errötete bis zu den Ohrläppchen. Diese spontane Regung machte ihn Roberta wieder sympathisch. Ja, in diesem Moment empfand sie sogar fast so etwas wie Zuneigung für ihn. Ein erwachsener Mann, der noch auf diese schulbubenhafte Art errötete, konnte unmöglich ein durch und durch schlechter Mensch sein.
»Ich hab’s wirklich nicht so gemeint«, versuchte er, sich stotternd zu entschuldigen. Ein kleiner, bedrückt klingender Seufzer entrang sich seiner Brust. »Es ist wie verhext. Momentan habe ich wirklich kein glückliches Händchen, was den Umgang mit meinen Mitmenschen angeht. Ich sage irgendwie immer das falsche. Meine Verlobte hat sich auch schon beschwert, daß ich sie nicht verstehe.«
Hier entfloh Roberta ein kleines, spöttisches Kichern.
»Nun, da sind Sie nicht allein. Ich verstehe sie auch nicht.«
Stephan musterte sie mit einem nachdenklichen Blick.
»Sie hatten heute morgen schon einen Zusammenstoß mit Melinda, nicht wahr?« forschte er behutsam. »Tut mir leid. Mel ist in einer ziemlich gereizten Stimmung. Sie hat drei Jahre durchgearbeitet, sich wegen ihres Berufs keinen Urlaub geleistet. Immer, wenn wir Reisepläne schmiedeten, kam etwas dazwischen. Jetzt ist sie total fertig und bedarf dringend der Ruhe. Sie ist sonst nicht so empfindlich.«
Roberta nickte, obwohl sie sich nicht vorstellen konnte, daß die arrogant wirkende Melinda Bornemann so etwas wie Freundlichkeit verströmen sollte. Sie war der Prototyp einer Karrierefrau, die für ihren Erfolg über Leichen ging.
»Ich verstehe, daß Ihre Verlobte Ruhe braucht«, erwiderte Roberta diplomatisch. »Heutzutage muß man froh sein, wenn man eine Arbeit hat und kann nicht wählerisch sein, soll heißen: Wenn der Chef Überstunden ansetzt, dann wird nicht gemäkelt.« Ihre Miene wurde entschlossen. »Trotzdem werde ich meinen Kindern nicht befehlen, den ganzen Tag auf Zehenspitzen herumzuschleichen. Die beiden haben Ferien und genauso ein Recht auf Erholung wie Ihre Verlobte.«
Stephan sah zu den Zwillingen, die mit mürrischen Gesichtern auf ihren Stühlen hockten und ihn feindselig anblickten.
»He, ich beiße nicht«, versuchte Stephan, die beiden zum Lächeln zu bringen, aber ihre Mienen wurden nur noch abweisender. »Nette Kinder.« Murmelnd wandte er sich schließlich wieder Roberta zu, die die kleine Szene lächelnd beobachtet hatte.
»Wie lange sind Sie schon hier?« wollte Stephan nun wissen, eigentlich nur, um die Unterhaltung in Gang zu halten.
Das Eintreffen der Bedienung, die mit einem vollbeladenen Tablett an den Tisch trat, enthob Roberta zunächst einer Antwort. Sie wartete, bis die Zwillinge ihre Pommes in Angriff nahmen, dann wandte sie sich Stephan zu, der die Kinder nachdenklich betrachtete.
»Wir sind vor einer Woche angekommen«, gab Roberta ihm bereitwillig Auskunft. »Die Kinder waren noch nie am Meer. Die ersten Tage haben sie mich dauernd gefragt, ob die Insel auch wirklich nicht untergehen kann.«
Stephan lächelte verständnisvoll.
»Genau das habe ich meine Eltern damals auch gefragt, als wir das erste Mal auf Borkum waren«, verriet er im entspannten Plauderton. »Sie haben mir immer wieder versichert, daß das nicht möglich sei, aber ich blieb die ganzen vier Wochen über skeptisch.«
»Inseln können nicht untergehen, weil sie am Meeresboden festgewachsen sind«, mischte Willy sich ein. »Sie können höchstens vom Meer überspült werden.«
»Unsere Insel auch?« fragte Julchen besorgt dazwischen.
»Unsere Insel auch«, bestätigte Willy mit wichtiger Miene, worauf Julchen besorgt das Gesicht verzog.
»Aber das passiert ganz, ganz selten«, versuchte Roberta rasch, sie zu beruhigen. »Und im Sommer schon gar nicht. Mach dir keine Sorgen.«
Doch Julchen war nicht so leicht zu beruhigen. Wenn ihre Phantasie einmal in Gang gekommen war, dann malte sie sich die schlimmsten oder schönsten – je nachdem – Dinge bis ins kleinste Detail aus.
