das Fischauge!
Und in gespielter Wut springt er gegen die Tür, ballert daran und brüllt: »Willst du weg vom Spion, Kalfaktor, verdammter!«
Es geht knallbums, die Tür fliegt auf, und in ihr steht der Hauptwachtmeister Rusch.
Nun heißt es theatern, denn Rusch liebt nur die eigenen Späße. Bei Hauptwachtmeister Rusch muss man demütig sein, und so ist Kufalt ganz hübsch betreten, als er stottert: »O Verzeihung, Herr Hauptwachtmeister! Herr Hauptwachtmeister verzeihen, ich dachte, es wäre das Biest von Kalfaktor, der kneistet immer, wo ich meinen Tabak lasse.«
»Wat denn? Wat denn? Krach gibt’s nicht. Der Lack geht von der Türe.«
Kufalt schmeichelt: »Herr Hauptwachtmeister wissen doch, bei mir ist immer alles in Butter, kein Kratzer im Lack.«
Der Hauptwachtmeister, ein etwas stoppliger Napoleon, der wahre Herrscher über das Gefängnis, wortkarg, stets voller Überraschungen, erbitterter Feind jeder Neuerung, des Stufenstrafvollzugs, des Direktors, der Beamten, jedes Gefangenen – der Hauptwachtmeister Rusch antwortet nicht, sondern geht zum Schränkchen, an dem die Personalien- und Vergünstigungstafel hängt.
»Was ist mit Vögeln?« fragt er.
»Mit Vögeln?« fragt Kufalt, halb verwirrt, halb grinsend.
»Vögeln! Vögeln!« knarrt der Despot ärgerlich und tippt mit dem Finger auf die Vergünstigungstafel. »Hier steht: zwei Kanarienvögel. Wo sind die? Verschoben, was?«
»Aber, Herr Hauptwachtmeister«, sagt Kufalt vorwurfsvoll und denkt dabei voll Angst an den Hunderter, der immer noch in seinem Halstuch steckt. »Die gelben Spatzen sind doch draufgegangen, als im Winter die Zentralheizung kaputt war. Ich hab’s Ihren doch noch gesagt!«
»Gelogen. Gelogen. Erstunken. Gelogen. Der Schuster, der Maaß, hat zweie zu viel. Das sind deine. Verschoben!«
»Aber, Herr Hauptwachtmeister, ich habe es Ihnen doch gesagt, dass sie krepiert sind! Ich bin im Glaskasten bei Ihnen gewesen und habe es Ihnen gemeldet.«
Der Hauptwachtmeister steht unterm Fenster. Er dreht dem Gefangenen den Rücken, der sieht nur die dicken weißen Hände, die mit den Schlüsseln spielen.
Wenn er doch ginge! fleht Kufalt. Jeden Augenblick kommt die Vorführung zum Arzt und ich mit dem Schein im Halstuch! Ich bin ja geplatzt! Ich komme gleich wieder in Untersuchungshaft!!
»Die dritte Stufe!« knurrt das Haupt. »Immer die dritte Stufe. Alle Unordnung im Bau. Ihr Geld, Ihre Arbeitsbelohnung …«
»Ja …?« fragt Kufalt, als nichts mehr kommt.
»Aufs Wohlfahrtsamt. Da kannst du dir jede Woche fünf Mark holen.«
»Herr Hauptwachtmeister«, fleht Kufalt, »das werden Sie doch nicht tun, wo ich meine Zelle immer so fein gewienert habe!«
»Wat denn! Tu ich. Mach ich. Mir ganz egal. Wienern …? Ordnung mit Vögeln – hahaha!«
»Haha«, lächelt auch Kufalt gehorsam.
