Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke


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      Es war vier­zehn Tage nach der Ver­haf­tung bei ei­nem der ers­ten Ver­hö­re von Anna Quan­gel, die wie­der ge­sund ge­wor­den war, als sich Anna ent­schlüp­fen ließ, dass ihr Sohn Otto ein­mal mit ei­ner ge­wis­sen Tru­del Bau­mann ver­lobt ge­we­sen war. Zu je­ner Zeit hat­te Anna es noch nicht er­fasst, dass jede Na­mens­nen­nung ge­fähr­lich war, ge­fähr­lich für den Ge­nann­ten. Denn mit ei­ner pe­dan­ti­schen Ge­nau­ig­keit wur­de der Be­kann­ten- und Freun­des­kreis je­des Ver­haf­te­ten nach­ge­prüft, je­der Spur wur­de nach­ge­gan­gen, da­mit »die Ei­ter­beu­le auch ganz aus­ge­brannt« wer­de.

      Der Ver­neh­men­de, der Kom­missar Laub, der Nach­fol­ger Esche­richs, ein kur­z­er, ge­drun­ge­ner Mann, der es lieb­te, sei­ne kno­chi­gen Fin­ger wie eine Peit­sche dem Ver­nom­me­nen ins Ge­sicht zu schla­gen, war nach sei­ner Ge­wohn­heit erst über die­se Mit­tei­lung, ohne von ihr No­tiz zu neh­men, weg­ge­gan­gen. Er frag­te Anna Quan­gel lan­ge und töd­lich er­mü­dend über die Freun­de und Ar­beit­ge­ber des Soh­nes aus, frag­te Din­ge, die sie nicht wis­sen konn­te, aber wis­sen soll­te, frag­te und frag­te, und da­zwi­schen peitsch­te er ihr rasch ein­mal die Fin­ger ins Ge­sicht.

      Kom­missar Laub war ein Meis­ter in der Kunst sol­cher Ver­neh­mun­gen, ohne Ab­lö­sung hielt er es zehn Stun­den aus, so muss­te es die Ver­nom­me­ne auch aus­hal­ten. Anna Quan­gel schwank­te auf ih­rem Sche­mel vor Mü­dig­keit. Die kaum über­stan­de­ne Krank­heit, die Angst um das Schick­sal Ot­tos, von dem sie nichts wie­der ge­hört hat­te, die Schmach, wie ein un­auf­merk­sa­mes Schul­kind ge­schla­gen zu wer­den, all dies mach­te sie zer­streut, un­auf­merk­sam, und wie­der schlug Kom­missar Laub zu.

      Anna Quan­gel ächz­te lei­se und be­deck­te ihr Ge­sicht mit den Hän­den.

      »Neh­men Sie die Hän­de run­ter!«, rief der Kom­missar. »Se­hen Sie mich an! Na, wird’s bald?«

      Sie tat es, sie sah ihn an mit ei­nem Blick, in dem Angst war. Aber nicht vor ihm, son­dern Angst, sie kön­ne schwach wer­den.

      »Wann ha­ben Sie die­se so­ge­nann­te Braut Ihres Soh­nes zum letz­ten Male ge­se­hen?«

      »Das ist sehr lan­ge her. Ich weiß doch nicht. Schon seit wir die Kar­ten schrei­ben. Über zwei Jah­re … Oh, schla­gen Sie nicht schon wie­der! Den­ken Sie an Ihre ei­ge­ne Mut­ter! Sie möch­ten auch nicht, dass Ihre Mut­ter ge­schla­gen wird.«

      Zwei, drei Schlä­ge tra­fen sie kurz nach­ein­an­der.

      »Mei­ne Mut­ter ist kein hoch­ver­rä­te­risches Aas wie Sie! Nen­nen Sie noch ein­mal mei­ne Mut­ter, und ich wer­de Ih­nen zei­gen, wie ich schla­gen kann! Wo hat dies Mäd­chen ge­wohnt?«

      »Ich weiß doch nicht! Mein Mann hat mir mal ge­sagt, sie hat seit­dem ge­hei­ra­tet! Sie wird si­cher weg­ge­zo­gen sein.«

      »So, Ihr Mann hat sie also ge­se­hen? Wann war das?«

      »Ich weiß nicht mehr! Da schrie­ben wir schon die Kar­ten.«

      »Und sie hat mit­ge­macht, was? Hat da­bei ge­hol­fen?«

      »Nein! Nein!«, rief Frau Quan­gel. Mit Schre­cken sah sie, was sie an­ge­rich­tet hat­te. »Mein Mann«, sag­te sie ei­lig, »hat die Tru­del bloß auf der Stra­ße ge­trof­fen. Da hat sie ihm er­zählt, dass sie ge­hei­ra­tet hat und nicht mehr in die Fa­brik geht.«

      »Na – und wei­ter? In wel­che Fa­brik ist sie denn ge­gan­gen?«

      Frau Quan­gel nann­te die Adres­se der Uni­form­fa­brik.

