Lehrer der deutschen Sprache an unserem Collège anzustellen, wir haben Arabische, Persische, Türkische und Armenische Sprachlehrer an diesem Institut, ein Deutscher ist noch unentbehrlicher.« Dabei verstand auch er nur »zur Not« deutsche Schriften rein astronomischen Inhalts.186
Staunend erlebten die Franzosen das Auftreten der Brüder Humboldt. Sie waren verblüfft über Wilhelms philosophische Tiefe, sein Raisonnement über Kunst und Dichtung, während sie in Alexander fast einen der Ihren erkannten. Sein alter Brieffreund Delamétherie hatte ein Werk über die Théorie de la Terre geschrieben, Laplace die Mécanique céleste; beide Werke verwiesen ihn auf einen geistesverwandten Weg, dessen Ziel er jetzt mit »physique du monde« bezeichnete (und stets mit »Physik der Erde« übersetzte) – ein Ausdruck, den er 1814 mit den Begriffen Theorie der Erde und Physikalische Geographie synonym setzte. Dieses jetzt schon zu wissen ist wichtig, da eine umfassende Physikalische Geographie das Leitmotiv seiner Wissenschaft und seiner Reise war. Desfontaines kam gerade aus Algier und Constantine zurück. Mit Shaw und Peyssonnel blieb er der letzte Forscher, der über dieses Land berichtete, bis Frankreich 1830 den Norden Afrikas mit Gewalt aufbrach, um sein zweites Kolonialreich zu gründen.
Franz v. Zach hatte einen seiner begabten Schüler, Johann Carl Burckhardt, nach Paris vermittelt und Humboldt eine Empfehlung an ihn mitgegeben. Burckhardt hatte schon als armer, aber begabter Lateinschüler seine Liebe zur Astronomie entdeckt und Werke Lalandes und Eulers gelesen. Als er ein Stipendium erhielt, lebte er fast zwei Jahre in v. Zachs Nähe, der ihn anschließend an die astronomische Ausbildung seinem alten Gönner, dem Grafen v. Brühl, für dessen private Sternwarte in Harefield bei London empfahl. Er hatte Burckhardt, da dieser über Paris reiste, auch einen Brief an Lalande mitgegeben. So war dieser dort hängen geblieben und Schüler Lalandes, Laplaces und Lagranges geworden. Er wurde Adjunkt des »Längenbüros« und 1807 Nachfolger Lalandes als Astronom am Observatorium der Militärschule.187 Burckhardt übersetzte auch später Laplaces Mécanique céleste ins Deutsche (Berlin 1801/1802). Seiner Vermittlung dankte Humboldt die schnelle vertrauensvolle Aufnahme in den Kreis der Pariser Akademiker und der Astronomen.
„Erst in Paris“ hatte Humboldt „auf der Sternwarte“ die Anwendung der astronomischen Ortsbestimmung und den Gebrauch des „Sextanten mit künstlichem Horizont“ erlernt und hatte sich damit die „ersten Erfordernisse eines Reisenden in unbekannten oder wenig bekannten Ländern …“ zu eigen zu machen gesucht. Die Pariser Astronomen sind mir dabei auf die liebenswürdigste Weise – wie das französischer Brauch ist – entgegengekommen“ (Hanno Beck: Gespräche Alexander von Humboldts. Berlin 1959, Seite 319).
Ein glücklicher Zufall ließ Humboldt den Schlussakt der berühmten Gradmessung Dünkirchen-Barcelona, der wir das Meter verdanken, noch miterleben. Anfang Juni 1798 wurde diese Meridianmessung zwischen Melun und Lieursaint vollendet. Mit Lalande und Burckhardt verlebte Alexander damals »zwei überaus fröhliche Tage« bei Delambre. Wegen der ungünstigen Witterung war die Messung unterbrochen worden, doch am 3. Juni 1798, 12 Uhr, wurde sie abgeschlossen. Auch der Physiker Baron de Prony und der greise, immer noch unternehmungslustige Weltumsegler Bougainville waren zugegen, der noch vor Cook den Ruhm beanspruchen konnte, die erste große wissenschaftliche See-Expedition geleitet zu haben.
Louis Antoine de Bougainville war in Kanada gewesen, hatte den französischen Rückzug in Quebec geleitet und darauf 1761 in Deutschland gekämpft. 1764 hatte er auf den Falklandinseln eine französische Kolonie gegründet und 1766–1769 die erste französische Weltumsegelung durchgeführt. Naturforscher, Botaniker und Zeichner hatten ihn begleitet und gründliche Arbeit geleistet. Humboldt war, als blättere sich eine bunt bebilderte Entdeckungsgeschichte vor seinen Augen auf. Bougainville vertrat die Ansicht, die Geographie müsse »Tatsachenwissenschaft« sein. Damit fand er bei Alexander Beifall, der das Wesen seiner eigenen Reise bestimmen und klären wollte. Seine Instrumentensammlung sprach in dieser Beziehung für sich.
