Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke


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vo­ge­l­ähn­li­chen Ge­sicht, dem dünn­lip­pi­gen Mund und den kal­ten Au­gen öff­net ihr. Er nimmt wort­los den Brief aus ih­rer Hand und zieht ihr die Tür vor der Nase zu, als sei sie eine Die­bin, vor der man sich vor­zu­se­hen hat.

      Bei den Per­sickes ha­ben sie in ih­rer Auf­re­gung die Fl­ur­tür of­fen­ge­las­sen, aus der Woh­nung klingt Glä­ser­ge­klirr und das Lär­men der Sie­ges­fei­er. Die Brief­trä­ge­rin zieht die Fl­ur­tür sach­te ins Schloss und steigt wei­ter hin­ab. Da­bei denkt sie, dass dies ei­gent­lich eine gute Nach­richt ist, denn durch die­sen ra­schen Sieg über Frank­reich wird der Frie­de nä­her ge­rückt. Dann kom­men die bei­den Jun­gen zu­rück, und sie kann ih­nen wie­der ein Heim schaf­fen.

      Bei die­sen Hoff­nun­gen stört sie aber das un­ge­müt­li­che Ge­fühl, dass dann sol­che Leu­te wie die Per­sickes ganz oben­auf sein wer­den. Sol­che zu Her­ren ha­ben und im­mer den Mund hal­ten müs­sen und nie sa­gen dür­fen, wie ei­nem ums Herz ist, das scheint ihr auch nicht das Rich­ti­ge.

      Flüch­tig denkt sie auch an den Mann mit dem kal­ten Gei­er­ge­sicht, dem sie eben den Feld­post­brief aus­ge­hän­digt hat und der dann wohl auch einen hö­he­ren Pos­ten in der Par­tei be­kom­men wird, und sie denkt an die alte Jü­din Ro­sen­thal, oben im vier­ten Stock, der die Ge­sta­po vor zwei Wo­chen den Mann weg­ge­holt hat. Die kann ei­nem leid­tun, die Frau. Ro­sent­hals ha­ben frü­her ein Wä­sche­ge­schäft an der Prenz­lau­er Al­lee ge­habt. Das ist dann ari­siert wor­den, und nun ha­ben sie den Mann weg­ge­holt, der nicht weit von sieb­zig ab sein kann. Was Bö­ses ge­tan ha­ben die bei­den al­ten Leu­te si­cher nie je­man­dem, aber im­mer an­ge­schrie­ben, auch für die Eva Klu­ge, wenn mal kein Geld für Kin­der­wä­sche da war, und schlech­ter oder teu­rer als in an­de­ren Ge­schäf­ten war die Ware bei Ro­sent­hals auch nicht. Nein, es will nicht in den Kopf von Frau Eva Klu­ge, dass so ein Mann wie der Ro­sen­thal schlech­ter sein soll als die Per­sickes, bloß weil er ein Jude ist. Und nun sitzt die alte Frau da oben in der Woh­nung mut­ter­see­len­al­lein und traut sich nicht mehr auf die Stra­ße. Erst wenn es dun­kel ge­wor­den ist, macht sie mit dem Ju­dens­tern ihre Ein­käu­fe, wahr­schein­lich hun­gert sie. Nein, denkt Eva Klu­ge, und wenn wir zehn­mal über Frank­reich ge­siegt ha­ben, ge­recht geht es nicht bei uns zu …

      Da­mit ist sie in das nächs­te Haus ge­kom­men und setzt dort ih­ren Be­stell­gang fort.

      Der Werk­meis­ter Otto Quan­gel ist un­ter­des mit dem Feld­post­brief in die Stu­be ge­kom­men und hat ihn auf die Näh­ma­schi­ne ge­legt. »Da!«, sagt er nur. Er lässt ihr stets das Vor­recht, die­se Brie­fe zu öff­nen, weiß er doch, wie sehr sie an ih­rem ein­zi­gen Soh­ne Otto hängt. Nun steht er ihr ge­gen­über; er hat die dün­ne Un­ter­lip­pe zwi­schen die Zäh­ne ge­zo­gen und war­tet auf das freu­di­ge Er­glän­zen ih­res Ge­sich­tes. Er liebt in sei­ner wort­kar­gen, stil­len, ganz un­zärt­li­chen Art die­se Frau sehr.

      Sie hat den Brief auf­ge­ris­sen, einen Au­gen­blick leuch­te­te ihr Ge­sicht wirk­lich, dann er­losch das, als sie die Schreib­ma­schi­nen­schrift sah. Ihre Mie­ne wur­de ängst­lich, sie las lang­sa­mer und lang­sa­mer, als scheu­te sie sich vor je­dem kom­men­den Wort. Der Mann hat sich vor­ge­beugt und die Hän­de aus den Ta­schen ge­nom­men. Die Zäh­ne sit­zen jetzt fest auf der Un­ter­lip­pe, er ahnt Un­heil. Es ist ganz still in der Stu­be. Nun fängt der Atem der Frau an, keu­chend zu wer­den …

      Plötz­lich stößt sie einen lei­sen Schrei aus, einen Laut, wie ihn ihr Mann noch nie ge­hört hat. Ihr Kopf fällt vorn­über, schlägt erst ge­gen die Garn­rol­len auf der Ma­schi­ne und sinkt zwi­schen die Fal­ten der Näh­ar­beit, den ver­häng­nis­vol­len Brief ver­de­ckend.