      »Und wei­ter?«

      »Das ist al­les. Das ist wirk­lich al­les, was ich weiß. Be­stimmt, Herr Kom­missar!«

      »Fin­den Sie das nicht ein biss­chen ko­misch, dass die Braut vom Sohn nicht ein­mal mehr zu den Schwie­ger­el­tern kommt, nicht mal nach dem Tode des Bräu­ti­gams?«

      »Aber mein Mann war doch so! Wir ha­ben schon nie Ver­kehr ge­habt, und seit wir die Kar­ten schrie­ben, hat er über­haupt al­les ab­ge­bro­chen.«

      »Da lü­gen Sie schon wie­der! Mit den Heff­kes ha­ben Sie erst beim Kar­ten­schrei­ben den Ver­kehr an­ge­fan­gen!«

      »Ja, das ist wahr! Das hat­te ich ver­ges­sen. Aber Otto war es auch gar nicht recht, er hat’s nur er­laubt, weil es mein Bru­der war. Und wie hat er im­mer auf die Ver­wandt­schaft ge­schimpft!« Sie sah den Kom­missar trau­rig an. Sie sag­te schüch­tern: »Darf ich jetzt auch was fra­gen, Herr Kom­missar?«

      Kom­missar Laub knurr­te: »Fra­gen Sie nur! Wer viel fragt, kriegt viel Ant­wort.«

      »Stimmt es …« Sie un­ter­brach sich. »Ich glau­be, ich habe mei­ne Schwä­ge­rin ges­tern Mor­gen un­ten auf dem Flur ge­se­hen … Stimmt es, dass Heff­kes auch ver­haf­tet sind?«

      »Das lü­gen Sie wie­der!« Ein schar­fer Schlag. Und noch ei­ner. »Die Frau Heff­ke, die ist ganz wo­an­ders. Die kön­nen Sie gar nicht ge­se­hen ha­ben. Das hat Ih­nen eine ver­pfif­fen. Wer hat Ih­nen das ver­pfif­fen?«

      Aber Frau Quan­gel schüt­tel­te den Kopf. »Nein, kei­ner hat’s. Ich hab die Schwä­ge­rin von Wei­tem ge­se­hen. Ich war nicht mal si­cher, dass sie’s war.« Sie seufz­te. »Nun sit­zen die Heff­kes also auch und ha­ben gar nichts ge­tan und von nichts ge­wusst. Die ar­men Men­schen!«

      »Die ar­men Men­schen!«, höhn­te der Kom­missar Laub. »Von nischt nischt ge­wusst! Das sagt ihr alle! Aber ihr seid alle Ver­bre­cher, und so wahr ich der Kom­missar Laub bin, ich lei­re euch die Ge­där­me aus dem Leib, bis ihr die Wahr­heit sagt! Wer liegt bei Ih­nen mit auf der Zel­le?«

      »Ich weiß nicht, wie die Frau heißt. Ich sage ein­fach Ber­ta zu ihr.«

      »Wie lan­ge liegt die Ber­ta bei Ih­nen auf der Zel­le?«

      »Seit ges­tern Abend.«

      »Also die hat’s Ih­nen ver­pfif­fen, das mit den Heff­kes. Ge­ste­hen Sie es nur ein, Frau Quan­gel, sonst hole ich die Ber­ta rauf und schla­ge sie in Ihrem Bei­sein so lan­ge, bis sie ge­steht.«

      Frau Anna Quan­gel schüt­tel­te wie­der den Kopf. »Ob ich nun ja oder nein sage, Herr Kom­missar«, sag­te sie, »Sie ho­len die Ber­ta doch rauf und schla­gen sie. Ich kann nur sa­gen, ich habe die Frau Heff­ke un­ten auf dem Flur ge­se­hen …«

      Kom­missar Laub dreh­te sich rasch um und ließ der Frau Anna Quan­gel einen knal­len­den Furz ins Ge­sicht fah­ren. Dann dreh­te er sich wie­der um und sah ihr höh­nisch grin­send ins Ge­sicht. »Das rie­chen Sie man auf«, sagt er, »von der Sor­te habe ich noch mehr, wenn sie zu schlau sind!« Und plötz­lich schrei­end: »Mist seid ihr! Mist seid ihr alle! Scheiß­dreck seid ihr alle! Und ich ruhe nicht eher, bis ihr als Mist un­ter der Erde liegt! Alle müsst ihr hin wer­den! Alle! Or­don­nanz, brin­gen Sie die Ber­ta Kupp­ke her­auf!«

      Eine Stun­de ver­brach­te er da­mit, die bei­den Frau­en zu ängs­ti­gen und zu schla­gen, trotz­dem Frau Ber­ta Kupp­ke so­fort zu­gab, der Frau Quan­gel von Frau Heff­ke er­zählt zu ha­ben. Sie hat­te bis­her mit Frau Heff­ke auf ei­ner Zel­le ge­le­gen. Aber das ge­nüg­te dem Kom­missar Laub nicht. Er woll­te ge­nau je­des Wort wis­sen, was zwi­schen den bei­den ge­spro­chen war, und sie hat­ten ein­an­der doch nur ihr Leid ge­klagt, wie es Frau­en ger­ne tun. Er aber wit­ter­te über­all Ver­schwö­rung und Hoch­ver­rat und ließ nicht ab mit Schla­gen und Fra­gen.

      Schließ­lich war die heu­len­de Kupp­ke in den Kel­ler ab­ge­scho­ben