Wilhelm Hauff

Wilhelm Hauff: Märchen, Romane, Erzählungen & Gedichte


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Schweizer Milchmagd ab, so habt ihr eine Mimili, und freilich alles so natürlich als möglich.

      Das dritte, was euch so gut mundete an dieser Geschichte, war – das Rührende. Wann und wo war der Kummer der Liebe nicht rührend? Es ist ein Motiv, das jedem Roman als Würze beigegeben wird, wie bittere Mandeln einem süßen Kuchen, um das Süße durch die Vorkost des Bitteren desto angenehmer und erfreulicher zu machen. Ihr selbst, meine jungen Zuhörerinnen, und ich habe dies zu öfteren Malen an euch gerügt, versetzt euch gar zu gerne in ein solches Liebesverhältnis, wenn nicht dem Körper, doch dem Geiste nach. Wenn ihr so dasitzet, und nähet oder stricket, und über eure Nachbarn gehörig geklatscht habt, kommt gar leicht in eurer Phantasie das Kapitel der Liebe an die Reihe, und ihr träumet und träumet und vergesset die Welt und die Maschen an eurem Strickstrumpf. Wenn man nachts durch den Wald geht, so denkt man gerne an arge Schauergeschichten von Mord und Totschlag; gerade so machet ihr es. Je greulicher der Schmerz eines Liebespaares ist, von welchem ihr leset, desto angenehmer fühlet ihr euch angeregt. Da wollet ihr keine Natürlichkeit, da soll es recht arg und türkisch zugehen, und wie den spanischen Inquisitoren, so ist euch ein solches Autodafé ein Freudenfest. Je länger die Liebenden am langsamen Feuer des Kummers braten, je mehr man ihnen mit der Zange des Schicksals die Glieder verrenkt, desto rührender kömmt es euch vor, und doch habt ihr dabei immer noch den Trost in petto, daß der Autor, der diesen Jammer arrangiert, zugleich Chirurg ist und die verrenkten Glieder wieder einrichtet, zugleich Notar, um den Heiratskontrakt schnell zu fertigen, zugleich auch Pfarrer, um die guten Leutchen zusammenzugeben. Ihr habt recht, ihr guten Seelen! Ihr wollet nicht gerührt sein durch tiefere Empfindungen, man darf bei euch nicht jene Mollakkorde anschlagen, die durch die Seele zittern, wer wollte auch mit einer Äolsharfe auf einer Kirchweihe aufspielen! da ist der schnarrende Contrebaß Meister, und je »gräßlicher« es zugeht, desto rührender ist es.

      Ich komme aber auf den vierten Punkt der Mimilis-Manier, nämlich auf – das Reizende. Die drei andern Punkte waren das Schafskleid, das ist aber die Kralle, an der ihr den Wolf erkennet, der im Kleide steckt, jenes war die Kutte, unter welcher er unschuldig wie der heilige Franziskus sich bei euch einführt, aber siehe da, das ist der Pferdefuß, und an seinen Spuren wirst du ihn erkennen. Und was ist dieses Reizende? Das ist die Sinnlichkeit, die er aufregt, das sind jene reizenden, verführerischen, lockenden Bilder, die eurem Auge angenehm erscheinen. Es freut mich, zu sehen, daß ihr, da unten, die Augen nicht aufschlagen könnet; es freut mich, zu sehen, daß hin und wieder, auf mancher Wange die Röte der Beschämung aufsteigt; es freut mich, daß Sie nicht zu lachen wagen, meine Herren, wenn ich diesen Punkt berühre. Ich sehe, ihr alle verstehet nur allzu wohl, was ich meine.

      Ein Lessing, ein Klopstock, ein Schiller und Jean Paul, ein Novalis, ein Herder waren doch wahrhaftig große Dichter, und habt ihr je gesehen, daß sie in diese schmutzigen Winkel der Sinnlichkeit herabsteigen mußten, um sich ein Publikum zu machen? oder wie? sollte es wirklich wahr sein, daß jene edleren Geister nur für wenige Menschen ihre hehren Worte aussprachen, daß die große Menge nur immer dem Marktschreier folgt, weil er köstliche Zoten spricht, und sein Bajazzo possierliche Sprünge macht? Armseliges Männervolk, daß du keinen höheren geistigen Genuß kennst, als die körperlichen Reize eines Weibes gedruckt zu lesen, zu lesen von einem Marmorbusen, von hüpfenden Schneehügeln, von schönen Hüften, von weißen Knieen, von wohlgeformten Waden und von dergleichen Schönheiten einer Venus vulgivaga. Armseliges Geschlecht der Weiber, die ihr aus Clauren Bildung schöpfen wollet. Errötet ihr nicht vor Unmut, wenn ihr leset, daß man nur eurem Körper huldigt, daß man die Reize bewundert, die ihr in der raschen Bewegung eines Walzers entfaltet, daß der Wind, der mit euren Gewändern spielt, das lüsterne Auge eures Geliebten mehr entzückt, als die heilige Flamme reiner Liebe, die in eurem Auge glüht, als die Götterfunken des Witzes, der Laune, welche die Liebe eurem Geiste entlockt? Verlorene Wesen, wenn es euch nicht kränkt, euer Geschlecht so tief, so unendlich tief erniedrigt zu sehen, geputzte Puppen, die ihr euren jungfräulichen Sinn schon mit den Kinderschuhen zertreten habt, leset immer von anderen geputzten Puppen, bepflanzet immer eure Phantasie mit jenen Vergißmeinnichtblümchen, die am Sumpfe wachsen, ihr verdienet keine andere als sinnliche Liebe, die mit den Flitterwochen dahin ist.