In Paris war außerdem eine neue große Expedition des Direktoriums Tagesgespräch. Alexander v. Humboldt hatte sehr bald seine Chance erkannt und versuchte, Teilnehmer zu werden. Viele seiner gemeinsamen Besuche mit dem Bruder Wilhelm sollten lediglich die Meinung französischer Persönlichkeiten erkunden. Am 23. Juli 1798 speisten sie z. B. bei Delamétherie zu Mittag und trafen Volney, der eben aus Amerika zurückgekommen war. Das Gespräch war langweilig. Wilhelm mischte sich gar nicht ein, »weil die Absicht war, Alexander durch Volney Nachrichten über Ägypten herausbringen zu lassen, woraus aber nicht viel wurde«.188 Ein andermal weilten sie bei François de Neufchâteau, einem Mitglied des Direktoriums, der sie noch spät in seinem Garten empfing. Man sprach von der Reise um die Welt und den damit verbundenen finanziellen Schwierigkeiten. »Er gab keinen Augenblick Hoffnung. Zwei andere, die dabei waren, schlugen eine subscription reicher Leute vor, denen man die Summe zurückgeben müßte. Neufchâteau fühlte und äußerte die Unbillichkeit.«189
Das Direktorium hatte zunächst Bougainville mit der Durchführung dieser Reise, die um die Welt und zum Südpol führen sollte, beauftragt, und dieser »beredete« Humboldt190, ihm zu folgen. Alexander war mit magnetischen Untersuchungen beschäftigt, und so musste ihn eine Reise zum Südpol mehr reizen als eine Fahrt nach Ägypten.191 Doch das Direktorium besann sich. Der fast 70-jährige Bougainville erschien zu alt, und so wurde – ausgerechnet – der Kapitän Thomas Nicolas Baudin zum Leiter der Weltumsegelung bestimmt, der erst im Juni 1798 aus Westindien zurückgekommen war (vgl. Anm. 85). Humboldt dürfte mehr über seinen unsauberen Charakter gewusst haben als die französische Regierung; denn seine Unehrlichkeit Österreich gegenüber konnte nicht damit entschuldigt werden, dass die Donaumonarchie zu Frankreichs Feinden zählte. Die Übergabe der kaiserlichen Sammlung an das Direktorium konnte vielleicht in Frankreich als patriotische Tat erscheinen, sein Benehmen gegenüber G. Scholl dagegen war so eindeutig unritterlich gewesen, dass Humboldt große Bedenken trug, sich mit einem solchen Seemann zu verbinden. Seine Höflichkeit und Verbindlichkeit diesem gegenüber war ausschließlich Diplomatie, die geboten erschien, weil sie den Ausweg aus einer verfahrenen, hoffnungslosen Lage eröffnen konnte. Der Erfolg sprach für sich: »Alle National-Sammlungen wurden mir geöffnet, um von Instrumenten zu sammeln, was ich wollte«, konnte er Willdenow berichten. »Bei der Wahl der Naturalisten, bei allem, was die Ausrüstung betraf, wurde ich um Rath befragt. Viele meiner Freunde waren unzufrieden damit, mich den Gefahren einer fünfjährigen Seereise ausgesetzt zu sehen; aber mein Entschluß stand eisern fest, und ich würde mich selbst verachtet haben, wenn ich eine solche Gelegenheit, nützlich zu sein, versäumt hätte. Die Schiffe waren bemastet. Bougainville wollte mir seinen 14jährigen Sohn anvertrauen, damit er sich früh an die Gefahren des Seelebens gewöhne. Die Wahl unserer Gefährten war vortrefflich, lauter junge, kenntnisvolle, kräftige Menschen. Wie scharf jeder den anderen ins Auge faßte, wenn er ihn zum ersten Male sah! Vorher fremd, und dann so viele Jahre lang einander so nahe! Das erste Jahr sollten wir in Paraguay und im Patagonenlande, das zweite in Peru, Chili, Mexiko und Californien, das dritte im Südmeere, das vierte in Madagaskar und das fünfte in Guinea zubringen …«192 Alexander erwarb das Vertrauen Baudins, ohne dass dieser ahnte, wie gründlich sein Partner über ihn Bescheid wusste und wie er ihn nur benötigte, um seine eigenen Pläne verfolgen zu können.
Humboldt ging es um eine Landreise. Insofern waren schon die Bedingungen aufschlussreich, von denen er seine Beteiligung an der Expedition Lord Bristols abhängig gemacht hatte. Das Direktorium erlaubte ihm, sich mit all seinen Instrumenten einzuschiffen und Baudin da verlassen zu dürfen, wo er es wünschte, wo er tiefer ins Land eindringen wollte.193 Zwei Mitglieder des Direktoriums, der schon genannte François de Neufchâteau und Lareveillière-Lépeaux hatten für ihn gesprochen. Gewiss hätte Humboldt auch jedem anderen Kapitän ähnliche Zugeständnisse abgenötigt, aber er hätte ihre Bewilligung wahrscheinlich nie so zäh betrieben, wäre nicht Baudin Kapitän gewesen. Sich diesem Mann ohne Bedingungen anzuvertrauen, erschien ihm als Leichtsinn. Und wenn Gelehrte und Matrosen der Baudinschen Expedition das Ergebnis ihres Einsatzes vorausgesehen hätten, dann erhebt sich die Frage, ob sie nicht ähnlich wie Humboldt gedacht hätten; denn der spätere Misserfolg wurzelte in Baudins Charakter.
In Italien gärte es wieder. Das Direktorium rechnete mit Krieg. Im Reich klirrten die Waffen. Humboldt wurde fast vier Monate lang erneut hingehalten. Die Expeditionskosten von