Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke


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Au­gen. Ihm war, als sähe er den an­de­ren ne­ben sich wie einen schwär­ze­ren Klum­pen in all dem Nacht­dun­kel.

      »Ja, mit Ab­sicht«, ki­cher­te der Klei­ne.

      »Das war ein Mord­ver­such!«, sag­te der Kom­missar.

      »Aber du hast doch ge­sagt, die Waf­fe ist ge­si­chert!«

      Jetzt war der Kom­missar ganz si­cher, dass sei­nen Au­gen nichts ge­sche­hen war.

      »Ich wer­de dich ins Was­ser schmei­ßen, du Lump! Das ist dann nur Not­wehr!« Und er pack­te den Klei­nen bei der Schul­ter.

      »Nein, nein, bit­te nicht! Bit­te das nicht! Ich wer­de das an­de­re auch be­stimmt tun! Nur nicht ins Was­ser! Du hast es mir hei­lig ver­spro­chen …«

      Der Kom­missar hat­te ihn bei der Schul­ter ge­packt.

      »Ach was! Jetzt kei­ne Win­se­lei­en mehr! Du hast doch nie die Cou­ra­ge dazu! Ins Was­ser …!«

      Zwei Schüs­se fie­len rasch hin­ter­ein­an­der. Der Kom­missar fühl­te, wie der Mann zwi­schen sei­nen Fäus­ten zu­sam­men­fiel, er sack­te in sich, un­auf­halt­sam. Ei­nen Au­gen­blick mach­te Esche­rich eine Be­we­gung, als er den To­ten über den Ste­grand ins Was­ser rut­schen sah. Sei­ne Hän­de woll­ten ihn noch hal­ten.

      Und ach­sel­zu­ckend sah der Kom­missar zu, wie der schwe­re Kör­per ins Was­ser klatsch­te und so­fort ver­schwand.

      »Bes­ser so«, sag­te er und be­feuch­te­te die tro­ckenen Lip­pen. »We­ni­ger Ver­dachts­ma­te­ri­al.«

      Ei­nen Au­gen­blick stand er noch, zwei­felnd, ob er die auf dem Steg lie­gen­de Pis­to­le ins Was­ser sto­ßen soll­te oder nicht. Dann ließ er sie lie­gen. Er ging lang­sam vom Boots­steg, den Ufer­hang hin­an, nach dem Bahn­hof zu.

      Der Bahn­hof war ge­schlos­sen, der letz­te Zug ab­ge­fah­ren. Der Kom­missar schick­te sich gleich­mü­tig an, den wei­ten Weg nach Ber­lin un­ter sei­ne Füße zu neh­men.

      Eben fing die Uhr wie­der an zu schla­gen.

      Mit­ter­nacht, dach­te der Kom­missar. Er hat’s ge­schafft. Mit­ter­nacht. Bin neu­gie­rig, wie ihm sein Frie­de ge­fal­len wird, wirk­lich neu­gie­rig. Ob er sich wie­der be­tro­gen vor­kommt? Aas, klei­nes, win­seln­des Aas!

DRITTER TEIL – Das Spiel steht gegen die Quangels

      34. Trudel Hergesell

      Die Her­ge­sells fuh­ren mit dem Zuge von Erkner nach Ber­lin. Ja­wohl, es gab kei­ne Tru­del Bau­mann mehr, Karls an­dau­ern­de Lie­be hat­te ge­siegt, sie hat­ten ge­hei­ra­tet, und jetzt, im Jah­re des Un­heils 1942, war Tru­del im fünf­ten Mo­nat schwan­ger.

      Mit der Hei­rat hat­ten die bei­den auch ihre Ar­beit in der Uni­form­fa­brik auf­ge­ge­ben – nach dem be­drücken­den Er­leb­nis mit Gri­go­leit und dem Säug­ling hat­ten sie sich dort nie mehr wohl ge­fühlt. Er ar­bei­te­te jetzt bei ei­ner che­mi­schen Fa­brik in Erkner, wäh­rend Tru­del als Haus­schnei­de­rin ein paar Mark da­zu­ver­dien­te. Mit lei­ser Scham dach­ten sie an die Zeit ih­rer il­le­ga­len Be­tä­ti­gung zu­rück. Bei­de wa­ren sie sich völ­lig klar dar­über, dass sie ver­sagt hat­ten; bei­de aber wuss­ten sie jetzt auch, dass sie sich für eine der­ar­ti­ge Tä­tig­keit, die eine völ­li­ge Zu­rück­stel­lung des ei­ge­nen Ichs er­for­der­te, nicht eig­ne­ten. Jetzt leb­ten sie nur noch für ihr häus­li­ches Glück und ge­nos­sen die Vor­freu­de auf das zu er­war­ten­de Kind.