»Was ist«, fragt der Hauptwachtmeister und kann plötzlich Deutsch, »mit dem Netzemeister und dem neuen Netzekalfaktor?«
»Neuer Netzekalfaktor?« fragt Kufalt. »Ist denn ein neuer da? Den hab ich noch gar nicht gesehen.«
»Fiole! Scheiß die anderen an! Zehn Minuten warst du bei denen in der Zelle!«
»Aber nein, Herr Hauptwachtmeister, ich war heute überhaupt nur zur Freistunde aus meiner Zelle!«
Der Hauptwachtmeister streicht mit dem Finger nachdenklich über das Schrankdach. Er besieht den Finger, nicht unbefriedigt, dann beriecht er ihn. Nein: Es hat auch nicht eine Spur von Staub auf dem Schrank gelegen. Er besinnt sich und geht gegen die Tür. »Also Arbeitsbelohnung durch Wohlfahrt.«
Kufalt überlegt fieberhaft: Sag ich jetzt nichts, so geht er und ich kann den Hunderter verstecken, aber hänge ewig bei der Wohlfahrt. Hau ich die aber in die Pfanne, bin ich zwar den Hunderter los, kriege aber übermorgen meine Arbeitsbelohnung hier bar ausbezahlt. Aber auch nur vielleicht.
»Herr Hauptwachtmeister …«
»He …?«
»Ich war in der Zelle – bei denen.«
Der wartet. Schließlich: »Was ist …?«
»Der kriegt für den dicken Juden Briefe. Da müssen Sie mal filzen gehen.«
»Nur Briefe?«
»Er wird’s ja nicht tun für die schöne Nase von dem.«
»Weißt du was?«
»Filzen müssen Sie, Herr Hauptwachtmeister. Heute noch, gleich – da finden Sie was.«
Die Tür geht auf. »Kufalt zum Arzt!«
Kufalt sieht auf den Hauptwachtmeister.
»Los!« sagt der gnädig. »Vögel krepieren hier alle im Bau.«
Dem Aas, dem Netzemeister, habe ich das fein besorgt, denkt Kufalt, als er die Treppe hinunterschlurrt. Nun hat er keine Zeit, in meiner Zelle zu suchen. Ach Gott, das wäre ja jetzt auch egal! Nun habe ich den Schein doch noch bei mir, verdammt!
6
Der Wachtmeister sieht Kufalt über das Geländer weg nach. »Ein bisschen dalli, Kufalt! Tut, als wüsste er nicht Bescheid. Bist doch wahrhaftig genug zum Arzt gelaufen!«
Ist ja gar nicht wahr, denkt Kufalt. Seit der mich damals angezeigt hat wegen Simulieren, als ich den Daumen verknackst hatte und nicht stricken konnte, bin ich keine dreimal mehr bei ihm gewesen. Und ich hatte nicht Fiole geschoben, ich hatte den Daumen wirklich verknackst!
Nein, es sind schlechte Aussichten, den Schein noch irgendwie loszuwerden. Auf allen Gängen ist Hochbetrieb. Vorführung zum Direktor, zum Polizeiinspektor, zum Arbeitsinspektor, zum Arzt, zum Pastor, zum Lehrer – auf allen Stationen knallen die Riegel, knacken die Schlösser, laufen Beamte mit Listen, schieben sich Gefangene in ihren blauen Schlotterhosen lang.
Mir geht eben alles schief. Wenn ich einmal wirklich kess bin und schneide mir eine Scheibe ab – ein richtiger Ganove werde ich doch nie …
Unten begrüßt ihn Oberwachtmeister Petrow, ein oller Posener, schon in der Vorkriegszeit Kittchenhengst gewesen, Liebe aller Gefangenen.
»Na, Kufalt, olles Haus, is sich Zeit rum? Siehst du, is gewesen ein Blitz! Warum hat Hauptwachtmeister dir Zelle gegeben? Hättest du machen können auf der Treppe ab das kleine Endchen Knast! – Wie lange? Fünf Jahre? Mensch, Kufalt, Zeit läuft sich wie Auto; was sich kleines Mädchen freuen wird, dass du alles hast aufgespart