daß jene ihn noch immer im Gespräch halte, da er mit Marie so gerne gesprochen hätte.

      "Euer erster?" entgegnete Berta verwundert, "Ihr wollt mir etwas weismachen, da habt Ihr ja schon eine mächtige Narbe auf der Stirn."

      "Die bekam ich auf der hohen Schule", antwortete Georg.

      "Wie? Ihr seid ein Gelehrter?" fragte jene eifrig weiter. "Nun, und da seid Ihr gewiß recht weit weg gewesen; etwa in Padua oder Bologna, oder gar bei den Ketzern in Wittenberg."

      "Nicht so weit, als Ihr meint", entgegnete er, indem er sich zu

       Marien wandte, "ich war in Tübingen."

      "In Tübingen", rief Berta voll Verwunderung. Wie ein Blitz erhellte dies einzige Wort alles, was ihr bisher dunkel war, und ein Blick auf Marien, die mit niedergeschlagenen Augen, mit der Röte der Scham auf den Wangen, vor ihm stand, überzeugte sie, daß die lange Reihe von Schlüssen, die sich an jenes Wort anschlossen, ihren nur zu sicheren Grund hatten. Jetzt war ihr auf einmal klar, warum sie der artige Ritter begrüßt, warum Marie geweint, die ihn gewiß gerne auf der feindlichen Seite gesehen hätte, warum er so viel mit jener gesprochen, warum er bei ihr selbst so einsilbig war. Es war keine Frage, sie kannten sich, sie mußten sich längst gekannt haben.

      Beschämung war das erste Gefühl, das bei dieser Entdeckung Bertas Herz bestürmte; sie errötete vor sich selbst, wenn sie sich gestand, nach der Aufmerksamkeit eines Mannes gestrebt zu haben, dessen Seele ein ganz anderer Gegenstand beschäftige. Unmut über Mariens Heimlichkeit verfinsterte ihre Züge. Sie suchte Entschuldigung für ihr eigenes Betragen, und fand sie nur in der Falschheit ihrer Base. Hätte diese ihr gestanden, in welchem Verhältnis sie zu dem jungen Mann stehe, sie hätte ihr nie ihre Teilnahme an ihm gezeigt; er wäre ihr dann, meinte sie, höchst gleichgültig geblieben, sie hätte nie diese Beschämung erfahren.

      Berta hat an diesem Abend den unglücklichen jungen Mann keines Blickes mehr gewürdigt, was ihm übrigens über dem größeren Schmerz, der seine Seele beschäftigte, völlig entging. Sein Unglück wollte es auch, daß er nie mehr Gelegenheit fand, Marien wieder allein