So auch jetzt. Julchen wollte jetzt unbedingt wissen, was aus den Menschen wurde, die auf Norderney lebten, wenn das Meer »überschwappte«. Und ob die Tiere im Notfall auch auf der Fähre mitfahren durften, und ob alle Häuser im Wasser untergingen, und so weiter und so fort.
Als Roberta keine Antworten mehr einfielen, kam Stephan ihr zu Hilfe. Mit unendlicher Geduld und erstaunlichem Sachwissen beantwortete er alle Fragen, bis Julchen, inzwischen gestättigt, das Interesse an dem Thema verlor.
»Gehen wir jetzt an den Strand?« wollte sie von Roberta wissen, worauf diese seufzte.
»Also gut, dann gehen wir an den Strand«, gab Roberta nach. Sie hatten über eine Stunde im Bistro gesessen, höchste Zeit, daß die Kleinen an die frische Luft kamen. »Nehmt euren Bollerwagen und Anni, ich bezahle inzwischen.«
»Der ist aber toll!« bewunderte Stephan das Holzwägelchen, das die Kinder jetzt unter dem Tisch hervorzogen. »Ist der neu?«
»Ja, den hat uns Tante Robbi geschenkt«, verkündete Willy voller Besitzerstolz. »Da können wir alle unsere Spielsachen reintun und uns selbst auch noch reinsetzen, wenn wir müde sind. Und Tante Robbi zieht uns dann nach Hause.«
»Toll!« Stephans Herz klopfte aus irgendeinem Grund plötzlich ein bißchen schneller, seit er gehört hatte, daß die Kinder Roberta nicht »Mama«, sondern »Tante« nannten. Komisch, dabei konnte es ihm doch völlig egal sein, ob diese hübsche, nette Frau nun die Mutter oder die Tante der beiden war! »Ich habe mir als Kind immer so einen Wagen gewünscht, aber leider nie bekommen. Mensch, da habt ihr aber richtig Glück, daß eure Tante euch so lieb hat und euch so einen tollen Wagen kauft.«
»Mhmmm«, Willy und Julchen nickten mit ernsthaften Mienen. »Wenn du nicht dauernd mit uns schimpfst, darfste den Wagen auch mal haben«, bot Julchen an, nachdem sie einen raschen, sich der Zustimmung ihres Bruders versichernden Blick gewechselt hatte.
»Aber deine Freundin nicht!« schränkte Willy die Genehmigung rasch ein, denn Melinda konnte er nun wirklich nicht leiden.
»Danke.« Stephan beschloß, der Einschränkung keine große Bedeutung beizumessen. »Vielleicht gehen wir ja mal alle zusammen an den Strand, dann lege ich meine Badehose dort hinein.«
»Aber deine Freundin nich’«, wiederholte Willy noch einmal warnend. Er wollte noch etwas hinzufügen, aber Roberta kam ihm zuvor.
»So, alles erledigt. Wir können gehen.« Sie nahm Anni an die Leine, die sich eher unlustig erhob. Sie war keine große Spaziergängerin. »Wir müssen uns noch überlegen, wie wir den Wagen transportieren. Habt ihr eine Idee?«
»Wir binden ihn am Fahrrad fest«, lautete Willys Vorschlag, worauf Roberta skeptisch die Stirn runzelte.
»Ich könnte ihn im Auto mitnehmen«, ergriff Stephan die Chance, sich von seiner freundlichen Seite zeigen zu können. »Mein Wagen steht auf dem Parkplatz in der Marienstraße.«
Roberta nahm das Angebot gern an. Also wechselte der Bollerwagen vorübergehend den Besitzer. Gemeinsam verließen sie die »Börse« und spazierten in Richtung Kurhaus/Spielkasino, wo die Fahrräder standen. Stephan ging anschließend weiter, um seinen Wagen abzuholen.
*
Fröhlich radelte das Trio in Richtung Leuchtturm. Das Thermometer war inzwischen auf die 28-Grad-Marke geklettert, so daß die drei ganz hübsch ins Schwitzen kamen.
Mit Erleichterung sahen sie endlich die helle Fassade ihres Fischerhäuschens zwischen den Dünen schimmern. Nur noch ein paar Meter, und dann konnten sie die Fahrräder abstellen und endlich an den Strand gehen.
Doch die Freude auf das Nachhausekommen verging ihnen, als sie näherkamen. Schon von weitem schallte ihnen nämlich Melindas helle, erregte Stimme entgegen, mit der sie auf ihren Verlobten einschimpfte, während dieser versuchte, den Bollerwagen aus dem Kofferraum zu heben.
»Das nennst du also Urlaub!« hielt sie ihm vor. »Ich sitze den ganzen Tag allein herum, und du erledigst Botendienste für die Nachbarin.«
»Ich