      Siehe da die Anmut, die Natürlichkeit, das Rührende und den hohen Reiz der Mimilis-Manier. Lasset uns weiter die Fortschritte betrachten, die ihr Erfinder machte. Wie das Unkraut üppig sich ausbreitet, so ging es auch mit dieser Giftpflanze in der deutschen Literatur. Die Mimili-Manier wurde zur Mimili-Manie, wurde zur Mode; was war natürlicher, als daß Clauren eine Fabrik dieses köstlichen Zeuges anlegte, und zwar nach den vier Grundgesetzen, nach jenen vier Kardinaltugenden, die wir in seiner »Mimili« fanden. Bei jener Klasse von Menschen, für welche er schreibt, liegt gewöhnlich an der Feinheit des Stoffes wenig; wenn nur die Farben recht grell und schreiend sind. Mochte er nun selbst diese Bemerkung gemacht haben, oder konnte er vielleicht selbst keine feineren Fäden spinnen, keine zarteren Nüanzen der Farben geben, sein Stoff ist gewöhnlich so unkünstlerisch und grob als möglich angelegt; ein fadengerades Heiratsgeschichtchen, so breit und lange als möglich ausgedehnt, von tieferer Charakterzeichnung ist natürlich keine Rede; Kommerzienräte, Husarenmajors, alte Tanten, Ladenjünglinge comme il faut, etc. Die Dame des Stückes ist und bleibt immer dasselbe Holz-und Gliederpüppchen, die nach Verhältnissen kostümiert wird, heiße sie nun Mimili oder Vally, Magdalis oder Doralice, spreche sie Schweizerisch oder Hochdeutsch, habe sie Geld oder keines, es bleibt dieselbe. Ist nun die Historie nach diesem geringen Maßstabe angelegt, so kommen die Ingredienzien.

      Bei den Ingredienzien wird, wie billig, zuerst Rücksicht genommen auf das Frauenvolk, das die Geschichte lesen wird. Erstens, einige artige Kupfer mit schönen » Engelsköpfchen«, angetan nach der » allernagelfunkelneuesten« Mode. Diese werden natürlich in der Fabrik immer zuvor entworfen, gemalt und gestochen, und nachher der resp. Namen unten hingeschrieben. Sündigerweise benützt der gute Mann auch die Porträts schöner fürstlicher Damen, die er als Quasi-Aushängeschild vor den Titel pappt. So hat es uns in der Seele wehe getan, daß die Großfürstin Helena von Rußland, eine durch hohe Geistesgaben, natürliche Anmut und Körperschönheit ausgezeichnete Dame, bei dem Tornister-Lieschen (im »Vergißmeinnicht« 1826) gleichsam zu Gevatter stehen mußte.

      Zweitens, ein noch bei weitem lockenderes Ingredienz ist die Toilette, die er trotz den ersten Modehändlerinnen zu machen versteht. Wer wollte es Virgil übelnehmen, wenn er den Schild seines Helden beschreibt; wer lauscht nicht gerne auf die kriegerischen Worte eines Tasso, wenn er die glänzenden Waffen seines Rinaldo oder Tankred singt. Es sind Männer, die von Männern, es sind edle Sänger, die von Helden singen. Überwiegt aber nicht der Ekel noch das Lächerliche, wenn man einen preußischen Geheimen Hofrat hört, wie er den Putz einer Dame vom Kopf bis zu den Zehenspitzen beschreibt; es kömmt freilich sehr viel darauf an, ob auf dem hohlen Schädel seiner Mimilis ein italienischer Strohhut oder eine Toque von Seide sitzt, ob die Federn, die solche schmücken, Marabout-oder Straußfedern, oder gar Paradiesvögel sind; und dann die niedlichen »Sächelchen« von Ohrgeschmeide, Halsbändern, Bracelets et cetera, daß »einem das Herz puppert«, und dann die Brüßler-Kanten um die wogende Schwanenbrust, und das gestickte Ballkleid, und die durchbrochenen Strümpfe, und die seidenen Pariser Ballschuhe, oder ein Negligé wie aus dem leichtesten Schnee gewoben, und dieses Überröckchen, und jenes Mäntelchen, und dieses Spitzenhäubchen, aus dem sich die goldenen Ringellöckchen hervorstehlen. O sancta simplicitas! und ihr kneipt, um mich seiner Sprache zu bedienen, ihr kneipt die Knie nicht zusammen, meine Damen, und wollet euch nicht halb zu Tode lachen über den köstlichen Spaß, daß ein preußischer Geheimer Hofrat eurer Zofe ins Handwerk greift, und euch vorrechnet, was man im Putzladen der Madame Prellini haben kann? Leider ihr lachet nicht! Ihr leset den allerliebsten Modebericht mit großer Andacht, ihr sprechet, »das ist doch einmal eine Lektüre von Geschmack; nichts Überirdisches, Romantisches, tout comme chez nous, bis aufs Hemde hat er uns beschrieben, der deliziöse Mann, der Clauren!«

      Ein drittes Ingredienz für Mädchen sind die magnifiken Bälle die er alljährlich gibt. Hu! wie da getanzt wird, daß das Herzchen »im Vierundsechzigsteltakt pulsiert!« Wie schön! vornehme Damen, die bei Präsidents A., bei Geheimrats B., bei dem Banquier C., oder gar bei Hofe Zutritt haben, finden alles »haarklein« beschrieben, von der Polonaise bis zum Kotillon. Arme Landfräulein, die nur in das nächste Städtchen auf den Kasinoball kommen können, lesen ihren Clauren