      Er ist mit zwei Schrit­ten hin­ter ihr. Mit ei­ner bei ihm ganz un­ge­wohn­ten Hast legt er sei­ne große, ver­ar­bei­te­te Hand auf ih­ren Rücken. Er fühlt, dass sei­ne Frau am gan­zen Lei­be zit­tert. »Anna!«, sagt er. »Anna, bit­te!« Er war­tet einen Au­gen­blick, dann wagt er es: »Ist was mit Otto? Ver­wun­det, wie? Schwer?«

      Das Zit­tern geht fort durch den Leib der Frau, aber kein Laut kommt von ih­ren Lip­pen. Sie macht kei­ne An­stal­ten, den Kopf zu he­ben und ihn an­zu­se­hen.

      Er blickt auf ih­ren Schei­tel hin­un­ter, er ist so dünn ge­wor­den in den Jah­ren, seit sie ver­hei­ra­tet sind. Nun sind sie alte Leu­te; wenn Otto wirk­lich was zu­ge­sto­ßen ist, wird sie nie­man­den ha­ben und be­kom­men, den sie lieb ha­ben kann, nur ihn, und er fühlt im­mer, an ihm ist nicht viel zum Lieb­ha­ben. Er kann ihr nie und mit kei­nem Wort sa­gen, wie sehr er an ihr hängt. Selbst jetzt kann er sie nicht strei­cheln, ein biss­chen zärt­lich zu ihr sein, sie trös­ten. Er legt nur sei­ne schwe­re, star­ke Hand auf ih­ren dün­nen Schei­tel, er zwingt sanft ih­ren Kopf hoch, sei­nem Ge­sicht ent­ge­gen, er sagt halb­laut: »Was die uns schrei­ben, wirst du mir doch sa­gen, Anna?«

      Aber ob­wohl jetzt ihre Au­gen ganz nahe den sei­nen sind, sieht sie ihn nicht an, son­dern hält sie fest ge­schlos­sen. Ihr Ge­sicht ist gelb­lich blass, ihre sonst fri­schen Far­ben sind ge­schwun­den. Auch das Fleisch über den Kno­chen scheint fast auf­ge­zehrt, es ist, als sähe er einen To­ten­kopf an. Nur die Wan­gen und der Mund zit­tern, wie der gan­ze Kör­per zit­tert, von ei­nem ge­heim­nis­vol­len in­ne­ren Be­ben er­fasst.

      Wie Quan­gel so in dies ver­trau­te, jetzt so frem­de Ge­sicht schaut, wie er sein Herz stark und stär­ker schla­gen fühlt, wie er sei­ne völ­li­ge Un­fä­hig­keit spürt, ihr ein biss­chen Trost zu spen­den, packt ihn eine tie­fe Angst. Ei­gent­lich eine lä­cher­li­che Angst die­sem tie­fen Schmerz sei­ner Frau ge­gen­über, näm­lich die Angst, sie kön­ne zu schrei­en an­fan­gen, noch viel lau­ter und wil­der, als sie eben schrie. Er ist im­mer für Stil­le ge­we­sen, nie­mand soll­te et­was von Quan­gels im Hau­se mer­ken, und gar Ge­füh­le laut wer­den las­sen: Nein! Aber auch in die­ser Angst kann der Mann nicht mehr sa­gen, als er auch vor­hin schon ge­sagt hat, näm­lich: »Was ha­ben sie denn ge­schrie­ben? Sag doch, Anna!«

      Wohl liegt der Brief jetzt of­fen da, aber er wagt nicht, nach ihm zu fas­sen. Er müss­te da­bei den Kopf der Frau los­las­sen, und er weiß, die­ser Kopf, des­sen Stir­ne schon jetzt zwei blu­ti­ge Fle­cke auf­weist, fie­le dann wie­der ge­gen die Ma­schi­ne. Er über­win­det sich, noch ein­mal fragt er: »Was ist denn mit Ot­to­chen?«

      Es ist, als habe die­ser vom Man­ne fast nie be­nutz­te Ko­sena­me die Frau aus der Welt ih­res Schmer­zes in die­ses Le­ben zu­rück­ge­ru­fen. Sie schluckt ein paar­mal, sie öff­net so­gar die Au­gen, die sonst sehr blau sind und jetzt wie aus­ge­blasst aus­se­hen. »Mit Ot­to­chen?«, flüs­tert sie fast. »Was soll denn mit ihm sein? Nichts ist mit ihm, es gibt kein Ot­to­chen mehr, das ist es!«

      Der Mann sagt nur ein »Oh!«, ein tie­fes »Oh!« aus dem In­ners­ten sei­nes Her­zens her­aus. Ohne es zu wis­sen, hat er den Kopf sei­ner Frau los­ge­las­sen und greift nach dem Brief. Sei­ne Au­gen star­ren auf die Zei­len, ohne sie noch le­sen zu kön­nen.

      Da