      Als sie Ber­lin ver­lie­ßen und nach Erkner hin­aus­zo­gen, hat­ten sie ge­meint, dort in völ­li­ger Ruhe, fern der Par­tei und ih­ren For­de­run­gen, le­ben zu kön­nen. Wie vie­le Groß­städ­ter hat­ten sie sich dem sehr ir­ri­gen Glau­ben hin­ge­ge­ben, die Be­spit­ze­lung sei nur in Ber­lin so schlimm, auf dem Lan­de, in ei­ner klei­nen Stadt herr­sche noch An­stand. Und wie vie­le Groß­städ­ter hat­ten sie er­fah­ren müs­sen, dass gra­de das De­nun­zi­an­ten­tum, das Aus­hor­chen und Be­spit­zeln, in ei­ner klei­nen Stadt noch zehn­mal schlim­mer war als in der Groß­stadt. In der Klein­stadt konn­te man nie un­ter­tau­chen in der Mas­se, je­der war klar über­sicht­lich, sei­ne per­sön­li­chen Ver­hält­nis­se wur­den rasch be­kannt, Ge­sprä­chen mit Nach­barn war kaum aus dem Wege zu ge­hen, und wie sol­che Ge­sprä­che ent­stellt wer­den konn­ten, das hat­ten sie schon ein paar­mal mit Kum­mer er­fah­ren müs­sen.

      Her­ge­sells lit­ten un­ter der At­mo­sphä­re von Hass, in der sie in Erkner le­ben muss­ten, sehr stark. Aber sie re­de­ten sich ein, dass sie sich nichts dar­aus mach­ten und dass ih­nen nichts pas­sie­ren könn­te, da sie ja ge­gen die­sen Staat nichts ta­ten. »Die Ge­dan­ken sind frei«, sag­ten sie, aber ei­gent­lich hät­ten sie wis­sen müs­sen, dass in die­sem Staat nicht ein­mal die Ge­dan­ken frei wa­ren.

      So flüch­te­ten sie im­mer stär­ker in ihr Lie­bes­glück. Sie wa­ren wie zwei Lie­ben­de, die sich in ei­ner Sturm­flut, in den Wo­gen, im Zu­sam­men­bruch der Häu­ser, zwi­schen er­trin­ken­dem Vieh, an­ein­an­der­ge­klam­mert ha­ben und glau­ben, kraft ih­rer Ge­mein­sam­keit, ih­rer Lie­be dem all­ge­mei­nen Un­ter­gang ent­ge­hen zu kön­nen. Sie hat­ten noch nicht be­grif­fen, dass es in die­sem Kriegs-Deutsch­land ein pri­va­tes Le­ben über­haupt nicht mehr gab. Kein Sich­zu­rück­zie­hen ret­te­te da­vor, dass je­der Deut­sche zur All­ge­mein­heit der Deut­schen ge­hör­te und das deut­sche Schick­sal mit­er­lei­den muss­te – so wie ja auch die im­mer zahl­rei­cher wer­den­den Bom­ben wahl­los auf Ge­rech­te wie Un­ge­rech­te fie­len.

      Auf dem Alex­an­der­platz trenn­ten sich die Her­ge­sells. Sie hat­te eine Schnei­der­ar­beit in der Klei­nen Alex­an­der­stra­ße ab­zu­lie­fern, wäh­rend er einen zum Tausch in­se­rier­ten Kin­der­wa­gen be­sich­ti­gen woll­te. Sie ver­ab­re­de­ten, sich um die Mit­tags­stun­de wie­der auf dem Bahn­hof zu tref­fen, und je­des ging sei­nen Weg. Tru­del Her­ge­sell, der, nach an­fäng­li­chen Be­schwer­den, jetzt im fünf­ten Mo­nat die Schwan­ger­schaft nur ein nie ge­kann­tes Ge­fühl von Stär­ke, Selbst­ver­trau­en und Glück ver­lie­hen hat­te, kam rasch in die Klei­ne Alex­an­der­stra­ße und trat in das Trep­pen­haus.

      Vor ihr stieg ein Mann die Trep­pe hin­auf. Sie sah ihn nur von hin­ten, aber sie er­kann­te ihn so­fort an der cha­rak­te­ris­ti­schen Kopf­hal­tung, dem stei­fen Na­cken, an der lan­gen Ge­stalt, an den hoch­ge­zo­ge­nen Schul­tern: es war Otto Quan­gel, der Va­ter ih­res frü­he­ren Ver­lob­ten, je­ner Mann, dem sie ein­mal das Ge­heim­nis ih­rer il­le­ga­len Or­ga­ni­sa­ti­on ver­ra­ten hat­te.

      Un­will­kür­lich hielt sie sich zu­rück.